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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

violetten Brokat, das Kleid oben mit einer wundervollen Brosche geschlossen – ein Stück aus dem berühmten Guttenbergschen Diamantschmuck, der nun schon die vierte Generation sah. In der Nähe der alten Dame, die noch würdevoller als sonst dreinsah, bemerkte Gregory einen sehr schönen jungen Mädchenkopf; mehr als eben diesen Kopf vermochte er nicht zu sehen, es schoben sich zuweilen Uniformen dazwischen, aber es war der Mühe schon werth, dies Gesicht zu studieren. Es war tiefbrünett, mit prachtvollen sammetdunklen Augen, in denen ein ergreifender Ausdruck voll stiller Schwermuth lag, eine ganz selbstvergessene Trauer, die hier, inmitten all des Glanzes, um so rührender wirkte.

Der Prosessor legte seine Hand leise auf den Arm des Studenten. „Wer ist die junge Dame dort links am Pfeiler, in der Nähe der Generalin Guttenberg?“

„Ich nannte sie Ihnen schon, Sie haben es wohl überhört – die schöne Erna von Torsten, leider ebenso arm wie schön, und man sagt, diese Armuth soll sie um ihr Lebensglück bringen. Sie und Steinhausen sollen eine leidenschaftliche Liebe füreinander gehabt haben – Genaues weiß freilich niemand darüber.“

Ah, Erna von Torsten! Paul entsann sich jetzt. Eben diesen Namen hatte ihm die Generalin genannt, eben diese kleine traurige Geschichte ihm erzählt. Armes schönes Geschöpf! Und auch Steinhausen sah ernster aus, als ein so gefeierter glänzender Offizier es sonst, selbst in einer Kirche, zu thun pflegt – war es auch ihm schwer ums Herz? Er hatte unrecht gethan, dem jungen Mädchen, dessen Armuth ihm doch nicht unbekannt war, sein Gefühl zu zeigen . . . aber verzeihlich war es immerhin! Es muß hart sein, bei soviel Jugendreiz sein aufflammendes Herz streng im Zügel halten zu sollen, zumal, wenn man merkt, daß auch die Geliebte von der Leidenschaft ergriffen ist! Aber wie grausam dann für sie, verzichten zu müssen, wie grausam auch für ihn, der noch dazu hinzugehen hatte und um eine andere zu freien! Um welche andere? Um Annaliese von Guttenberg!

Der Professor faltete unmuthig die Stirn. Dazu ist die nun aber auch hundertmal zu schade! sagte er sich. Die könnte wohl ein ganzes Mannesherz zu besitzen verdienen, nicht bloß das Bruchstück, das eine andere für sie übrig läßt und das sich nothgedrungen ihr zuwendet, weil sie Vermögen hat und jene andere nicht! Und doch, trotzdem die alte Tante Excellenz das alles weiß, hat sie nichts dagegen, wenn dieser Steinhausen ihre Enkelin heirathet, im Gegentheil, es würde sie freuen, denn er hat ja einen alten Namen, ist hübsch und begabt, wird Karriere machen . . . was thut da das kleine Zwischenspiel mit dem armen schönen Mädchen, das er unglücklich gemacht hat? Die einzige Sorge der guten Großmama ist nur die, ob ihr Enkelkind auch nichts weiß und nichts glaubt von dieser „fatalen Liebesaffaire“ – hätte sie noch diese Gewißheit, so wäre sie sicher ganz glücklich! Ob Annaliese wirklich nichts davon wußte?

Es waren keine sehr heiligen Gedanken, die Gregory während des Orgelspiels und des Gesanges fesselten, aber ihm waren sie heilig. Denn nichts konnte doch wichtiger und ernster sein als das Lieben und Leiden von Menschenherzen, und darüber nachzusinnen schien dem Professor durchaus mit dem Ort, an dem er sich befand, im Einklang zu stehen. Immer von neuem schweifte sein Blick von Steinhausen zu dem schönen brünetten Mädchen, von diesem zu Annaliese von Guttenberg mit dem stolzen Gesicht, um zuletzt finster auf der alten Excellenz haften zu bleiben, die ihm mit ihren Standesideen und Vorurtheilen ganz mittelalterlich erschien.

Als die Feier beendet war, unternahm der Professor mit seinem Schüler noch einen weiten Spaziergang beim schönsten Wetter, und der junge Mann vertraute ihm unter anderem an, daß er eine adlige Kousine habe, die heute auch mit im Brautzug gewesen sei und der er seine Kenntniß der aristokratischen Kreise verdanke. Diese Meta von Thielen schien ihrem Vetter nicht ganz ungefährlich zu sein, er sprach längere Zeit lebhaft von ihr und erwähnte auch, daß sie eine Freundin von Annaliese von Guttenberg sei. Das sei ein reizendes, geist- und lebensprühendes Geschöpf – die alte Excellenz ziehe nur ihrem Jugendübermuth und ihrer Eigenart viel zu enge Schranken – Kousine Meta sage oft, es sei kläglich, zu sehen, wie Annaliese darunter leide und umsonst gegen alle die aufgezwungenen gesellschaftlichen Rücksichten und Fesseln ankämpfe, und es sei noch ein Glück, daß ihr Humor ihr immer von neuem darüber hinweghelfe.

