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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)



BLÄTTER UND BLÜTHEN.

Kufstein. (Mit Abbildung.) Zwiespältige Empfindungen erweckt der Klang des Namens Kufstein. Ein liebliches Bild steigt vor uns auf, ein breiter, belebter Thalgrund, von bläulich milchigem Strom durcheilt, umrahmt von den waldreichen Höhen des Gebirgs, mitten inne auf luftigem Felsenthrone eine malerische Feste – dazwischen aber drängt sich die Erinnerung an einen unbehaglichen großen Raum mit Reisenden aller Nationen in allen Kostümen, aufgerissene, durchwühlte Koffer, befehlende Beamten- und aufgeregte Frauenstimmen, ein tolles Dnrcheinander, eingetaucht in jenen spezifischen Bahnhofduft von Ruß und kaltem Rauch – die Zollstation. Denn Kufstein liegt hart an der bayerisch-österreichischen Grenze, und wer aus dem Bayerischen kommt, der muß sich in Kufstein von den wachsamen Hütern des österreichischen Gesetzes auf Herz und Nieren, beziehungsweise auf Cigarren und anderes Zollpflichtige prüfen lassen.

Kufstein.
Nach einer Zeichnung von O. Strützel.

Heute machen wir eine Gedankenreise – und Gedanken sind bekanntlich zollfrei. Unbehelligt wandern wir daher vom Bahnhof auf der linken Seite des Inn und hinüber über die eiserne Brücke, die in zwei mächtigen Bogen den Strom überspannt. Und gleich hinauf zur trotzigen Feste Geroldseck. Sie hat ihren kriegerischen Beruf längst an den Nagel gehängt und öffnet dem Fremdling gastlich ihre Thore, sie nimmt ihn wie ein Kind auf ihre Schultern, um ihm die schöne Aussicht rings zu zeigen. Die Geschichte dieser Burg ist im wesentlichen die Geschichte der Stadt, obwohl diese älter zu sein scheint als jene. Man weiß, wie im Mittelalter und bis an die Pforten der neuesten Zeit heran Land und Leute die Besitzer wechselten. Erbschaft, Heirath, Schenkung und Krieg verschoben jahraus jahrein die Grenzen, Städte, Burgen und Landschaften fielen durcheinander wie die Steinchen im Kaleidoskop – immer wieder ein anderes Bild! So ist auch Kufstein viel zwischen bayerischen und tirolischen Herren hin und hergeworfen worden.

Etwas Dauer gewannen die Verhältnisse durch den Vertrag von Schärding (1369), der unseren Platz auf anderthalb Jahrhunderte in bayerische Hände brachte. Es war das eine Zeit tüchtigen inneren Aufschwungs für die Unterinnthaler Orte, so auch für Kufstein. Schon früher hatte diesem Kaiser Ludwig der Bayer einträgliche Zollrechte verliehen, unter Markgraf Ludwig von Brandenburg kamen allerlei Marktgerechtigkeiten dazu, und nun gewährte der Herzog Stefan von Bayern 1373 gar noch Steuerfreiheit! Kein Wunder, daß sich die so mit Privilegien gesegneten Bürger Schätze genug sammelten, um sich den Luxus einer festen Ringmauer gestatten zu können, denn eine solche muß gestanden haben, als Herzog Stefan in einer Urkunde aus dem Jahre 1393 den Ort Kufstein feierlich mit der Bezeichmlng „Stadt“ beehrte. Dieser Fortschritt in der Geschichte Kufsteins erschien wichtig genug, jetzt nach genau einem halben Jahrtausend durch festliche Veranstaltungen im Gedächtniß der Bewohner aufgefrischt zu werden.

Wir wollen die Geschichte Kufsteins nicht im einzelnen weiter verfolgen. Mehrmals noch ging es in den kriegerischen Jahrhunderten von Kaiser Maximilian I. bis zur Napoleonischen Zeit aus bayerischem Besitz in österreichischen, von diesem in bayerischen über, bis es nach der Neuordnung aller europäischen Verhältnisse durch den Wiener Kongreß dauernd bei Oesterreich verblieb und nun auch wieder die Ruhe fand, um die

