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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

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Wüstenpilger.

(Zu den Bildern auf S. 565, 568 u. 569).

Das „große Fest“ ist vorüber: vorüber sind jene ungeheuren Schlachtopfer von Hämmeln, welche Zehntausende von Pilgern in nächster Nähe der heiligen Stadt darbringen, Jahr für Jahr an derselben Stelle, und deren Blut, indem es den Sand weithin durchfeuchtet und in der Gluthhitze sich rasch zersetzt, den besten Nährboden für die Cholera abgiebt, die trotz aller Quarantäne fast immer mit den Mekkafahrern als unheimlicher Gast zurückkehrt. Schmunzelnd zählt der schlaue Mekkaner – schlau und unheilig sind ja meist die Bewohner der „heiligen“ Städte – das Geld, das er den weniger klugen Glaubensgenossen abgenommen hak. Diese selbst treten die Heimreise an, viele mit gemischten Gefühlen: der eine hatte seinen Beutel überhaupt nur für die Hinreise gespickt, jener hat ihn im Festtrubel allzu stark angreifen lassen, ein dritter – und diese sind nicht wenig zahlreich – hatte auf hohen Gewinn bei dieser größten aller Weltjahresmessen gerechnet und sich verrechnet: alle aber ziehen ab mit jenem unerschütterlichen Vertrauen auf Allahs Hilfe, das den Muslim auszeichnet und ihn immer vergnügt erscheinen läßt. Offizielle und private Telegramme – es versteht sich, daß der Draht längst das heilige Mekka erreicht hat – melden den Lieben in Damaskus, Kairo, Stambul, daß man auf der Heimreise ist, oder bereits, daß man sich in Dschidda, dem Hafen von Mekka, eingeschifft hat.

Daheim rüstet man sich, die Zurückkehrenden würdig zu empfangen, und kommen sie, so werden sie mit mehr oder minder großem Aufwand von Prunk und Ehren eingeholt. Nur eine Schar ist es, die von allen Klassen der Bevölkerung mit gleicher Begeisterung bei der Heimkehr begrüßt wird, deren Einholung gleichsam als eine religiöse Pflicht, sicher als ein allgemeines Fest betrachtet wird: es ist die Schar, die das Mahmal begleitet, jenes riesige, von einem Kamel getragene, pyramidenförmige Holzgestell, das, mit schön gestickten Stoffen behangen, als der offizielle Vertreter der ägyptischen Regierung in der Pilgerkarawane angesehen wird. Birgt es doch bei dem Auszuge nach Mekka die kostbare Decke in seinem Innern, welche alljährlich zur Verhüllung der Kaaba, des Allerheiligsten im Tempel, zur Stadt des Propheten gebracht wird! Bei der Rückkehr ist es freilich leer, aber es bleibt eben das Symbol der Herrscherwürde, das von hohen Würdenträgern und einem Trupp Soldaten ehrfurchtsvoll geleitet wird. Mit ihm kommt auch die offizielle Mekkakarawane, der Haupttheil der Pilger, meist solche, die nicht die Mittel haben, von Suez aus, bis wohin auch das Mahmal zur See gelangte, die Fahrt mit der Bahn zu machen.

Dieses Fest ist es, das der Künstler auf unserem doppelseitigen Bilde vorführt. Der Zug befindet sich auf einem großen Platze außerhalb Kairos, etwa zwischen den Kalifengräbern und dem Bab en nasr, dem Thore, durch welches der Einzug in die Hauptstadt zu erfolgen pflegt. Händler aller Art haben sich eingefunden, zahlreiche Personen der mittleren und niederen Klassen sind herbeigeeilt, die ankommenden Verwandten oder Freunde zu begrüßen, es fehlt nicht an jener Menge der Gaffer, der Tagediebe, die im heiteren sorglosen Süden noch viel zahlreicher sind als in dem geschäftigen ernsteren Norden. Das lebhhafteste Treiben entwickelt sich. Zwar brennt die Sonne glühend: die sich drängenden Menschen und Thiere – im Hintergrund ist die berittene Eskorte sichtbar – wühlen den Boden auf, so daß die Luft in ein höchst unangenehmes dunstiges Meer voll Staub verwandelt ist, dazwischen giebt es heftige Windstöße, welche das wüste Treiben in der Luft noch vermehren, die langen dünnen Kittel der dürftig Bekleideten nach allen Richtungen auseinanderfliegen lassen und die Armen, welche die schweren, mit frommen Sprüchen bestickten nun wild flatternden Fahnen tragen müssen, wie Trunkene hin und her taumeln machen – das alles aber stört das Vergnügen nicht, so wenig wie der Gedanke an die tödliche Seuche, welche vielleicht verderbenbringend mit eben diesem Menschengewimmel ihren Einzug hält. Man gafft, man feilscht, man schwatzt – ein, wenn auch nicht gerade anmuthiges und wohlduftendes, doch lebensvolles und interessantes Bild, das der Künstler mit großem Geschick wiedergegeben hat.

