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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Lippen. „Und willst Du in dieser Kleidung zu Pferde sitzen, mein Sohn? Sie wird Dich beim Reiten hindern und das wird nicht das Einzige sein.“ Und nun brach das Lächeln wirklich durch: „Ein so schmuckes Mägdlein auf offener Heerstraße pflegt die Augen auf sich zu ziehen, mehr als Euch lieb sein muß.“

Lutz hatte ihn kaum ruhig zu Ende zu hören vermocht; er zerrte an dem langen Rocke, der ihn auf dem Leibe zu brennen schien, und rief: „Flehentlich bitt’ ich Euch, gebt mir ein Wams und Buxen, und wenn’s von Eurem letzten Stalljungen wäre! Zu verwünscht dünkt mich die Mummerei, wenn ich sie auch nicht schelten sollte, denn ohne sie wären wir schwerlich hier. Nicht fünfzig Schritte von der Mauer, über die ich geklettert war, trafen wir auf den ganzen Zug der Winzer, die unseren Vätern die Tage der Weinlese hindurch gefrondet hatten. Wir gingen hart an ihnen vorbei . . . für Landfahrer mögen sie uns gehalten haben, und ein frecher Gesell kniff mich in die Wangen, so daß ich ihm eins versetzte – aber mäßig, denn er lachte nur – und sie hatten alle kein Arg daraus. Doch wir verschwatzen hier die Zeit . . . wollt Ihr uns wirklich helfen, Herr, wie ich von Eurem adligen Sinn erhoffe, so schafft, daß wir heute noch weiter kommen!“

„Und unterwegs liegen bleiben, ausgehungert wie der Hase um Lichtmeß?“ fagte der Strieger. „Wir betteln nicht, Herr; hier –“ und er fuhr in sein Wams und wies dann in der verschrumpften Klaue mehrere große Silbermünzen – „der Herr von Nievern hat mir den Beutel gespickt, er hat es dem Junker gerne vorgestreckt – aber wir haben uns nicht unterstanden, einzukehren heute; der Boden schien uns allenthalben noch zu heiß, zum Mittagbrot und zur Vesperkost haben wir den Riemen nur immer ein Stück fester gezogen. Ich ausgedörrter Schlauch spüre das wenig, aber ...“

„Ich wollte, Ihr schwieget,“ schalt ihn der Junker, dem diese sehr deutlichen Winke die Schamröthe in die Wangen trieben. Doch der Domherr sagte gütig: „Das Geld soll Euch mein Hausmeister einwechseln gegen kleinere Münze, damit Ihr unterwegs keine Neugierde erregt mit Euerem schweren Gelde. Je weniger man Euch nachfragt, desto besser. Und nun, alter Fuchs – denn das müßt Ihr sein, dem dies Stücklein gelungen ist – setzt die Schüssel dort vom Kamin auf den Tisch ... so! Greift zu, mein Sohn, und auch Euer Getreuer möge sich letzen! Hunger thut weh in Eueren Jahren. Ihr versäumt nichts, denn vor der Nacht darf ich Euch nicht entlassen.“

Herr Engelbrecht selber setzte sich in seinen breiten Armstuhl in die Nähe des Tisches, so daß er den Wein zur Hand hatte, und machte in eigener Person den Mundschenk der beiden. Er war nicht karg, sah auch dem Verschwinden seiner Rebhühner mit bestem Humor zu. Einmal gab er ein leises Klingelzeichen, und richtig erschien auch anstatt der anderen der umsichtige Haushofmeister allein. Der Domherr nickte ihm zu – die beiden verstanden einander – und gab ihm eine halblaute kurze Weisung. Und nicht lange, so kehrte jener zurück, auf behenden leisen Sohlen, trotzdem er kein junger Mann mehr war, und setzte stillschweigend einen ansehnlichen Schinken auf die Tafel; auch köstliches Weißbrot fand sich dazu.

Der Haushofmeister schnitt auf und die Stücke verschwanden, wie die Feldhühner verschwunden waren. Der Kanonikus, so herzlich er auch besonders dem armen jungen Schelme da die Mahlzeit gönnte, konnte sich doch eines leisen Bedauerns nicht erwehren. Er empfand es gleichsam als eine Beleidigung der ungewöhnlich feisten und zarten Vögel, daß Junker Lutz in seinem Heißhunger von ihren Vorzügen offenbar nichts verspürt hatte und den zähesten und fadesten alten Hofhahn ganz ebensogern zwischen seinen gesunden Zähnen gehabt haben würde.

