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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Hierzu nickte Herr von Nievern, fast gemüthlich, als habe er nichts anderes erwartet. „Halten wir uns nicht lange auf mit dem, was Ihr zu sagen habt; es ist dies von wenig Belang,“ bemerkte er, und der unveränderte Ausdruck in seinen Zügen zeigte ihr, daß es in der That von keinem Belang war. „Hört mich lieber zu Ende! Habt Ihr gedacht, ich ließe mich etwa nur mit der Befreiung des Fräuleins abkaufen und Euch hier Euere Rolle weiter spielen, so irrt Ihr gründlich. Da sei Gott vor, daß ich mich der Niedrigkeit schuldig machte, die giftige Schlange wieder frei zu lassen zum Verderben der Menschen, nur weil ich und das Meine gegen ihren Biß gefeit sind! Ihr vollbringt, was ich von Euch verlange ... das Fräulein wird heute noch den Ihrigen zurückgegeben, und dann verlaßt Ihr sofort die Stadt – auf immer! Ihr seid aber frei und unbehindert, das Euere mit Euch zu nehmen, wohin Ihr wollt. Ist dagegen Polyxene heute, wenn es Abend läutet, noch im Kloster, so stehe ich für nichts ... die Pfalzgräfin erfährt dann heute noch, wen sie hier gehegt hat. Und die guten Birkenfelder – je nun, sie sind schwerfällig, dabei aber mir herzlich zugethan. Der Gedanke, daß der Giftmord etwa verjährt sei, wird nicht so leicht Eingang in ihre dicken Köpfe finden wie die fröhliche Ueberzeugung, man müsse Euch dafür gleich eins versetzen. Der Thurm ist Euch zum Nachtquartier gewiß, meine Kavalierparole darauf – nicht aber kann ich Euch versprechen, daß sie Euch nicht auf dem Wege dahin steinigen werden.“

„Es steht Euch wohl an, einem schwachen Weibe so zu drohen,“ sagte die Méninville, jetzt mit klappernden Zähnen.

„Einem Weibe?“ der unsägliche Hohn zerfraß das Wort fast, während er es hervorstieß. „Sagt lieber, einem Teufel! Aber gleichviel! Gebt Euch bald daran, zu thun, was Euch obliegt! Ihr habt neun Stunden Zeit dafür ... in neun Stunden bringt Eueresgleichen noch ganz anderes fertig. Was seht Ihr mich so an?“ Er konnte es nicht hindern, den kräftigen Mann trat ein leises Grauen an bei dem Blicke tödlichen Hasses, den sie ihm zuwarf. „Möchtet Ihr mir auch ein Tränkchen kredenzt haben?“

Die Worte waren ungroßmüthig; er fühlte es, sobald sie gesprochen waren. Das Weib aber verzog die Lippen zu einem cynischen Lachen. „Nein, um Euch wäre es schade gewesen; Ihr habt mir immer gefallen. Und deshalb, und da ich’s um Euch eigentlich besser verdient hätte, mein hübscher Herr von Nievern, haltet mir eine Frage zugute, eine Frage schierer Neugierde: wann und wo ist der dumme Tölpel in die Hölle gefahren, der mir das wohlgemeinte Legat dieser Beichte hinterlassen hat? Und hat er sich doch noch, ohne daß ich ihm weiter den Weg gewiesen, allein zu Galgen und Rad gefunden?“

„Ich kann Euch keine Auskunft über den Mann geben,“ erwiderte Nievern kalt. „Sein Bekenntniß liegt mir jedoch vor, schriftlich und wohl beglaubigt.“

„Ihr besitzt es?“ fragte sie, und ihm entging der lauernde Blick nicht, mit dem sie ihn streifte. So hütete er sich denn wohl, etwa mit unwillkürlicher Bewegung nach der Brusttasche seines Wamses zu greifen, in welcher er die Blätter trug; er zuckte mit keiner Muskel, während er entgegnete: „Das laßt Euch nicht kümmern. Die Schrift wird zur Hand sein, sobald wir sie gebrauchen, verlaßt Euch darauf! Ich gehe jetzt, aber glaubt nicht, daß Ihr unbewacht Euch selber überlassen seid! Ihr werdet gut thun, Euch zunächst gleich mit dem Pater Gollermann ins Benehmen zu setzen, der die Klausur des Fräuleins veranlaßt hat.“

„Eins nimmt mich wunder,“ höhnte Frau von Méninville, „warum Ihr erst zu mir kommt, anstatt gleich zu dem hochwürdigen Herrn selber zu gehen mit Euern Neuigkeiten. Gering muß doch wohl Euere Hoffnung gewesen sein, sie dort um den Preis, den Ihr verlangt, abzusetzen!“

„Mit nichten; ich wollte Euch nur die schmutzige Arbeit bei der Sache selber thun lassen.“ Und jetzt war er noch einmal dicht vor ihr. „Hofft nichts von den Jesuiten, wenn Ihr hier erst einmal Euern erschlichenen guten Namen eingebüßt habt. Aber was sag’ ich Euch das! Ihr wißt so gut wie ich, daß sie Euch fallen lassen werden, sobald Euch auch nur ein Verdacht streift. In dem Philippsburger Handel von damals ist ihnen nichts nachzuweisen, vielleicht hatten sie wirklich nichts damit zu schaffen. Aber Ihr kamet auf warme Empfehlung des Ordens hierher ... ich rathe Euch, den hochwürdigen Herrn Beichtvater ihrer Hoheit daran zu erinnern. Und nun: gedenkt Ihr zu leisten, was ich verlange? Sonst bliebe mir allerdings nichts übrig, als auf eigene Faust mit dem Pater Gollermann zu verhandeln. Dann aber ändert sich unser Pakt. Ich rufe die Obersthofmeisterin hierher, beantrage sofort Zimmerarrest für Euch und übergebe Euch ihr ...“