In eine andere Welt versetzt uns das zweite Bild auf S. 565. Der Mekkapilger, besonders der, der den ganzen Weg zu Lande macht, hat wohl Mühseligkeiten zu erdulden aber er bildet einen Theil einer größeren Gemeinschaft, die in ihrem Zusammenhalten einen Schutz hat und mancherlei Annehmlichkeiten bietet durch den Austausch kleiner Dienste, die vor allem aber unter dem Schutze einer Regierung dahinzieht, welche, mag sie sonst so schwach sein wie sie will, die glückliche Heimkehr der Pilger herbeiführen muß, will sie nicht allen Kredit im Laude verlieren. Anders die armen Teufel, die für einen kärglichen Lohn den Transport einer größeren Warensendung nach einem fernen, weitab vom Kulturland in der Wüste gelegenen Ort übernommen haben: sie haben niemand, der sie bei räuberischem Ueberfall schützt, ihr Weg ist nicht eine regelmäßig von Karawanen durchzogene Straße, aus welcher die Regierung in angemessenen Zwischenräumen Kastelle mit Brunnen und Wachtposten unterhält: sie sind ganz und gar auf sich angewiesen und, da sie alle derselben Klasse, demselben Stamme angehören, so ist auch ihr Zusammenwandern eintönig, stumpf, nur durch den Austausch von Worten über die allernächsten Bedürfnisse unterbrochen. Im Winter, in der Regenzeit, da geht es wohl noch. Da zieht die Wüste oder vielmehr die Steppe – denn eine solche, nicht eine ewig einfarbige Sandfläche ist ja die Syrische Wüste, in die wir hier versetzt werden – ihr grünes Kleid an: üppige Futterkräuter entsprießen dem von dem Naß des Himmels befeuchteten Boden, ja bunte Blumen zieren den Teppich, der sich nach den ersten kräftigeren Regengüssen ausbreitet: da belebt sich alles : sie strömen herbei, die den Sommer und Herbst in höheren Gegenden, in der Nähe eines Stromes, am Rande der Wüste gegen das Kulturland gezeltet hatten, und lassen die Thiere sich weiden an dem kräftigen Futter, das die Natur jetzt hier verschwenderisch bietet. Die über die Steppe zerstreuten Tränkorte sind mit Wasser gefüllt, und der Sohn der Wüste kann im reichlichen Genuß dieses von ihm so geschätzten Lebenselementes schwelgen. Das ist seine schönste Zeit. Aber auch sie erreicht ihr Ende. Kaum ist der Mai angebrochen, so beginnt die glühende Sonne ihr Werk, und sehr bald fegt auch in kurzen Zwischenräumen der verderbliche „Schlot“, der Scirocco, über die weiten Ebenen, sein Zerstörungswerk übend. Das Grün verschwindet: kahl starren die dürren Kräuterstengel in die öde bleierne Lust: die Tränkeplätze zeigen anstatt der Wassertümpel sumpfige Stellen, anstatt der gefüllten Brunnen ausgetrocknete Schachte. Und wo sind sie hin, die noch eben froh sich hier tummelten? Fortgezogen ins Sommerquartier, in dem sie freilich das nicht finden, was sie hier genossen! und durch solche Landschaft ziehen die Armen, die wir auf unserem Bilde sehen, denn sie können sich die Zeit nicht wählen; es sind nicht freie Söhne der Wüste, welche kommen und gehen, wie es ihnen gefällt – das zeigt die Ladung ihrer Kamele, welche nicht das bunte Allerlei des beduinischen Hausrathes samt dem Hause selbst, dem Zelte, tragen, sondern wohlverschlossene Kisten, wie sie in gleicher Größe und Schwere zur Warenversendung auf Kamelsrücken gebraucht werden Diese Leute gehören einem jener Stämme an, welche am Rande der Wüste ihren Wohnsitz haben, im Uebergang vom Nomadenleben zur Seßhaftigkeit begriffen und namentlich als Frachter den Großhändlern nützlich sind, welche den Vertrieb der Aus- und Einfuhrware für die größeren Wohnplätze der Wüste in Händen haben.