schweren Schädigungen aus den Zeiten der Noth und Drangsal zu verwinden. Die mancherlei Belagerungsschrecken, wie die Hinrichtung des zähen Kommandanten Hans Pinzenauer und seiner Getreuen durch Kaiser Maximilian, die Explosion des Pulvermagazins der Burg im spanischen Erbfolgekrieg, sie bilden heute einen dankbaren Einschlag in die Erzählungen der einheimischen Cicerone. Zoll- und Mauthrechte der Stadt sind gefallen, aber ihre herrliche Lage ist ein unveräußerliches Privilegium, dem kein Kaiser und kein Staatsvertrag etwas anhaben kann. Jahraus jahrein sammeln sich hier in den Sommermonaten zahlreiche luftbedürftige Scharen, sie zerstreuen sich in die lieblichen Thäler, steigen hinauf auf die Zinnen des Kaisergebirgs, um erfrischt und gekräftigt heimzukehren an die Stätten ihrer Berufsarbeit. Und mancher wandert wohl auch hinaus zu dem stillen Friedhof am Fuße des Kalvarienbergs, dort das Grab zu besuchen, in dem „Deutschlands Friedrich List“ nach einem stürmischen Leben die letzte Ruhe fand.

Der neue Nachbar. (Zu dem Bilde S. 521.) „Aller Anfang ist schwer,“ sagt wohl das Sprichwort, aber nicht immer trifft es zu. Hier war der Anfang leicht: als Herr Peter Vorndran, dessen Verdienste als tapferer Feldhauptmann im großen Krieg nach dem Friedensschluß durch einen Adelsbrief belohnt worden waren, nun von dem neugeschenkten kleinen Gütlein seine Augen in die Runde warf und entdeckte, daß in dem stattlichen Herrensitz ihm gegenüber eine einsame adelige Witib in annehmbaren Jahren wohne, die Eigenthümerin all’ der schönen Felder und Wälder ringsnm, da strich er vergnügt seinen Schnurrbart und sagte: „Adelig sind wir auch. Die heirathen wir!“

Und nun steht er hier im neuangeschafften alamodischen Habit und fühlt etwas ganz Neues, Unbekanntes, daß ihm den runden Rücken beugt und ein verlegenes Lächeln auf sein feistes Gesicht malt. Teufel, Teufel – das ist ja alles ganz anders, als er sich’s gedacht! Die einsame Witib ist nicht einsam. Da steht ein vornehmer Oheim, dort am Fenster flüstern ein paar frisierte Junker und mustern geringschätzig den neugebackenen Standesgenossen, während die Gesellschafterin einen spöttischen Blick auf seine beginnende Glatze und die unbehilflichen Reiterbeine in Kniehosen und Strümpfen wirft. In den kühlen klaren Augen der verwitweten Freifrau steht aber vollends nichts geschrieben, was wie Ermunterung aussähe. Armer Herr von Vorndran! Ob er sich’s an diesem einen Tag in vornehmer Umgebung wird genügen lassen oder ob er dennoch bald eine tollkühne Werbung wagen und mit einem gewaltigen Korb heimreiten wird? . . . Darüber hat uns der Maler des hübschen Bildes im Zweifel gelassen – mögen sich die Leser diesen kleinen Roman aus dem siebzehnten Jahrhundert nach Belieben ergänzend ausdenken! Bn.     

Der Geruch. (Zu unserer Kunstbeilage) Mit diesem Blatte schließt die Reihe der Rößlerschen Allegorien auf die fünf Sinne. Wiederum ist eine ideale Frauengestalt der Mittelpunkt der Gruppe, mit ihrem Geleite von niedlichen Putten ist sie versunken in den Duft der Blumen, die in reicher Fülle sie umranken. Die fünf Bilder, die Rößlers Meisterschaft im Idealisieren des Sinnlichen alle in gleichem Maße erweisen, dürften wohl in der Sammlung unserer „Gartenlaube“-Kunstbeilagen einen bevorzugten Platz einnehmen. Für diejenigen, welche sich den ganzen Cyklus jetzt zusammenstellen wollen, sei hier noch beigefügt, daß die früher veröffentlichten Blätter bei den Nummern 20 und 43 des Jahrgangs 1892 und bei den Nummern 5 und 16 des Jahrgangs 1893 zu finden sind.


manicula 0Hierzu Kunstbeilage IX: Der Geruch. Von R. Rößler.


Inhalt: [ hier zur Zeit nicht dargestellt.]


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_532.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)