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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Gäste, namentlich Du, lieber Leisewitz – es bleibt bei dem ,Du‘! – warst ein liebenswürdiger charmanter Kerl, und auch Dein Giuseppe machte seine Sache vorzüglich. Wilhelm nahm sich zusammen – alles klappte. Man soll zwar den Tag nicht vor dem Abend loben, doch da ich des Kaffees sicher bin, darf ich schon jetzt sagen: dieser Tag gehört zu den schönsten meines Lebens. Wo ist der Wilhelm? Liebes Kind, schenke Du unserm Leisewitz ein – der alte Schwede trinkt nicht! Was ich sagen wollte – wirst Du das Haus kaufen?“

Da sah er zu seiner Rechten Leisewitz, zu seiner Linken Emma knieen. „Vater, verzeihe uns, segne uns! Siegfried und ich sind miteinander verlobt!“

Hagemann fuhr empor. „Leisewitz,“ rief er, „Sie sind ein falscher Mensch – ein – ein – das verzeih’ ich Ihnen nie!“


7.0 Traum und Erwachen.

Seine Excellenz der Hoftheaterintendant Aschau stand in seinem Amtszimmer an den Schreibtisch gelehnt, im Gespräch mit Siegfried Leisewitz. Wenn wir sagen, daß auf dem Tisch außer einer lebensgroßen Büste Richard Wagners sämtliche im Verlauf von acht Wochen eingereichten Dramen Platz hatten, wird man sich von seiner Länge und Breite eine Vorstellung machen können. Wenn Aschau einen unangenehmen Besuch schnell abfertigen wollte, zeigte er auf diesen Tisch: „Sie sehen, wie sehr ich mit Arbeit überhäuft bin.“ Wenn ihn junge Dichter, Tonsetzer und so weiter um Förderung ihres Werkes baten, wies er auf die Büste: „Meine Begeisterung für die Kunst steht über jedem Zweifel, aber als gewissenhafter Beamter muß ich auch an den Geldpunkt denken.“

Der Lärm einer Hauptstraße tönte unablässig herauf. Ein Gemurmel im Vorzimmer und der Schall von Fußtritten im Flur, auf den eine zweite Thür führte, hörten nicht auf. Dazwischen klangen aus der Ferne Musik und Gesang, Hammerschläge und Klingelzeichen.

„Seien Sie edel, Leisewitz; verbittern Sie mir nicht auch mein Dasein! Ich hasse keinen Feind so, daß ich ihm wünschen würde, Theaterintendant zu sein. Haben Sie irgend einen ernsten Grund zur Verstimmung? Die kleinen Scherze eines neidischen Genossen müssen Sie gar nicht hören. Die Zeitung, die Sie mir nannten, ist ein Winkelblatt. Schicken Sie dem Kläffer eine Freikarte oder dergleichen! Ihnen zulieb gestatte ich gegen mein künstlerisches Gewissen den Hervorruf auf offener Bühne. Gestern, waren die Leute da nicht wieder wie toll?“

„Das wird aufhören, sobald es Krieg giebt. Wer geht dann in die Oper! Dann können wir die Bude schließen.“

„Die Bude? Ich will das Wort nicht wieder hören, Herr Hofopernsänger Leisewitz. Es ist übrigens noch die Frage, ob Sie recht haben, der Krieg selbst ist fraglich. – Beiläufig, unsere Prinzessin ließ mich gestern in die Loge rufen; wir sprachen von Ihnen. Sie möchte Ihnen eine Freude bereiten, weiß aber nicht womit. Ich ließ ein Wort vom Heinrichsorden fallen –“

„Excellenz. wirklich?“ rief der Sänger erfreut.

„Warum denn nicht? Ich wünsche Ihnen alle Ritterkreuze der Welt, wenn Sie mir mein Kreuz erleichtern.“

„Aber erster Klasse, Excellenz.“

„Freilich, freilich! Doch nun reden Sie mir nicht mehr von Ueberanstrengung, von Stimmbändern und so weiter! Das macht mich nervös.“ Er fuhr über den Scheitel; dann veränderte er seine Stellung und wies auf den Schreibtisch. „Stündlicher Verdruß und täglich fünf, sechs Trauerspiele – das bringt den stärksten Mann herunter!“ Er reichte ihm zwei Finger. „Also gut sein, verträglich sein, Leisewitz! Sonst noch etwas?“

„Ich erlaube mir, Excellenz mitzuteilen, daß heute Herr Hagemann mit meiner Braut eintrifft.“

„Also doch! Schön! Grüßen Sie beide, und – und – hm ... nun werden Sie aber nicht heftig, ich frage als Ihr Freund: denken Sie im Ernst an diese Heirath?“

„Ja, haben Sie mir denn nicht selbst dazu gerathen?“

„Ach, in Wörde! Da war ich noch jung und ein Leichtfuß wie Sie. Heute könnte ich Ihr Vater sein. Ich fürchte, die Heirath wird Ihrer künstlerischen Entwicklung schaden. Künstlerehen sind in der Regel keine glücklichen.“

