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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
 (17. Fortsetzung.)
23.

Als Herr Viktor von Nievern endlich vor das Angesicht der frommen Witwe und fürstlichen Vertrauten kam, da geschah es, daß beide, die einander nun mehrere Wochen lang nicht gesehen hatten, sich einmal wieder mit raschen prüfenden Blicken maßen. Und was die Méninville sah, gefiel ihr überaus. Sie dachte dabei: was für ein Mann das ist; wahrlich, einem solchen begegnet man nicht leicht zweimal im Leben! Und das alles sollte nur für jene bettelstolze Einfalt gewachsen sein, die es nimmermehr zu würdigen weiß? Allzu dumm ginge es doch in der Welt her, wenn unsereiner nicht zuweilen eingriffe!

Leider war der Oberjägermeister in seinem Herzen so ungalant, beim erneuten Anblick der Dame keineswegs ähnliche Empfindungen gegen sie zu hegen. Sein ganzes Innere kehrte sich um in Widerwillen, nein, in Grauen vor der mattfarbigen Hagerkeit dieser Gestalt mit dem schmalen harten Gesicht, den langen Händen. Wo hatte er die Augen gehabt, daß er an ihr je irgend einen Reiz hatte entdecken können!

Mit gesenkten Wimpern und leiser glatter Stimme bat Frau von Méninville jetzt um Verzeihung, daß der Herr Oberjägermeister habe ein weniges harren müssen. Darauf er mit blitzenden Augen: „Laßt Euch meine verlorene Zeit nicht verdrießen, Madame! Wäre sie mir auch etwas lang geworden, so fällt unser Zwiegespräch dafür jetzt hoffentlich um so kürzer aus. Wollet Euch aber doch niederlassen, ich bitte! Hier ... so!“

Was war das für ein Ton und für eine Art, mit der er ihr hier im eigenen Gemach herrisch einen Platz anwies und sich dann den eigenen Sessel so rückte, als sei er nicht sowohl ihr Gast als vielmehr ihr Wächter! Mit dem sanften Befremden einer schuldlosen Seele hob die Méninville die verblichenen Augen zu dem Oberjägermeister auf, senkte dieselben aber rasch wieder, und ein Schrecken kroch durch sie hin, kalt und lähmend – die Angst vor einem ganz neuen Zuge in seinem düster entschlossenen Antlitz.

Herr Gott, wenn es doch keine Vergangenheit gäbe! – Aber sie war eine wahnwitzige Thörin gewesen, soeben zu fürchten! Dieser Gedanke der Erleichterung durchzuckte sie, als Nievern nun endlich begann: „Ich komme, um von der trefflichen Frau von Méninville einen Dienst zu erbitten. Meine Braut, das Fräulein von Leyen, wird im Kloster der Ursulinerinnen unter nichtigen Vorwänden in Haft gehalten. Euer Einfluß, Madame, ist groß, sowohl bei der Pfalzgräfin als bei dem Pater Gollermann. Und ich irre wohl nicht, wenn ich bezweifle, daß Ihr bisher denselben zum Heile des unglücklichen Fräuleins verwendet habt. Besinnt Euch jetzt eines Besseren, ich bitte! Das Fräulein muß frei werden, heute noch, und Ihr werdet mir dafür einstehen!“

Das Aufathmen der Dame war von kufrzer Dauer gewesen. Sie hörte aus dem seltsam sich verändernden Tone heraus, daß der Mann da vor ihr sie in der Hand zu halten glaubte.

„Ich verstehe den Herrn Oberjägermeister nicht,“ sagte sie aus trockener Kehle. „Ich vermag in dieser Sache nichts, habe nichts damit zu thun. Warum wendet sich der Herr nicht an die ihm so günstige Frau Pfalzgräfin selber? Unbegrristich ist es mir, wie er sich jetzt gerade meiner bescheidenen Person erinnert.“ Sie hatte immer weiter gesprochen, weil er wie lauernd schwieg, ein finsteres Lächeln um die Lippen. Sein drohendes Schweigen reizte sie aber jetzt, so daß sie mit einem bösen tückischen Blicke fortfuhr: „Der Herr von Nievern vergißt auch wohl, wenn er sich über das Mißgeschick des Fräuleins beklagt, welche seltsamen Gerüchte sich an das Verschwinden des jungen Lutz von Leyen knüpfen.“

Das hätte sie nicht sagen sollen. Der Herr von Nievern legte den Arm aufs Knie und bog sich nahe zu ihr hinüber aus seinem Sessel, mit welchem er ihr jeden Ausweg aus ihrer Zimmerecke versperrte. „Ihr sprecht von diesen Gerüchten, Ihr wagt es, die Rede zu bringen auf diese niederträchtigen, aus der Luft gegriffenen Verdächtigungen des reinsten Wesens? Aber – daß ich das Fräulein hier nur nenne, möge sie mir verzeihen!“ Seine Stimme wurde schneidend wie ein Messer, als er fortfuhr: „Wo zuerst diese Verdächtigung entstanden ist, welche unserer arglosen Fürstin als ein allgemeines Gerücht zugespielt wurde, das wissen wir jetzt, Madame von Méninville aus Philippsburg! Andere könnten sich billig über soviel Erfindungsgabe in Euerem klugen Kopfe wundern, Leute, die nicht wissen, daß Frau von Méninville gar mannigfache Erfahrungen besitzt und selber vielleicht am besten demjenigen zu rathen wüßte, dem es um das Verschwinden eines Ueberlästigen zu thun wäre. Wie dünkt Euch, Madame?“

