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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

St. Menehould, wenn ich Euch jetzt wohl zu reiten wünsche und thue, was an mir ist, damit es Euch mit der Flucht gelinge. Dem Nievern mögt Ihr sagen, mein Junker von Leyen, daß er mir diesen Dienst heute schwerlich je wett machen wird; alles übrige, was ihm zu wissen frommt, steht in dem Briefe hier. Ich halte Euch nicht länger – geht mit Gott, obwohl Ihr ihm davonzulaufen scheint, mein Sohn! Und Ihr, Alter – seht Ihr mir auch nicht aus, als ob Ihr Euch allzu oft die Messe lesen ließet unter einem Kirchendach, Ihr habt vielleicht doch Euern Patron unter unseren vielen wunderlichen Heiligen – der möge ein Wort der Fürbitte für Euere Heimfahrt einlegen! Daß Ihr schweigt über Euern Besuch bei mir, daran brauch’ ich Euch wohl nicht zu mahnen!“ Und als Lutz unter warmem Danke nach seiner Hand griff, um sie an die Lippen zu führen, rief er: „Schon gut, schon gut!“ und legte seine Rechte zum Abschied auf des Knaben Schulter und blickte ihm ins Gesicht. „Seid Ihr auch jetzt ein so schmuckes Jungfräulein, wie man es sich nur an einem Feiertag zu sehen wünschen kann – ich glaube doch etwas vom Mann in Euch zu spüren! Das beweist, indem Ihr Euere Zunge hütet in Betreff alles dessen, was Euch mit dem Domherrn in Malmedy begegnet ist.“

Der Diener von vorhin war indessen unter die Thür getreten, und von dem Hausherrn entlassen, folgten ihm nun die Flüchtlinge. Trotz der späten Stunde schienen von dem Hausgesinde noch nicht alle zur Ruhe zu sein. „Es geht nach St. Annen zu den Grauen Schwestern,“ raunte der Haushofmeister einem Bedienten, welcher ihnen wie von ungefähr auf der Treppe begegnete, ziemlich vernehmlich zu. „Dorthin sendet Hochwürden die Jungfer zu ihrem Schutze – schade, daß wir sie nicht herbergen dürfen, wie?“ worauf die beiden lachten und der Angeredete nicht eben das ehrbarste Gesicht zog.

Gleich nachher aber war der Begleiter Lutzens und seines alten Gesellen wieder ernsthaft genug. Durch enge dunkle Seitengassen der ohnehin schon nächtlich stillen Stadt führte er sie. Es war als sie endlich an dem Gehöft jenes Brauers angekommen waren, der die Pferde stellen sollte, kein leichtes Stück, diesen aus dem Bett zu holen durch Rütteln und Pochen an Thür und Fenster, ohne zugleich die ganze Nachbarschaft auf die Beine zu bringen. Doch war der Mann am Fenster, ehe die Geduld derer draußen eine allzu harte Probe hatte bestehen müssen, und bald genug in den Kleidern und an der Thür, als er den Haushofmeister des Domherrn erkannt hatte.

Und dann ging alles glätter, als man hätte hoffen dürfen. Nachdem er sich erst hinter den Ohren gekratzt hatte, war Jost Heinevetter denn doch willig und zeigte sich als einen umsichtigen, um nicht zu sagen verschlagenen Gesellen. Niemand weiter im Hause wurde geweckt. Er selber kam nach kurzer Frist aus der Kammer mit einem Arm voll Kleider; und während zwei kräftige Gäule zu ihrem ungemessenen Befremden in aller Stille gesattelt und aus dem Stalle gezogen wurden, ging im Gemach neben dem großen Kachelofen die Verwandlung vor sich, welche aus dem anmuthigen Mägdlein einen jungen Burschen machte, der aufs Haar so aussah – zur schlauen Verwunderung des Brauers – als sei er sein Lebtag nichts anderes denn ein Junge gewesen.

Die Ehrfurcht des alten Strieger vor allem, was sich geistlich nannte, war stets gering gewesen. Wenn er aber jemals vor einem Menschen Respekt gehabt, so war es vor dem Domherrn von Wildenfels, und zwar in dem Augenblick, als der Alte gewahr wurde, was es mit dem Bündel, so der Haushofmeister vorhin mit sich genommen, eigentlich für eine Bewandtniß habe. Dasselbe zeigte sich jetzt als ein Quersack, bequem über den Sattel zu legen, und enthielt außer wackerer Reisekost für zwei, drei Tage – einem ganzen Schinken, dem Gefährten dessen, der abends auf dem Tische gestanden hatte – auch ein paar Krüglein Wein. Dies überantwortete ihm der Hausmeister nun und trat, nachdem der Strieger das Pferd erklettert hatte, an sein Knie heran und gab ihm Anweisung über den Weg. In den offenen Gegenden sollten sie lieber während der Nacht reiten, die, bei zunehmendem Mond, jetzt nicht allzu dunkel sein würde. Durch die engen Bergthäler aber und auf den abgelegenen Waldwegen, auf denen sie sich dann zuletzt der Heimath näherten, würde auch am Tage wenig Gefahr für sie sein.

Das Gehöft des Brauers stieß an die Stadtmauer und aus seinem Garten führte ein Pförtchen durch dieselbe, welchen Umstand der kluge Domherr nicht außer acht gelassen hatte. Also durch den dunklen Garten und unter dem Pförtcheu hinweg, das zu brechen vormals in ruhigen Zeiten einem Bürgermeister vergönnt worden, damit er leichter zu seinem Krautacker gelangte! Hier nahmen die zwei Fremden Abschied, mit kurzem Gruße. Der Junker ließ noch die von seinem harmlosen Standesgefühl erfüllten Worte vernehmen: „Den Dank, Ihr Leute, bleiben wir, will’s Gott, niemand hier schuldig!“

„Schon gut, edles Fräulein! Ihr reitet wohl nicht zum ersten Male bubenweis,“ murmelte Jost Heinevetter in seinen Bart und nickte ihnen nach.

