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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

ins Gesicht peitschte. Ein trübes Dämmerlicht hüllte Menschen und Dinge in ein unerfreuliches Grau, die Dachrinnen sandten ganze Bäche trüben Wassers auf die Straßen und die Köpfe der Vorübergehenben herab, die Regenschirme troffen, und auf dem Asphalt hatten sich Hagel, Nässe und Staub zu einem zähen Brei vermischt, der das Gehen erschwerte und sich den Damen zudringlich an die Kleidersäume hing. November!

Paul Gregory hatte ein freundliches Quartier in der Weinbergstraße im Hause einer ältlichen Witwe, die ihm das Essen schickte und ihrem Mädchen gestattete, ihn zu bedienen. Sie waren beide wohl miteinander zufrieden, namentlich pries der Professor sein Geschick dafür, daß die Witwe vorzüglich kochte und durchaus nicht redselig war. Sie hatte schwere Schicksale gehabt und war eine stille, gedrückte Frau, die mit ihrem Miether nur gerade die nothwendigsten Fragen und Antworten austauschte, natürlich im allerhöflichsten Ton, und dabei waren beide durchaus befriedigt.

Heute hatte der Professor sich einen Arbeitstag vorgesetzt und sich selbst einen feierlichen Eid gelelstet, daß ihn bei diesem Wetter keine zehn Pferde aus dem Hause brächten. Er mußte an die Tante Excellenz und ihre Enkelin denken, die heute zum Polterabend mußten – aber sie besaßen ja Equipage, und wenn einer zu bedauern war, so konnte das höchstens Martin auf dem Kutschersitz sein. Wie reizend das junge Mädchen in dem phantastischen Zigeunergewand ausgesehen hatte! Paul konnte sich nicht denken, daß irgend eine der Mitwirkenden sie überstrahlte. Das war gestern eine rechte Augenweide für ihn gewesen. Und mit diesem Gedanken setzte er sich an seinen Schreibtisch und nahm sein Wörterbuch vor. Die Arbeit ging ihm gut von statten, sein Geist erlaubte sich keine Nebensprünge, und die Zumuthung, Mittag essen zu sollen, erschien ihm als eine störende Unterbrechung. Sein Arbeitszimmer war ebenso wie sein Schlafgemach sehr hoch und geräumig, dagegen der Salon, in welchem er Besuche empfing, nur klein und lange nicht so behaglich ausgestattet. Das kennzeichnete recht Gregorys Gesinnung: er hielt es für seine Gesundheit zuträglich, in einem großen Raum zu schlafen und für seine Arbeiten war ihm das beste Zimmer nur gerade gut genug, Besuche aber empfing er nicht allzu oft, er hielt das für eine Art Zeitverschwendung, da dabei selten etwas Förderliches oder Anregendes gesagt wurde – mochten die Leute mit dem engen Salon vorlieb nehmen!

Von hohen Büchergestellen sahen ihm die Klassiker alter und neuer Zeit bei seinen Arbeiten zu – ein kleines Exemplar des Homer lag, mit vielen Zeichen versehen, jederzeit handgerecht auf einem bestimmten Platz seines Schreibtisches. Er behauptete, er könne besser denken und schreiben, wenn er sich von Zeit zu Zeit eine Seite dieses seines Lieblingsschriftstellers halblaut vorlese. Ein vorzüglicher großer Stich der Rafaelschen „Schule von Athen“ hing zwischen zwei Bücherrepositorien, ihm gegenüber das „Abendmahl“ van Lionardo. Das Arbeitszimmer lag nach einem stillen Hof hinaus; kein Laut von außen störte die Sammlung des Gelehrten. Seinen Studenten, die er sehr liebte, that er die Ehre an, sie hier in seinem Allerheiligsten zu empfangen – Wein und Cigarren standen jederzeit für sie auf einem kleinen Nebentisch bereit. –

Am Tage nach dem Unwetter strahlte eine goldene Sonne hernieder; der Himmel leuchtete in prachtvollem Blau, als schämte er sich seines gestrigen Ungestüms, und ein mildes Lüftchen, das ganz und gar nicht an den November erinnerte, fächelte sanft die Gesichter der Menschen, wie eine schmeichelnde Abbitte.

Auch Gregory fand, er habe gestern fleißig genug gearbeitet, um sich heute seinen gewöhnlichen weiten Spaziergang zu gönnen, den er mit großer Regelmäßigkeit festhielt und ungern aufgab. Seine Weinbergstraße lag ein wenig abseits vom großen Verkehr, ein Vorzug, den der Professor sehr zu schätzen wußte.

Als er jetzt ein Stück Weges gegangen war, traf er einen seiner Studenten, einen nicht mehr ganz jungen Menschen, der ihm vermöge seines sicheren Wesens und seines hingebenden Eifers für die Wissenschaft besonders angenehm war. „Nun, wohin?“ redete er ihn an und faßte ihn pertralltich unter den Arm. „Haben wir vielleicht denselben Weg?“

„Ich – ja – ich weiß nicht, Herr Professor.“ – der Student war etwas verlegen – „nämlich, ich wollte in die Kirche –“

„Der Tausend! Das ist ja ein ungewöhnliches Ziel für einen Philosophen!“

„Ja, es ist dort eine Trauung – ein Offizier heirathet, und unter den Brautdamen sind Bekannte von mir, lauter hübsche Mädchen, die sieht man nicht alle Tage so beisammen –“

Gregory erinnerte sich nicht mehr des Namens, den ihm seine Tante genannt hatte, allein da dieser eben erwähnte Bräutigam ebenfalls Offizier war, ebenfalls heute getraut werden sollte, so war zehn gegen eins zu wetten, daß es dieselbe Hochzeit war, bei der Annaliese von Guttenberg eine Rolle spielte.