„Nein, laßt die langhalsige Gans fort – den Spaß soll sie nicht haben,“ sagte die Méninville. „Ich will thun, was Ihr verlangt – wenn ich es vermag. Ihr traut mir nichts Geringes zu. Wider Wissen und Willen legt Ihr damit noch Zeugniß ab für die gute Meinung, die Ihr von den Geistesgaben der Méninville hegt. Ha, ha“ – sie lachte schlimm vor sich hin – „wenn Ihr alles wüßtet, hättet Ihr vielleicht noch eine bessere. Euch dagegen hätte ich nicht für den gehalten, der sich so über Hals und Kopf in das bißchen Jugend vergaffen würde! Nun, habt Euern Willen – dann wird der Segen, den ich dieser Mariage wünsche, schon nicht ausbleiben!“

Sie war imposant in ihrer unverhüllten Bosheit. In den Abscheu, mit dem Nievern sie betrachtete, mischte sich jetzt etwas von widerwilliger Bewunderung, welche die eine rücksichtslos verwegene Natur der anderen abdrang. Zu sagen hatte er ihr freilich nichts mehr, und so verließ er sie mit gemessenem Gruße.

Sie, in der tauben Gleichgültigkeit, die dem Zusammenbruche eines ganzen Lebensgebäudes bei dem Betroffenen zunächst zu folgen pflegt, starrte ihm nach, und dann verzogen sich ihre Lippen zu dem Zerrbild eines Lächelns über eben jenen Gruß, welchen seine eingefleischte Courtoisie nicht einmal ihr, der Verbrecherin, verweigert hatte.




24.

Die Fenster und Thüren im Hause des Kanonikus von Wildenfels in Malmedy waren an einem stürmischen Novemberabend, während draußen die Winde wie toll über die kahlen Gefilde fuhren längst verwahrt – bis auf das große Eingangsthor, aus welchem bis zu später Stunde noch gastlich der rothe Lichtschein auf die dunkle steile Gasse hinaus zu fallen pflegte. Herr Engelbrecht selber saß oben im wohlerhellten Gemach vor dem gedeckten Tische in behaglicher Laune. Ihm, der außer den Freuden einer guten Tafel keine höher schätzte als die der Jagd, war dies weiche Novemberwetter gerade recht, welches dem Wilde wie dem Weidmann zupaß kam, und er ließ sorglos und in guter Ruhe den schneefeuchten Weststurm um die Zinnen seines hochgelegene Hauses schnauben und an den Dachtraufen musizieren. Denn an der Art der Melodie hörte der Herr, wetterkundig wie alle Jäger, daß an einen Umschlag und harten Frost schwerlich so bald zu denken sei.

Der Sturm trieb es aber ein bißchen arg heute abend. Als die großen Saalthüren sich jetzt öffneten, um zwei schüsseltragenden Dienern, die gemessen einander folgten, Einlaß zu geben, da wurde dem dritten, einem kleinen Pagen, der eine mächtige Thürflügel krachend aus der Hand gerissen, von einem gewaltigen Windstoß, weicher von unten herauf durchs Haus fuhr, einen Theil der Kerzen auf dem Tische auslöschte und das Kaminfeuer in hochlodernder Flamme weit in den Schornstein hinauftrieb.

Anderswo hätte bei einem solchen Anlaß die Dienerschaft sich gewiß bekreuzt und geglaubt, es sei da eben der Gottseibeiuns näher, als einem lieb sein mußte, vorüber gesaust. Mit dergleichen gab man sich aber nicht ab in diesem aufgeklärten und ein wenig spottsüchtigen geistlichen Haushalt. Betreten waren die Diener jedoch darüber, daß ihnen der Windstoß die Beine beinahe unter dem Leibe weggerissen hatte, und dann wäre es um den köstlichen Rheinsalm wenigstens, den der eine trug, geschehen gewesen!

Der Domherr fuhr ein wenig scharf herum. „Was war das für eine Lotterei! Man muß bei einem solchen Sturm das Hausthor schließen!“ Sein ärgerlicher Blick traf gerade noch den alten Haushofmeister, der draußen stand und die Achseln hob, als wollte er für den unhöflichen Wind um Entschuldigung bitten. Die gewölbte Halle draußen erschien dunkel; der Luftzug mußte die Fackeln und Windlichter im Portal und auf den Treppen ausgelöscht haben.

Hatte so der Mahlzeit schon vor dem Beginn eine Störung gedroht, so schien es derselben auch nicht beschieden, in der unverbrüchlichen Ordnung und Ruhe wie sonst zu enden. Den Fisch zwar hatte Herr Engelbrecht unbehelligt verzehren dürfen, was schon eine geraume Zeit in Anspruch nahm, da der gute Herr den Moselwein, dessen Begleitung nach seiner Ansicht der Salm

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