„Nahmt Ihr des Alten wahr?“ meinte dagegen der Haushofmeister seiner Hochwürden ablenkend. „Ein wunderlichcr Kautz! Wie der im Sattel hockt!“

„Sagt lieber: wie er auf dem Gaul klebt – wie eine Schmeißfliege!“ meinte Jost.

Der andere lachte. „Wird wohl auch ebenso schwer abzuschütteln sein wie eine solche. Kommt, Jost – Zeit, daß Ihr wieder in die Federn kriecht! Ich bin’s eher gewohnt, einmal eine Stunde länger zu wachen. In eines vornehmen Herrn Dienste erlebt man mancherlei, wie?“

(Fortsetzung folgt.)




Für die Veteranen und Invaliden der Feder.

Es ist ein altes Bestreben der deutschen Journalisten und Schriftsteller, eine Einrichtung zu schaffen, welche ihnen im Kampfe ums Dasein einen festen Rückhalt gewähren könnte. So ideal der Beruf des Schriftstellers ist, so gewichtig seine Aufgabe als Führer seines Volks, als Verwalter und Vermittler des geistigen Besitzthums der Nation sich darstellt, so ist seine wirthschaftliche Stellung doch nicht von der Art, daß es ihm erlaubt wäre, frei von aller Sorge um das Heute und Morgen ganz den schöpferischen Trieben seines Herzens, seiner Phantasie, seines Verstandes sich hinzugeben. Wohl die Mehrzahl unserer „Helden der Feder“ lebt von der Hand in den Mund, die Arbeit von heute muß das Brot des andern Tages schaffen. Wie der Handarbeiter von der Kraft seines Körpers, so ist der Schriftsteller von der Kraft seines Geistes abhängig, versagt sie, so ist er wehrlos, und in dem Maße der Geist empfindlicher ist als der Körper, wächst auch die Gefahr dessen, der ganz auf die Arbeit seines Geistes angewiesen ist. Von welch tiefem moralischen Einfluß muß es unter solchen Verhältnissen sein,, eine Zuflucht hinter sich zu wissen, die den Ermattenden aufnimmt! Immer wieder tauchte darum in dem Kreise der deutschen Schriftsteller das Verlangen nach einer gemeinsamen Pensionskasse auf, die es dem einzelnen Theilnehmer ermöglichen sollte, durch regelmäßige Einzahlungen in den Zeiten seiner Erwerbsfähigkeit seine Zukunft sicherzustellen. Und endlich hat der langgehegte Wunsch die Erfüllung gefunden. In den ersten Julitagen dieses Jahres wurde zu München der Schlußstein in das Gebäude eingefügt, das, so ist zu hoffen, gar manchem Veteranen und Invaliden der Feder eine leidliche Versorgung, einen schützenden Unterschlupf gewähren wird.

Die Anregungen, welche von den verschiedensten Seiten zusammenliefen, führten im Laufe des vorigen Jahres dazu, daß der Münchener Journalisten- und Schriftstellerverein die Vorarbeiten in die Hand nahm. Es wurde Material gesammelt, wobei insbesondere die Satzungen verwandter Vereinigungen von großem Werthe waren, so diejenigen der „Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger“, der „Allgemeinen deutschen Pensionsanstalt für Lehrerinnen und Erzieherinnen“, des „Allgemeinen deutschen Musikerverbandes“ und der Entwurf einer Renten- und Pensionsanstalt für deutsche bildende Künstler. Ein namhafter Versicherungstechniker, Dr. Wolf, lieh seine sachkundige Unterstützung, und so konnte Ende Februar dieses Jahres ein vollständiger Statutenentwurf, von L. Viereck ausgearbeitet, vorgelegt werden, der denn auch nsch reiflicher Erwägung die Billigung des hierfür eingesetzten Ausschusses, bald darauf auch diejenige einer erweiterten Versammlung zu Leipzig und endlich die des Münchener Schriftstellertages im Juli d. J. fand. Die grundlegende Frage, ob man ein eigenes selbständiges Unternehmen schaffen oder den Anschluß an eine bestehende Versicherungsanstalt vorziehen sollte, ward darin zu Gunsten des ersteren entschieden, in der Erwägung, daß auf diesem Wege nicht nur namhafte Ersparnisse erzielt, sondern auch der ideale Zweck der Gründung, die Hebung des gesamten Schriftstellerstandes, am besten erreicht werde.

Keine Frage hat wohl größere Schwierigkeiten verursacht, als die über die Mitgliedschaft, weil es dabei galt, schnurstracks einander zuwiderlaufenden Auffassungen gerecht zu werden. Meinten die einen, es dürften ausschließlich Schriftsteller und Journalisten aufgenommen werden, welche dies ihrem Berufe nach sind und von dieser Thätigkeit allein oder doch vorzugsweise ihren Lebensunterhalt ziehen, so hofften die andern das Gedeihen der Anstalt von einer möglichst breiten Grundlage, die nicht nur allen ehrenhaften Schriftstellern und Journalisten ohne Unterschied, sondern auch Verlegern, Beamten einer Redaktion ober eines Verlags, überhaupt zu Litteratur und Presse in fördernder Beziehung stehenden Personen den Beitritt freistellen würde. Und in der That hat die letztere

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