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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


In ihr sonnigstes Festgewand hatte sich die Landschaft gekleidet, den Tausenden zu Ehren, die mittags in langen Wagenzügen herausgefahren waren, Männer aus allen Kreisen der Münchener Gesellschaft, dazu ein reicher Kranz von Frauen und Mädchen in duftigen Sommergewändern. Um vier Uhr verkündeten Böllerschüsse die Ankunft der Galeere, welche den Prinzregenten und sein Gefolge brachte. Kaum hatte der Hof das für ihn erbaute Prachtzelt erreicht, als weithinschallende Fanfaren den Beginn des eigentlichen Festes einleiteten. Und nun bewegte sich wie eine lebendig gewordene Sage ein ganz eigenartiges Bild über den See herbei. Von einem riesigen Seeungeheuer gezogen, schwamm eine zerklüftete Felseninsel, eine haushohe Grotte daher. Korallen rankten um sie; Seesterne und andere Meergebilde hingen an ihr, an ihrem Fuße bewegten sich langmähnige Wasserweiber und fischschwänzige Nixen. Auf dem höchsten Punkte des Felsens aber stand der Seegeist in ehrwürdigem Weißbart. Athemlos still standen die Tausende von Zuschauern, als der Alte vom See mit dröhnender Stimme seinen Festgruß ans Land herüber rief. Dann wandte sich das Ungeheuer wieder prustend und schnaubend seewärts; die „Nixen“ – lauter jüngere Kunstschüler – sprangen jauchzend und plätschernd in den See, schwammen neben der Insel her, und langsam verschwand das Märchengebilde hinter den bergenden Baumgruppen eines Landvorsprunges, während die Menge in lauten Jubel ausbrach. Der war kaum verhallt, als unbeschreiblich zarte Töne sich vernehmen ließen. Vom Ufer der Roseninsel her zog eine reichgeschmückte Galeere mit vergoldetem Mast und gerefftem Purpursegel. Sie trug die Rosenkönigin und ihr Gefolge: etwa fünfzig oder sechzig Mädchen in hellen vielfarbigen Gewändern, welche einen eigens komponierten Chorgesang mit Harfenbegleitung sangen. Ruderknechte in alterthümlichen Gewändern bewegten das wunderbare Fahrzeug; hoch auf dem ragenden Hinterdeck aber stand, den Lauf des Schiffes leitend, die Rosenkönigin in wehendem weißen Kleide. So landete das Fahrzeug, die Mädchen stiegen aus, tausendstimmig begrüßt, überschütteten die Gäste mit einem Blumenregen und brachten auch Blumenkörbe und Kränze hinauf in den Kiosk der Prinzessinnen. – Damit aber neben den Geistern des Sees und der Insel auch der Wald vertreten sei, zog gleich nachher auf einem von Einhörnern gezogenen Wagen „Waldmeister“ ein, geführt von einem ehrwürdigen Klausner, begleitet von einem entzückenden Gefolge kleiner Mädchen, die als Insekten und Blumenelfen erschienen, mit buntschillernden Flügeln und schwankenden Fühlhörnchen, Später, als diese kleinen Waldgeisterchen auf einer benachbarten Wiese zu spielen und zu tanzen begannen, konnten sich die Zuschauer kaum satt sehen an dem liebenswürdigen Anblick dieser kleinen Elfen, die mit kindlichem Jauchzen sich haschten und durch das Gras tollten. Reizend war’s aber auch, als nach einiger Zeit die Rosenmädchen wieder in ihr Prunkschiff stiegen und mit dem gleichen Gesange wie bei der Ankunft langsam in den See hinaus steuerten. Und als sie mit ihren Tüchern und Fächern zum Abschied winkten, flogen, als wär’s verabredet gewesen, Tausende von Taschentüchern und Hüten grüßend in der Luft; schien es doch, als wollte das schöne Fahrzeug hinausgleiten in unendliche blaue Fernen, bis zu den Inseln der Seligen, beglänzt von den letzten Strahlen der Abendsonne.

Und als endlich der Sommertag ganz zur Neige gegangen war und eine laue Nacht sich über Wald und See hereinsenkte, da blitzte es allerwärts auf von bunt funkelnden Lichtern; Feuergarben schossen über den See und in lohender Pracht zeigte sich noch einmal, wie ein Phantom aus dem Dunkel auftauchend, die Felseninsel der Seegeister, um gleich einem sprühenden irrenden Gestirn wieder zu verschwinden. Tiefe Nacht verschlang das zauberische Bild, während unzählige Boote heimwärts eilten und oben unter Musikbegleitung die Gäste auf breiter Waldstraße zum Bahnhofe hinaufzogen.

Diese Tage reihen sich würdig dem Schönsten an, was die Münchener Künstlergenossenschaft während ihres fünfundzwanzigjährigen Bestandes schuf. Ist auch der Festjubel verbraust: die reinen und poesievollen Anregungen, die er nach allen Seiten hin gab, sie bleiben als holdes Vermächtniß bestehen. M. H.     




Der Sänger.

Roman von Karl v. Heigel.
(4. Fortsetzung.)


Der Fürst stand im Rokokosaal mit dem Arzt im Gespräch. Durch die offene Thür sahen sie in eine Reihe erleuchteter Zimmer, aus dem letzten klang Klavier und Gesang.

