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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

auch einem braven Jesuitenpater überlegen ist – sie hatte verspielt, hatte nichts mehr zu verlieren, ihr blieb nur noch der Genuß an ihrer dämonischen Ueberlegenheit über alle diejenigen ihrer bisherigen Freunde, welche ihr gefährdetes Ansehen zu behaupten hatten.

„Ihr selber wißt, daß ich, als mir zuerst Kunde von dem Verschwinden des Junkers wurde, bei der Pfalzgräfin und gleich mit der Färbung, die Ihr der Sache zu geben für gut fandet, daß ich da von dem Verbleib des Knaben in der That noch nichts wußte,“ sagte er, als er sich endlich zu sprechen entschloß, mit tugendhafter Strenge. „Wäre es anders gewesen, ich hätte mich wohl gehütet, Euer verleumderisches Märchen auch nur mit einem Hauche meines Mundes zu fördern.“

„Da Ihr es sagt, muß es so sein,“ meinte die Dame mit einem beleidigenden Lächeln. „Schlägt überhaupt eine Sache erst einmal fehl, so erscheinen bei der plötzlichen Erleuchtung, die uns durch solchen Ausgang wird, alle Schritte verkehrt gethan, welche zum Ziele führen sollten. Hier nun hat der tückische Zufall eingegriffen und mir mein Spiel verdorben. Ich sehe es ein und lege die Karten nieder, obwohl ich wahrlich keine übeln in der Hand hatte. Oder wäre es kein schnöder Zufall, daß die läppische Beichte jenes Schwachkopfes gerade unserem Oberjägermeister hier in die Hände fiel? Jene Beichte, aus welcher zu ersehen, wieviel sündige Schwachheit in einem unwürdigen Gefäße“ – damit machte die Dame, leicht auf sich deutend, einen höhnischen Knicks – „der Orden noch mit dem weiten Mantel der Duldung zu decken vermag.“

Es war einer ihrer letzten Trümpfe, wenn nicht der allerletzte, aber gerade zu rechter Zeit ausgespielt, wie sie an den Mienen des hochwürdigen Herrn sehen konnte. Und in einem ganz anderen Tone, kurz und trocken, fuhr sie jetzt fort: „Enden wir nunmehr, Hochwürdigster, damit mein Anblick Euch nicht länger als billig ärgere. Noch haben wir genügend Zeit, aber nicht allzu viel. Das Fräulein muß frei werden vor Abend, will sagen, ehe es zur Vesper läutet, oder dieser Herr von Nievern ist zu allem fähig. Euch“ – wieder mit höhnisch verzogenen Lippen – „ist ja jede fleischliche Schwachheit fremd; glaubt daher mir, die ich etwas mehr davon verstehe, daß ein Mann, so verliebt wie jener, schon ganz andere Dinge gethan hat, als einen halben Birkenfelder Hof durch das unerhörteste Skandalum auseinander zu sprengen. Noch müßt Ihr mich schützen, Herr, so lange, bis ich mich in Sicherheit und leidlicher Ruhe davongebracht habe. Alsdann werdet Ihr mich fallen lassen oder Schlimmeres thun, dafern ich mich nicht hüte ... ha, ha, der Nievern kannte Euch wohl, da er mir dies sagte – hier preisgeben dürft Ihr die Person nicht, die auf Euere ausdrückliche Empfehlung in dies Nest gekommen ist. Doch was rede ich da! Als ob Euer Hochwürden so unbillig dächte und sich nicht vielmehr der Gelegenheit freuen würde, den Glaubenszustand jener schönen Unschuld alsbald gesund zu befinden!“

Sie schritt nach der Thüre, blieb aber noch einmal stehen und warf wie beiläufig die Mahnung hin: „Daß die Pfalzgräfin nicht umgangen werden darf, seht Ihr natürlich ein. Ihr Eigensinn könnte sonst alles verderben. Es ist fast Mittag – ehe sie speist, könnt Ihr sie nicht mehr sprechen, und jetzt, da ihr der Aerger über des Oberjägermeisters Entlassungsgesuch zu Kopfe gestiegen ist, pflegt sie ihre Vapeurs und zieht sich nach der Tafel zurück; das heißt, sie schläft oder mault in ihrem Kabinett. Ihr werdet aber doch gut thun, Euch dort Einlaß zu verschaffen, damit nicht allzu viel Zeit verloren geht. Wird ihr das Ding durch Euch mundgerecht gemacht, so wird sie sicherlich nicht anstehen, die Aufhebung der Klausur des Fräuleins ihrerseits zu bewilligen. War doch die ganze Sache ohnehin nicht recht nach ihrem Sinne. Wäre sie nicht selber eifersüchtig gewesen wie der Satan, sie hätte Euch und mir damals einen Strich durch die Rechnung gemacht.“

Mit diesen wenig erbaulichen Worten entfernte sich Frau von Méninville; den Abschiedsgruß sparte sie sich. –

Erst volle drei Stunden später war es dem Pater Gollermann gelungen, Zutritt zu Frau Sabine Eleonore zu erhalten. Denn selbst in ihrem letzten oder vorletzten Stündlein hätte diese Dame ihren Beichtiger schwerlich empfangen ohne einiges vorherige Zurechtstutzen ihrer Toilette. Und da man ihr etwa eine Stunde nach der Tafel in ihrem Kabinette, dahin sie sich zurückgezogen hatte, das ehrfurchtsvolle Ansuchen des hochwürdigen Herrn um eine Zwiesprache zu melden wagte, da wurde er allerdings nicht zurückgewiesen, wohl aber hatte der Pater von den Geduldsproben, auf welche die boshafte Méninville gestichelt, gleich hier eine abzulegen gehabt. Denn bis die Pfalzgräfin umgekleidet und theilweise sogar neu „aufgesetzt“ worden war – wie man das Herrichten des Lockenbaues nannte – war viel Zeit ungenutzt verstrichen, zu gelindem Aerger und wachsender Unruhe des Paters, welcher doch der fleischlichen Anfechtung der Ungeduld kaum noch zugänglich sein sollte.