Meisterlich versetzt der Künstler den Beschauer in die Situation: da sehen wir rechts im Vordergrunde so ein vertrocknetes Steppenkraut seine dürren Arme in die Luft strecken, da sehen wir, wie jeder Schritt der wandernden Menschen und Thiere Staubwolken vom Boden aufwirbeln läßt, während die öden Kalksteinhöhen im Hintergrunde die brennenden Sonnenstrahlen abprallen lassen, das Auge blendend ; noch mehr aber sagt uns der Ausdruck, der diesen Gestalten in Haltung und Gesicht ausgeprägt ist : sie wissen, in welch peinliche, ja gefährliche Lage sie kommen, wenn sie wieder in ihrer Hoffnung getäuscht werden, wie es eben der Fall war, wo der bekannte Brunnen, der sonst länger Wasser zu halten pflegte, erschöpft gefunden wurde.

„Wasser! Wasser!“ ist jeder Gedanke in ihnen, ruft jede Fiber in ihnen und doch nützt es nichts, sich in Ungeduld und Sorge auftreiben : das Lastkamel schreitet weiter in dem gewohnten regelmäßigen Schritt, dem der Mensch sich anpassen muß: dieser kann nichts thun als ausharren, schweigen, seine Sache Allah anheimstellen, dessen der Orient und der Occident ist: „Nord und südliches Gelände, ruht im Frieden seiner Hände“. Auch unsere Wanderer werden in seiner Hut das erstrebte Ziel erreichen, wir wünschen es ihnen von Herzen – schon deshalb, weil ihre augenblickliche Noth dem Künstler den Gedanken dieses Bildes eingegeben, welches beim ersten Anblick das in uns weckt, kraftvoll und packend, was wir vom Künstler vor allem anderen in uns geweckt haben wollen: Stimmung.

Martin Hartmann.


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Der Artushof der Kurländerinnen.

Von Ernst Hellmuth.

Das bescheidene Herrenhaus des Gutes Löbichau, unweit Altenburg, an der Straße nach Ronneburg gelegen, war in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einem ansehnlichen Schlosse ausgebaut worden. Ein schöner Park umgab es, der Hauptreiz der sonst landschaftlich nicht eben hervorragenden Gegend; Feld, Wald und Wiesen rings umher trugen das Gepräge sorgfältiger Kultur, die zugehörigen Dorfschaften glänzten durch Anstand und Sauberkeit. Die neue Landstraße von Altenburg her wurde zur Sommerszeit selten leer von Wagen, alle besetzt mit frohen Gästen, die nach dem Schlosse eilten; sehr viele von diesen Ankömmlingen waren eingeladen, sehr viele auch nicht, und doch durften auch diese überzeugt sein, die liebenswürdigste Aufnahme zu finden. Hundert Betten standen stets für Gäste bereit, und ging es auch ein oder das andere Mal etwas eng her, so verdarb das niemand die gute Laune. In der Welt draußen mochte der Krieg toben, mochte ein zu Boden getretenes Volk nach Erlösung seufzen, in diesem abgeschiedenen Winkel herrschte die reinste Idylle. Hier gaukelte in Garten und Park verliebter Sinn um lockende Blumen, schwärmte die Schöne am Arm ihres Verehrers, vergnügte sich jung und alt bei ländlichen Festen oder lauschte wohl auch im Salon dem Vortrag einer literarischen Berühmtheit.

Dieser Sitz der Grazien und Musen war die Residenz der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_571.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2021)