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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Es wird mir nicht leicht, indes –“ Er sah Thränen in den Angen Ernas schimmern – er hatte sie ins Hcrz getroffen! Das brach seinen Zorn. „Hoheit, ich bin zerknirscht, ich –“

Der Fürst fiel ihm ins Wort. „Dem Glück eines Menschen hinderlich zu sein, liegt mir ferne,“ sprach er kalt. „Ordnen Sie Ihre Angelegenheit mit Herrn von Aschau! Von meiner Seite steht Ihrer Entlassung nichts entgegen.“ Er sah auf Erna und erschrak über ihre Blässe, die Verzweiflung in ihren Mienen. „Nicht, als ob ich Ihren Entschluß nicht bedauerte,“ setzte er einlenkend hinzu. „Vielleicht ist er nicht unwiderruflich, vielleicht Herr Hagemann nicht unerbittlich. Wie gesagt, besprechen Sie die Sache mit Ihrem Chef! – Liebe Erna, Excellenz von Aschau will sich Dir empfehlen.“

Leisewitz ging wie betäubt aus dem Saal. Während er im Vorzimmer auf Aschau wartete, sammelte er sich. Das war der dümmste Streich seines Lebens – oder auch nicht. Er brütete vor sich hin. Hatte er nicht jetzt den deutlichen Beweis dafür, daß das Herz der Prinzessin – ihre Blässe, ihre Thränen – konnten sie etwas anderes bedeuten?

Als er mit Aschau im Wagen saß, begann dieser: „Ich sage wie Heines Kapitän: ,Doktor, sind Sie des Teufels?‘ Ich soll mit Ihnen die Angelegenheit ordnen; was heißt das? Wenn der Fürst Sie entläßt, wie kann ich Sie halten! Und wo find’ ich sofort Ersatz? Leisewitz, das war nicht schön von Ihnen! Meine Nerve sind für solche Sturzbäder nicht mehr stark genug.“

„Haben Excellenz mich auf diese Ueberraschung mit der tollen Oper des Kapellmeisters vorbereitet? Nach Ihren Andeutungen durfte ich anderes erwarten.“

„Die Prinzessin hat mich ja selbst erst kurz vor Ihrer Ankunft eingeweiht. Das ist noch der einzige Trost in meiner schrecklichen Lage, daß mir die Oper erlassen bleibt. Tasso! Alte Hofgeschichten! Das liest sich in Goetheschen Versen ja recht schön, liest sich! Aber als Oper! Wie soll ich das Stück ausstatten? Weder Turnier noch Tarantella, kein Sturm, kein feuerspeiender Berg oder dergleichen! Dieser Robert Lenz – wie Herr Walter mein Studiengenosse – war als Schüler herzlich unbedeutend, nun wird er plötzlich zum Genie gestempelt. Das haben Sie auf dem Gewissen! Wenn Sie das Lied nicht so verrückt schön gesungen hätten, würde dieser Lenz nie zur Blüthe gekommen sein!“

„Die Oper sei gut oder schlecht, ich will nicht darin singen. Und da ich der Prinzessin das nicht sagen konnte, blieb mir kein anderer Ausweg –“

Aschau beugte sich vor, um dem Sänger ins Gesicht zu sehen. „Deshalb, deshalb! Ihr Künstler bleibt mir ewige Räthsel. So viel Talent und so wenig Lebensklugheit! Ich bitte Sie, wenn wir zwei einig sind, kann der Mann auf die Aufführung warten bis zum jüngsten Tag!“

„Und die Prinzessin, der Fürst?“

„Ja, glauben Sie, daß unsere Herrschaften ihr Herz an eine Komödie hängen? In acht oder vierzehn Tagen denken sie nicht mehr an ,Tasso‘, und wenn Sie vier Wochen lang nicht singen, auch nicht mehr an Sie! Das Gute für Sie bei der Sache ist: man hat Ihre Verlobung nicht ungnädig aufgenommen. Morgen beim Vortrag werde ich ja sehen, ob nicht jetzt der Fürst auf Ihrem Abschied besteht.“

„Ich komme nicht in Verlegenheit. Für eine zweite Kunstreise in den Vereinigten Staaten sind mir außer freier Reise – und ich reise wie ein Fürst – hunberttausend Mark zugesichert.“

„Und was sagt Papa Hagemann zu dieser Hochzeitsreise?“

„Da sein ältester Sohn in Chicago lebt –“

Aschau wurde ärgerlich. „Also, Sie wollen fort.“

„Ich bleibe, wenn ich nicht den Tasso singen muß.“

„Lasseil Sie doch die Toten ruhen, oder richtiger – lassen Sie mich für das Begräbniß sorgen! Wegen Herrn Walters Schützling wollen wir uns nicht entzweien ... wo verbringen Hagemann und Ihre Braut den Abend?“

„In ihrem Daheim, Schillerplatz Nummer sieben. Sie werden mich kaum mehr erwarten. Dennoch –“

Aschau zog an der Schnur und sagte dem Bedienten, der den Kutschenschlag öffnete: „Schillerplatz Nummer sieben!“

Dort erfuhr Leisewitz vom Zimmermädchen, daß sich die Herrschaften bereits zurückgezogen hätten. Der alte Herr gehe früh zu Bett, das Fräulein sei bis vor einer halben Stunde allein im Lesezimmer gesessen ...