Mit welcher nagenden Rastlosigkeit aber trieben alle diese langsam dahinschleichenden Stunden jenen anderen umher, der über Schritt und Tritt der heute an diesem Handel Betheiligten scharf Wache halten ließ! Vor allem in der Zeit, da der Fortgang des Rettungswerkes, an dem seine ganze Seele hing, bei den Brennscheren und Haarschleifen der pfalzgräflichen Gebieterin zu stocken schien. Doch auch diese Stunden – sie gehörten unter die schlimmsten in seinem Leben – nahmen für den jetzt wahrlich geprüften Liebhaber Polyxenens ein Ende. Herr von Nievern hatte, gestiefelt und gespornt und wie zu einem Ritt über Land ausgerüstet – auch die Pistole im Gürtel fehlte nicht – sein weites Gemach so unablässig durchmessen, daß die Bedienten sich zuraunten, er müsse nun die Dielen schier durchgelaufen haben. Immer wieder hob er dabei den hübschen, scharf geschnittenen Kopf, auf jedes Geräusch horchend. Und so oft er den Fenstern nahe kam, bestrichen die Jägeraugen den innern Schloßhof und das Portal, durch welches die Standespersonen ihren Weg zu nehmen hatten, die zu oder von der Pfalzgräfin kamen. So wußte er denn, wann die Audienz des Paters Gollermann bei der Hoheit ein Ende genommen hatte – der Besuch selber war schließlich ziemlich kurz verlaufen – und nicht lange darauf trug ihm sein Kundschafter auch die Nachricht zu, Frau Sabine Eleonore habe die alsbaldige Ruckkehr des Fräulein von Leyen aus dem Hause der Ursulinerinnen in die Herrenmühle verfügt, nachdem der Pater Gollermann in christlicher Milde zu erkennen gegeben, daß zu des Fräuleins fernerer Befestigung und Unterweisung in Glaubenssachen eine Abwesenheit vom Hause ihres Vormundes nicht mehr vonnöthen sei. Es war sogar ein plötzlicher Antheil für des Fräuleins Gesundheit entsprungen, der, wie man nun fürchten wollte, die Klausnr im Hause der frommen Schwestern nicht eben förderlich gewesen sei.

Nievern hatte ingrimmig gelächelt, als er dies alles erfahren. Es war übrigens kein Geheimniß, sondern die Nachricht durcheilte alsbald den pfalzgräflichen Hof auf Hinter- und Vordertreppen. Es schien fast, als habe die Pfalzgräfin ihr absichtlich eine gewisse nachdrückliche Verbreitung geben wollen, da sie sich gleich nach dem Abgang des Paters öffentlich und ohne Ruckhalt über den Zweck seines Besuches ausgelassen hatte.

Jetzt mußte der Herr von Gouda jeden Augenblick eintreffen. Der Oberjägermeister hatte ihm eine Botschaft zukommen lassen; nicht lange, und vor seine Thüre würde die schwere Kutsche rasseln, in welcher der Oberst sein Mündel nach der stillen Herrenmühle zurückführen sollte – nicht auf lange, wie sich Nievern im stillen gelobte. Die Kutsche sollte nachher, wenn die Zeit herankam, in der Nähe der Klosterpforte warten; er selbst wollte sich dort zu Pferde einfinden, eine halbe Stunde vor dem Abendläuten. Denn eher, das war jetzt schon zu merken, ließ sich auf das Erscheinen Polyxenens nicht rechnen. Und wenn der Oberjägermeister äußerlich seine männliche Fassung bewahrte, so ersehnte er doch diesen Augenblick mit seltsam bebendem Herzen, mit unaussprechlichem Verlangen! Dem kräftigen Manne schwindelte, wenn er sich das süße Weib, das holdeste für ihn auf Erden, in seinen Armen dachte, so bald schon! Wirklich so bald? Wirklich heute noch? Gewiß, und in wenig mehr als einer Stunde! Doch was war das für ein kalter Zweifel, der ihm durch die Glieder kroch, so ungewohnt diesem Günstling des Glucks, dem alles stets gelungen war? Er hatte ja jede Minute berechnet! Jetzt mußte der Pater im Kloster sein – weniger Worte nur würde es bedürfen, um die geistlichen Jungfern zu verständigen. Dann aber würde allerdings noch ein Aufenthalt entstehen, denn der Herr von Nievern kannte seine Leute. Dann würde das Kloster erst noch seinem so übel gehaltenen Gaste sein anderes Gesicht zeigen. Mit Speise und Trank, dem besten aus Küche und Keller, würde man sie pflegen wollen bis zum Ueberdruß, um im letzten Augenblicke noch den Eindruck der öden Kerkerzelle in etwas wenigstens zu verwischen.

Das alles zog Nievern herbei vor seine Phantasie und füllte dergestalt die langsamen Minuten aus. Dennoch wollte die Angst nicht

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