Zum großen inneren Erstaunen des Studenten erklärte sein Lehrer sich bereit, mit ihm zu gehen. –

Vor der Schloßkirche war eine große Menschenmenge versammelt. Am Hauptthor wimmelte es schwarz, und wie ein einziger Blick belehrte, war es ein auserlesen feines Publikum, das sich hier, der guten Sache zuliebe, geduldig stoßen und drängen ließ.

Gregory hatte bei diesem Anblick Lust, sofort wieder umzukehren, aber sein Begleiter, der hier gut Bescheid wußte, führte ihn gewandt nach einer schmalen, wenig beachteten Seitenthür, durch ein paar Nebengänge der gewaltigen Kirche und eroberte glücklich mit ihm zwei gute Plätze in ziemlicher Nähe des Altars. Auf die geflüsterte Frage des Studenten: „Ich kenne fast alle, darf ich ein wenig den Cicerone spielen?“ nickte der Professor, und gerade jetzt setzte auch die Orgel ein, und der Brautzug bewegte sich, blumenstreuende Kinder voran, vom Eingang nach dem Altar.

Offiziere, nichts als Offiziere! Und die Damen, alt und jung, meist feine aristokratische Gesichter! Viel Orden, viel echter alter Familienschmuck – große Perlen und funkenwerfende Brilllanten, antik gefaßt, modern gefaßt, in die Locken gestreut, an den Schultern blitzend! Ein eigenes raschelndes und zischendes Geräusch, das die vielen schweren Schleppen auf dem Fliesenboden machten – und wie sie die armen Blumen mit sich fegten, welche die Kinder hingestreut hatten!

Die Braut war ein niedliches Persönchen mit einem halb lustigen, halb neugierigen Vogelgesicht; jetzt freilich schritt sie mit sittsam gesenkten Wimpern und langsam feierlichen Schritten, die ihr bei ihrem sonst munter hüpfenden Gang sehr sauer werden mußten, am Arm des Vetters und bereits standesamtlich angetrauten Gatten einher. Dieser sah recht unbedeutend aus, trotz seiner hübschen blauen Husarenuniform, er hatte gleichfalls ein Vogelprofil – es war dies der Frankenheimsche Familientypus – und schaute fast grimmig ernst drein. Der rauschende Orgelklang, die Kirchenluft und der jetzt aus dem Chor vollstimmig einsetzende schöne Gesang ergriffen ihn sehr, er wollte aber seine Rührung unterdrücken und seiner kleinen Wilma ein Beispiel männlicher Selbstbeherrschung geben.

„Die erste Brautdame ist die Schwester des Bräutigams mit Hauptmann Schönhoff!“ fing Gregorys Begteiter seine geflüsterten Erklärungen an. „Dann der Bruder der Braut mit Komteß Witte. Drittes <paar: der Lieutenant von Steinhausen mit der jungen Baroneß Guttenberg – für mich sieht dies Paar eigentlich am besten aus – dann kommen die beiden Töchter des Oberst von Heß mit ihren Kavalieren – –“

Er fuhr fort, zu sprechen, und der Professor hörte ihm zu und ließ die Fluth all dieser Namen und Titel an seinem Ohr hingleiten. Annaliese von Guttenberg konnte er gut sehen, Steinhausen gleichfalls. Eine wirklich außergewöhnlich gute Erscheinung, dieser Steinhausen. Sein hoher Wuchs überragte alle übrigen, die Haltung war vornehm, die Brust breit, der Kopf klein, die ganze lichtblonde Schönheit sprach von der Rasse dieses Sprossen aus edlem Blut, und im Blick lag offenbar Intelligenz. Seine Dame war ganz in Weiß gekleidet, es gefiel dem Professor sehr, daß sie in einem so einfachen Kleide erschien – er wußte ja nicht, daß diese Schlichtheit für ein geübteres Auge den Stempel großer Kostbarkeit trug. Sie hatte keinen Schmuck, nur eine Ranke von blaßrothen Heideröschen tief von der linken Achsel quer über die Brust, und im dunklen Haar lag ein kleines Kränzlein von den gleiche Blüthen. Ihr Gesichtsausdruck war weder der ausgelassen fröhliche, noch auch der träumerisch liebliche, den Paul neulich an ihr beobachtet hatte. Sie trug heute den Kopf hoch und sah entschieden hochmüthig aus, eine Eigenschaft, die dem Professor immer zuwider war, mochte sie haben wer wollte, und von der er Annaliese gern freigesprochen hätte . . . er konnte sich aber den Ausdruck ihres Gesichtes nicht anders deuten, und es tröstete ihn wenig, daß sie dabei doch so reizend aussah. –

Auch seine alte Tante Excellenz entdeckte er, in starrem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_567.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2022)