„Sagen Sie morgen früh, daß ich dagewesen bin! Sie kennen mich doch?“

„Aber,“ erwiderte die Donna mit verschämtem Lächeln, „wer wird Herrn Leisewitz nicht kennen!“

„Also vergessen Sie nicht, morgen früh!“

Der Schillerplatz strahlte in elektrischem Licht; Droschken kamen an und fuhren ab. Dazwischen wimmelten die Fußgänger. Alle Durstigen der Stadt schienen sich hier ein Stelldichein zu geben, denn in den vielen Bier- und Weinstuben hätte kein Apfel zur Erde fallen können. Der Lärm in den Schenken und auf dem Platz war groß. In der Pilsener Bierhalle war Blechmusik, beim Müncher-Bräuwastel hielten Studenten, die ersten Winterschwalben, ihre Antrittskneipe:

„Brüder, zu den festlichen Gelagen
Hat ein guter Gott uns hier vereint!“

klang es herüber. Der Artushof war eine aufgezogene Spieldose mit geschlossenem Deckel. Man hörte aus dem Innern Walzerweisen, jetzt Brummbaß und Geigen, dann Paukenwirbel und Trompeten – alles aber gedämpft, heimlich. Im großen Saal war Ball.

„Die arme Emma!“ sagte sich Leisewitz, als er in das Freie trat, „sie wird nicht schlafen können. Ich habe an den Nachtlärm nicht gedacht. Aber die Wohnung liegt so bequem – nur fünfzig Schritte, und ich bin daheim.“


8.0 Rückgang.

Die Gesellschaft in Solitude hatte sich längst zerstreut; Erna war mit der Gräfin Casasola allein. Im Kamin brannte ein Feuer; der Flammenschein und das ruhige Licht aus dem anstoßenden Schlafgemach leuchteten ihnen allein. Die beiden waren Freundinnen, sobald sie sich unter vier Augen befanden.

„Seine Verlobung ist Dir also gleichgültig, Erna?“

„Nicht gleichgültig, mich freut es, daß jenes liebe Mädchen, das meine ganze Zuneigung besitzt, aus der Enge herauskommt und eine gute Partie macht.“

„Aber dann bist Du mir noch wunberbarer: Du schwärmst für die Braut und bist unglücklich, weil sie uns den Bräutigam entführt!“

„Ja, unglücklich! Ihn singen hören war meine einzige, meine letzte Freude.“

„Uebertreibst Du nicht seinen Werth? Niemand ist unersetzlich. Das gilt wohl auch von Tenoristen!“

„Nicht zweimal spielt der Zufall so wunderbar!“

Die Gräfin nahm die Hand der Freundin „Ach, Erna, Erna! Nicht wegen seiner Geburt, seines Standes – in meinem Vaterland denkt man milder darüber – nicht deshalb mißgönn’ ich ihm den Sieg –“

„Welchen Sieg?“

„Ja, glaubst Du denn, Deine Thränen heute hätten dem eitlen Manne nicht alles verrathen?“

„Was verrathen?“ fragte Erna erstaunt, dann schlug sie ein helles Gelächter auf. „Du hältst mich doch nicht für verliebt in Herrn Leisewitz?“

„Erna – ich weiß nicht, was ich sagen soll – aber man weint doch nicht um den Verlust eines Sängers, sondern höchstens um den eines – Freundes!“

Erna blickte mit schwärmerischer Miene in die Flammen. „Ich schon, ich schon,“ sagte sie in singendem Ton. „Ja, das war bisher mein einziges Geheimniß vor Dir, mein süßes Geheimniß. Ich glaube, jeder hat einen Wunsch oder eine Erinnerung, die er vor der Welt verbirgt – auch Du! Warum entziehst Du mir so hastig Deine Hand? Verrathe mir nichts! O, ich kenne die Seligkeit, ganz allein mit seinem Traum zu sein! Höre mich an, und dann, und dann, meine Livia, hilf mir ihn fesseln!“

Sie blickte von den Flammen auf die Freundin, die vom Widerschein des Feuers, vor Neugier und im Bewußtsein des eigenen Geheimnisses glühte.

„Hast Du Eueren Wintersitz am Gardasee noch im Gedächtniß? Euer Wohnhaus hatte einen zweiten Eingang von der stillen Straße her. Man trat durch einen Mauerbogen auf einen Vorplatz, auf dem eine Platane stand, und wandte sich dann links in

das Haus. Eine alterthümliche Steintreppe, mit Aloën besetzt –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_527.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2022)