„Der Aufenthalt an der See,“ sagte eben Doktor Walter, „hat leider nichts gebessert; doch steht es auch nicht schlimmer als vor der Reise.“

„Und jede Stunde kann unser Geheimniß verrathen. Wir wandeln immer an einem Abgrund.“

„Und warum wollen Hoheit nicht einer so grausamen Entdeckung zuvorkommen?“

„Wie meinen Sie das?“

Muß es Geheimniß bleiben? Ein Sprichwort sagt: ,am Geheimniß ist kein Segen.‘“

„Ich verstehe Sie jetzt. Ich soll der Welt, der schnöden Welt freiwillig unser Unglück, das Ansehen meiner Tochter, das Andenken ihrer Mutter preisgeben? Zu diesem Schritt fehlt mir der Muth – nichts mehr davon! – Aber das Konzert ist zu Ende, die Gesellschaft bricht auf. Was ich Sie fragen wollte: kennen Sie den Musiker, der auf Ernas Wunsch hierher kommt, genau?“

„Robert Lenz ist mein bester Freund; ein Ehrenmann, Hoheit, und wie ich von Sachverständigen gehört habe, in seinem Fache sehr tüchtig. Ich sehe in der Nähe der Prinzessin sehr viel lieber ihn als den Opernhelden Leisewitz.“

„Sie haben ein Vorurtheil gegen den Sänger. Die Prinzessin hält ihn hoch, und ihrem Urtheil in künstlerischen Dingen vertraue ich unbedingt. Ueber sein Privatleben hört man nichts Nachtheiliges. Freilich, er ist eitel, aber das sind sie alle.“

Damit wandte sich der Fürst von Walter ab und ging in das anstoßende Zimmer, der Gesellschaft entgegen. Erna kam auf ihn zu und ergriff seinen Arm. „Du hast sehr viel versäumt, Papa,“ sprach sie. „Leisewitz hat das Lied von Schumann wundervoll gesungen.“ Flüsternd setzte sie hinzu: „Bitte, sag’ es ihm jetzt, bevor Aschau fortgeht.“

„Warum bleibt Aschau nicht zum Thee?“

„Ach, seit er Intendant ist, ist er unausstehlich. Er behauptet, er müsse die Nächte hindurch Manuskripte lesen.“

Leisewitz, ein Notenheft in der Hand, trat zuletzt in den Saal.

„Sie haben uns wieder einen großen Genuß bereitet, lieber Leisewitz,“ redete der Fürst ihn an. „Wir stehen bei Ihnen in der Schuld.“ Der Sänger verneigte sich; jetzt kommt die Ueberraschung, dachte er. „Meine Tochter und ich wünschten längst, Ihnen einen Beweis unserer Dankbarkeit zu geben, der Ihrem Werth und Wesen entspricht. Ein Künstler wie Sie lächelt über die üblichen Auszeichnungen. Wir sannen hin und her; meine liebe Erna fand das Richtige. Sie hat mir von dem Erstlingswerk eines Musikers erzählt, von Ihrem herrlichen Vortrag einer Arie –“

„Von Tassos Lied, lieber Leisewitz!“ sagte Erna.

„Kurz, meine Tochter wünscht Ihnen Gelegenheit zu einer neuen künstlerischen That zu geben. Ihr Freund, Herr Robert Lenz trifft in diesen Tagen als unser Gast hier ein, und Excellenz von Aschau wird für eine in jeder Weise glänzende Aufführung der Oper ‚Tasso‘ Sorge tragen.“

Wieder verbeugte sich der Sänger, nicht aus Dankbarkeit, sondern um seine Verwirrung zu verbergen. In ohnmächtiger Wuth zerknitterte er das Liederheft. Er haßte in diesem Augenblick nicht diejenigen, welche ihm diese Enttäuschung bereiteten, sondern Robert Lenz. Etwas von diesem Haß funkelte in seinen Augen, als er sich wieder aufrichtete. „Sind Sie mit mir zufrieden?“ fragte hastig die Prinzessin.

„Ueberglücklich!“ erwiderte er mit gepreßter Stimme, „Wenn die Hoheiten keine Befehle mehr haben –“

„Wollen Sie uns schon verlassen?“

„Ich bitte um die gnädigste Erlaubniß.“ Er richtete die Augen auf die Prinzessin. „Wie der Zufall spielt – ich habe Besuch aus Wörde – Herrn Hagemann –“

„O, unsern Hauswirth!“ rief Erna und lachte fröhlich.

„Herrn Hagemann und seine Tochter, meine Braut.“

Eine neue Enttäuschung! Die Prinzessin rief, offenbar angenehm überrascht:

„Das schöne blonde Mädchen ist Ihre Braut? Und ich erfahre das erst heute?“

„Ich dachte nicht, daß ein so unbedeutendes Ereigniß wie meine Verlobung –“

„Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück! Ihre Braut und Herr Hagemann bleiben hoffentlich länger hier?“

„So lange, bis mir eine untertänigste Bitte von Seiner Hoheit dem Fürsten gewährt wird.“

„Eine Bitte, lieber Leisewitz?“ fragte dieser. „Die wäre?“

„Die unterthänigste Bitte um meine Entlassung. Herr Hagemann willigt in unsere Verbindung nur unter der Bedingung, daß ich der Bühne entsage und in Wörde lebe.“

„Leisewitz, Sie wollten –“ rief der Fürst.

„Mein Lebensglück hängt von der Großmuth Eurer Hoheit ab.“ Und jetzt war er befriedigt – die Prinzessin stand blaß, fassungslos.

„Sie verlassen uns?“ rief sie.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_526.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)