Indessen war der Haushofmeister hinter seinem Herrn stehen geblieben und sah wohlwollend mit zu, wie es diesen ungewöhnlichen Gästen schmeckte. Er war weiter nicht verwundert, als der Domherr alsbald noch einen vertrauliche Auftrag für ihn hatte, „Das Fräulein da“ – Herr Engelbert wies mit den Augen auf den tapfer kauenden Lutz, sah dann aber seinen Getreuen bedeutsam an und wiederholte, leise nickend: „Das Fräulein – wenn jemand im Hause fragen und schwatzen sollte – will in der Nacht noch weiter, da sie Nachstellungen von bösen Widersachern fürchtet. Sie ist aus edlem Hause, mir wohl empfohlen und ihr Schicksal derart, daß wir in christlichem Erbarmen unsere Hilfe ihr nicht weigern können. Du lässest alles im Hause zu Bette gehen, geleitest zuvor die Fremden zum Scheine nach dem Kloster der Grauen Schwestern, schwenkst am Brühl links ab und klopfst, ob er wolle oder nicht, den Jost Heinevetter, den Brauer, heraus. Ich hab dem Kerl abermals Frist gegönnt für Zinsen und Kapital; er selber schwört, ohne unsere Milde wäre er längst von Haus und Hof – dafür heisch’ ich nun auch einen Dienst von ihm. Der Jungfrau da wird ein Gelaß gegönnt, um sich der Kleidung, die sie trägt und die sie für gefährlich hält, zu entledigen; sie mag sich in ein Wämslein von des Jost ältestem Sohne staffieren. Zwei von seinen vier Gäulen, und das die besten, werden gesattelt und den Fremden überlassen. Heischt der Alte da Auskunft über Weg und Steg von Dir, so unterweis ihn, so deutlich Du vermagst, und wisse, es geschieht mit dem allem dem Herrn Oberjägermeister aus Birkenfeld ein Gefallen, an dem Du ja auch einen Narren gefressen hast. Daß der von Nievern nicht undankbar und kein schäbiger Filz ist, weißt Du ohnedies. Also mach’ Deine Sache gut! Für Kleider und Pferde komme ich dem Jost Brauer auf, das versteht sich. Er mag sagen, er hätte mit den Gäulen einen fortgeschickt auf den Hopfenhandel. Gäbe ich unsere Pferde her, so hätten wir morgen das Gerede darüber. Ich denke, es ist besser so.“

„Das gebe Gott, Hochwürden,“ sagte der Mann, der doch etwas bedenklich schien über den verwickelten Auftrag, und entfernte sich.

Als die Flüchtlinge ihre Mahlzeit vollendet hatten, heischte der Domherr von ihnen mit vorsichtig gesenkter Stimme einige Auskunft, nicht nur über die verwegene Flucht des Knaben aus dem Stifte, sondern mehr noch über die Umstände, die den jungen Ludwig zum widerwilligen Zögling der frommen Väter überhaupt gemacht hatten. Und da vernahm er seltsame Dinge. Die Entdeckung des jungen Herrn von seiten des Strieger, das Einverständniß der beiden, das Entkommen – abenteuerlich, wie das alles gewesen war, gab es ihm doch weit weniger zu denken als die sehr unvollkommenen Aufschlüsse, welche der Junker über den wunderlichen Schicksalswechsel, der ihn plötzlich zum Jesuitenzögling gemacht hatte, zu erzählen wußte.

Sollte man ihm glauben – und der Knabe sah nicht wie ein Lügner aus – so hatte er eines Tages im alten Grasgarten zu Hause am Wasser gestanden, als gerade die jenseitige, ganz in der Nähe vorbeiführende Landstraße entlang eine vornehme Kutsche mit zwei stattlichen Grauen gekommen war. Der Reisewagen irgend eines großen Herrn, wie es schien, denn nach Birkenfeld gehörte das Fuhrwerk nicht, noch einem von Adel aus der Nachbarschaft. Neugierig hatte der Junge, für den schöne Pferde zudem eine besondere Anziehungskraft besaßen, das Abenteuer näher betrachten wollen und war deshalb hastig auf den Steg gesprungen, der aber aus weiter nichts als einem quer über den Mühlgraben gelegten schlüpfrigen und dazu morschen Balken bestand. Und nun ergab sich eine große Lücke in seinen Erinnerungen. Daß der treulose Balken, den er schon hundertmal als Brücke benutzt, gerade dies eine Mal schmählich nachgegeben hatte, das wußte er wohl und auch, wie ihm zu Muthe gewesen, als derselbe drüben am anderen Ende absplitterte und sich unter ihm senkte. Sein Schrecken war nicht allzu groß gewesen – er hatte sogar in dem kurzen Augenblick Zeit gehabt, vornehmlich an seine nassen Kleider zu denken und wie Polyxene schelten würde, die ihm diesen Uebergang schon oft verwiesen hatte. Dann aber wußte er nichts mehr, als daß er, während das Wasser über ihm zusammenschlug, einen scharfen Schmerz am Kopfe gefühlt hatte, so heftig, daß ihm darüber wohl die Sinne vergangen sein mußten.

„Ihr seid auf den Balken im Wasser aufgeschlagen,“ warf der Domherr dazwischen, der dem Bericht mit ernster Aufmerksamkeit gefolgt war. Der Strieger, dessen ebenfalls scharf horchendes Gesicht er dabei mit den Blicken streifte, ergriff die Gelegenheit, ihm bestätigend zuzunicken; das war auch seine Erklärung für dasjenige, was Lutz sich noch kaum die Mühe gegeben hatte, zu begreifen, „Ich muß lange bewußtlos gewesen sein,“ erzählte der Junker weiter, „und als ich endlich wieder etwas von mir merkte, lag ich gar weich und das war mir gerade recht, denn ich kam mir wie an allen Gliedern zerschlagen vor. Einmal brachte ich die Hand an den Kopf, und so dumm war mir zu Muthe“ – trotz des Ernstes der Lage lachte hier Ludwig kurz auf bei der Erinnerung – „daß ich damals glaubte, ich sei es nicht, sondern ein anderer, weil ich statt meines Haarschopfs nur Tücher und Binden spürte. Sehen konnte ich auch nicht – nur hören, und das schlecht genug; der Kopf war mir dumpf wie in einem Schraubstock. Da haben sie an mir gedoktert und kuriert,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_534.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2021)