Der junge Mann hatte keine Ahnung, daß der Professor ein Neffe der so scharf kritisierten alten Dame sei, und dieser that auch nichts dazu, ihn über den Sachverhalt aufzuklären. Die beiden kamen dann von diesen weltlichen Dingen auf ein neu erschienenes philosophisches Werk, das viel von sich reden machte, und Gregory lud seinen Schüler ein, ihn des Abends für ein paar Stunden zu besuchen, sie wollten dann einige Abschnitte des Buches gemeinsam lesen und den Inhalt durchsprechen.

*  *  *

Am nächsten Tag um sieben Uhr abends saß die junge Baroneß Guttenberg einsam in ihrem Salon und wartete auf den Professor. Die alten Damen hatten sich pünktlich um halb Sieben bei der Generalin zur Kartenpartie eingefunden, es war aber Sitte, daß Annaliese erst zum Thee um Acht erschien, um sich drüben zu zeigen, falls sie nicht auswärts war, was sie am Tage des Kartenkränzchens mit Geschick und Vorliebe einzurichten wußte.

Anstrengende Tage lagen hinter ihr. Die Proben, das Besorgen und Anprobieren der verschiedenen Kleider, der Polterabend, die Hochzeit, heute vormittag eine lange Debatte über die genossenen Vergnügungen bei den Töchtern des Oberst von Heß, die alle an den Festlichkeiten Betheiligten zu einem solennen „Damenfrühstück“ eingeladen hatten, bei welchem es so lärmend und aufregend zugegangen war wie auf dem polnischen Reichstag im „Demetrius“.

Aber einer so jugendfrischen Natur, wie Annaliese von Guttenberg es war, machten ein paar durchtanzte Nächte nichts, und wenn sie jetzt regungslos dasaß und, die Hände im Schoß, vor sich hinsann, so war es keineswegs körperliche Ermüdung, die sie so gebannt hielt. Sie dachte darüber nach, ob es nicht doch übereilt von ihr gewesen sei, sich heute den Professor Gregory herzubitten, um ihm Dinge mitzutheilen, die sie nicht einmal ihren Freundinnen anvertraute. Sie kannte ihn doch so wenig! Aber eben weil sie ihn wenig kannte, hatte sie gerade ihn gewählt – er würde ihr am besten unparteiisch rathen, vielleicht helfen können, und schließlich hatte sie ihm ja kein zartes Herzensgeheimniß zu beichten, höchstens eine begangene Indiskretion. Und was sie von fremden Angelegenheiten in ihrer Erzählung berühren mußte . . . lieber Gott, das wußten so viele, darüber sprach die halbe Stadt – da konnte es auch noch der Professor erfahren! Annaliese wußte sich nicht zu sagen, wie es kam, aber sie vertraute ihm ganz und gar. Er sah aus wie die verkörperte Ehrenhaftigkeit! Sie vergegenwärtigte sich seine statttiche Gestalt, den kühn getragenen Kopf mit dem vollen schlichten Haar, dem hübschen braunen Bart und den blauen Angen – wenn solch ein Mann einmal sagte: „Ich verspreche es“, oder: „Ich will Ihnen helfen“, dann hielt er auch Wort, es komme wie es wolle! Eigentlich hatte sie sich nie recht um ihn bekümmert, als Kind und Backfisch ihn sogar nicht leiden können – aber was that das? Er war nicht kleinlich, er trug ihr das schnippische Benehmen in keinem Fall nach, sie fühlte das. Sie hatten sich jetzt zusammengefunden – aus dem naseweisen kleinen Mädchen war eine vernünftige junge Dame geworden, da konnte man doch gut ein ernstes Wort miteinander reden. Außerdem war Annaliese ein wenig gespannt, zu erfahren, was denn die Großmama mit Paul Gregory über sie zu verhandeln gehabt hatte. Daß dem so war, darauf hätte sie schwören mögen, die alte Excellenz hätte es ihr sonst sicher nicht gestattet, den Professor in ihren Zimmern zu empfangen, während sie selbst drüben mit ihren Damen Karten spielte. Freilich hielt sie den Neffen wohl für ganz ungefährlich – ein Mann, der kein Offizier war, nicht den Adel besaß und die Grenze der Dreißig bereits seit einigen Jahren überschritten hatte, kam für die alte Generalin ihrer jungen Enkelin gegenüber gar nicht in Betracht. Aber herausbekommen mußte sie ein Komplott, das zwei so verschiedene Naturen, wie ihre Großmama und Professor Gregory es waren, gegen sie schmiedeten! Und ihm dies zu entlocken, schien ihr nicht schwer – er war kein Diplomat und augenscheinlich in gesellschaftlichen Ausflüchten und Kniffen, um nicht Lügen zu sagen, gänzlich ungeübt ... Gott sei Lob und Dank!

„Herr Professor Gregory, Baroneß!“

„Ich bitte!“.

(Fortsetzung folgt.)


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