„Keine Regel ohne Ausnahmen, Excellenz.“

Aschau zuckte die Schultern. „Fräulein Hagemann ist ja reizend, aber Sie werden den Papa mit in den Kauf nehmen müssen. Wenn ich mich recht erinnere, sprachen Sie damals von seiner Uehersiedlung hierher. Nun, die Poesie wird er Ihnen nicht ins Haus bringen.“

Leisewitz warf sich in die Brust. „Mein Schwiegervater ist so reich, daß ich nicht mehr nöthig habe, Sklavendienste zu thun. Wir werden reisen; auf Reisen zeigt jedermann nur seine guten Seiten.“

„Glanben Sie, Sie könnten ihren Erfolgen mit einem Mal entsagen? Sie werden und müssen singen.“

„Mag sein, aber nur noch in Konzerten.“

„Und die schönen, wirksamen, namentlich bei Damen wirksamen Kostüme – heute Schwanenritter, Morgen Fra Diavolo? Und vergessen Sie auch nicht, daß Sie an uns gebunden sind; mit goldenen Fesseln, aber gebunden! Doch verlieren wir uns nicht in unmögliche Möglichkeiten! Es ist ein ernster Schritt – Sie werden ihn überlegen.“

Leisewitz lachte. „Ich werde so frei sein, Excellenz zur Hochzeit einzuladen.“

„Werde nicht ermangeln, zu erscheinen, und gleichwohl das Ereigniß aufs tiefste bedauern. Haben Sie der Prinzessin Ihre Verlobung schon angezeigt?“

„Noch nicht,“ erwiderte Leisewitz zaudernd.

„Ah,“ rief Aschau vergnügt, „nun hab’ ich Sie! ‚Noch nicht!‘ Im Grund der Seele fühlen Sie – ich sage nicht Furcht, aber ein gelindes Gruseln. Der letzte Schritt – nicht heftig werden, lieber Leisewitz – ist ein Salto mortale, und Sie wissen noch nicht, ob Sie springen werden. Es wundert mich aber, daß man in Solitude nicht schon von anderer Seite Ihre Verlobung erfahren hat.“

„Ich habe sie außer Ihnen noch niemand mitgetheilt. Der Besitz eines Schatzes macht vorsichtig.“

„Bewahre, das Grausen vor dem Sprunge macht Sie klug. Ich rathe Ihnen ernstlich: sprechen Sie auch heute und morgen auf Solitude nicht davon. Lassen Sie ein paar Wochen ins Land gehen, und wenn Sie dann noch entschlossen sind, in Gottes Namen – dann ziehen Sie eben Ihre Hoheit ins Vertrauen, aber ich fürchte ...“ Er hielt vorsichtig ein. „Vielleicht täusche ich mich, aber ...“ er stockte wieder, dann, dem Sänger aufs neue die zwei Finger reichend, fuhr er fort: „Also grüßen Sie Hagemanns! Und bei ,Tannhäuser‘ am Donnerstag bleibt es.“

Im Vorzimmer saßen oder standen verschiedene Mitglieder der fürstlichen Hofbühne und solche, die es werden wollten. Ihr Geplauder steigerte sich vom Geflüster zur lauten Unterhaltung, bis irgendwoher eine St! erklang, dann ward es auf Augenblicke still, dann wiederholte sich das Spiel.

An einem Stehpult schrieb ein bartloser junger Mann; neben ihm, die Arme aufgestützt, stand ein wohlgenährter grauköpfiger Herr und raunte ihm den neuesten Stadtklatsch über eine Kollegin zu. Jetzt drehte er sich nach Leisewitz um, dem ein Diener in den Ueberrock half – in einen orangegelben Ueberzieher mit einem Doppelkragen. „Ihr seht verstimmt aus, Leisewitz“ sagte der Dicke, „ist drinnen böses Wetter?“

„Im Gegentheil,“ erwiderte jener, „der Chef hat mich ersucht, meine Absage zurückzunehmen. Widerstehe einer solcher Liebenswürdigkeit! Ich werde singen.“ Er schlang ein rosenfarbiges Seidentuch um den Hals und warf dabei einen Blick in den Spiegel. Unter diesem Spiegel saß eine Dame, ein Gesichtchen, in der richtigen Entfernung gesehen, wie Milch und Blut. Neben ihr hatte der erste Liebhaber Platz genommen.

„Wohin fahren Sie denn, Leisewitz?“ fragte sie. „Ich sah unten einen Wagen halten mit Ihrem Giuseppe auf dem Bock. Gewiß wieder nach Solitude!“

„Nein, meine Gnädige, nach Solitude werde ich schwerlich vor morgen abend fahren. Ich hole Verwandte von der Bahn ab.“

„Von woher, wenn ich fragen darf?“ fragte die Dame mit harmloser Miene.

„Von – von Wörde.“

Die Gesellschaft brach in ein schallendes Gelächter aus. „Was ist da zu lachen?“ rief er gereizt.

„Wehe dem, der lügt!“ versetzte die Dame.

Er zuckte die Schultern, murrte etwas zwischen den Zähnen und schritt stolz hinaus.

„Wenn die Hofgunst noch lange dauert, schnappt er über,“ sagte der Liebhaher hinter ihm her.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_512.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2022)