Aber Françoise von Méninville war keine gewöhnliche Frau, und Feigheit war ihr Fehler nicht. Sie schien ganz kalt zu bleiben, und so sagte sie, indem sie den Blick, wie nach einem Ausweg suchend, ungescheut durchs Zimmer schweifen ließ: „Was ich vorhin sagte, wiederhole ich jetzt: ich verstehe nicht, wo der Herr hinaus will. Aber ich bitte, daß Ihr mir Raum gebt, mich zu entfernen und Euch das Gemach zu überlassen, oder ich rufe um Hilfe. Euch bedauere ich, Herr von Nievern, da das Unheil, so über Euer Liebchen gekommen, Euch offenbar den Verstand verwirrt hat.“

Eins hatte sie erreicht: Herr von Nievern saß sekundenlang wie erstarrt über so viel Keckheit. Dann aber – und sie hatte noch nicht nach Beistand gerufen – war er dicht vor ihr, schlug die Arme übereinander und sagte, verächtlich auf sie niedersehend: „Jetzt ist es genug mit dieser Komödie! Soll ich Euch eine Geschichte erzählen? Von einem armen Teufel, Balthasar Gutzeil mit Namen, dem der Schutz und die Förderung durch die frommen Väter von der Gesellschaft Jesu an Leib und Seele so wohl gediehen ist? Den sie in Dienst brachten zu dem kränklichen Herrn von Méninville und der Betschwester, seinem Weibe? Der Mann hat mancherlei dort erlebt; bei Gott, es war eine Kondition, in der man etwas lernen konnte! Er sah seinen armen mattherzigen Herrn hinsiechen unter der Pflege der gnädigen Frau; er schloß Augen und Ohren gegen das, was er sah und hörte, um den Dienst nicht zu verlieren, denn er selber war ein ängstlicher Geselle, in hungernder Jugend verkümmert. Aber er hatte Unglück oder die andern waren zu dreist; zum völlig Blinden konnte er sich nicht machen, und so traf er einst das verbuhlte Weib in den Armen eines jungen Schwarzrockes. Und um den Plan, den Madame nun ausheckte, den armen Kerl unschädlich zu machen, könnte sie wahrlich der Schwarze in der Hölle beneiden! Er wurde der Wärter seines Herrn – er mußte ihm die Pülverlein einschütten, die sie bereitete und kraft deren der gute Herr in der That aller seiner Schmerzen ledig wurde. Sie zwang ihn dazu durch alle die Künste, die sie verstand; er war wie Wachs in ihrer Hand. Und als dann, nach einer Gabe, die ausreichte, der Herr von Méninville seine Glieder streckte und steif und blau wurde – da warf sie ihm den Mord in die Zähne! Sie drohte ihm mit peinlicher Anklage, wenn die Sache ruchbar würde – aber – sie ließ mit sich handeln! Gutherzig, wie sie war, wollte sie den armen Teufel nicht ins Unglück bringen. Schwieg er nur über alles, was vorgegangen war, so meinte sie dazu helfen zu können, daß das Versehen, wodurch ihr lieber Gemahl zu Tode gekommen, nicht ans Licht gelangte. Ein schwächlicher Herr war er ja immer gewesen, dessen mageren Gliedern die Ruhe im Grab zu gönnen war! – Und nun, Madame von Méninville, ehrbare Witwe des seinerzeit mit ein wenig Rattenpulver vergifteten, hoffentlich seligen Herrn François – wundert Ihr Euch nun noch, wenn derjenige, der dies alles weiß und durch den es in einer Viertelstunde Hof und Stadt wissen kann, Euch seine Bedingungen stellt?“

Tiefes Schweigen im Gemach. So still steht der Jäger über der Falle und lauscht, ob das gefangene Wild sich noch regen wird! Hatte dieser hier wirklich seinen Fang gethan? Die Méninville zitterte nicht und verrieth keinen Schrecken, keine Unruhe. Das, wogegen sie anzukämpfen hatte, war vielmehr ein Gefühl eisiger Kälte, das tief aus dem Innersten heraus lähmend durch alle ihre Adern kroch und sie zu erstarren drohte. Deshalb sprach sie jetzt langsam, mit schwerer Zunge, während der matte erloschene Blick ihn fast gleichgültig streifte: „Ich trotze Euch und Euern Drohungen, Geht hin und seht, wer Euch Euere schändlichen Verleumdungen glaubt! Hat jener Schwachkopf, mein Diener, etwa in einer Krankheit geschwatzt, aus alberner Todesfurcht, so hat er phantasiert, Beweisen könnt Ihr nichts – Euere veralteten schmählichen Lügen brauchen mich nicht zu kümmern.“

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