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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Aschau drehte unentschlossen die Blechdose mit den Cigaretten hin und her. „Soll ich oder soll ich nicht?“

„Sie werden sich die Eßlust verderben.“

„Was die betrifft, muß ich leider Ihrem Schwiegerpapa –“

„Aber ich bitte Sie!“

„Eine riesige Enttäuschung bereiten. Mein Wille ist wohl gut, aber der Magen schwach. Ach, Freund, ich bin von Tantalus’ Geschlecht. Alle die reizenden Dinge, die ich unserem Hofe auftische, die mir lieblich duften und den Mund wässerig machen, sind nicht für mich.“

„Sie sollten sich einer Kur unterziehen.“

„Ich bin immer in der Kur; aber sobald mir wieder wohler ist, unterliege ich der Versuchung, und mein Elend fängt von vorne an. Ihr Schwiegervater räth mir –“

„Nun bitte ich Sie aber ernstlich, die Scherze zu lassen.“

„Ich scherze nicht. Oder wären Sie wirklich blind für diese in Gold gefaßte Perle? Ja, Fräulein Hagemann ist eine Perle, oder, um ein frömmeres Wort zu gebrauchen, ein Engel.“

Leisewitz sprang auf. „Zum letzten Mal! Ich hielt Sie für meinen Freund –“

„Der bin ich.“

„Dann machen Sie mich hier nicht unmöglich!“

„Seien Sie aufrichtig, und Sie sollen auch von mir eine große Neuigkeit erfahren.“

Darauf bezüglich?“ fragte Siegfried betroffen.

„Erst reden Sie!“

Der Sänger preßte die Hände zusammen, dann sprach er leise, leidenschaftlich: „Nun ja, ich wünsche, ich hoffe – – ja, ich fühle zum ersten Mal, was wahre Liebe ist. Der Vater weiß noch nichts, aber ich bin bereit fur Emma alles zu wagen. Ich entsage dem Ruhm, der Kunst, der Bühne –“

Jetzt sprang auch Aschau auf „Oho, das werden Sie nicht, das dürfen Sie nicht! Sie würden sich und mich unglücklich machen. Erfahren Sie die große Nachricht: ich bin Ihr Chef!“

Der Sänger starrte Aschau sprachlos an.

„Sie sind überrascht? Ich war es nicht. Diese Wende war von langer Hand vorbereitet. Herr von Sporn geht und ich trete an seine Stelle. Morgen lesen Sie meine Ernennung zum Hoftheater-Intendanten in den Zeitungen.“

„Excellenz, meinen Glückwunsch!“

„Ich bin nicht überrascht, dennoch freudig bewegt. Die edle Kunst, Oper, Drama und so weiter, soll in mir einen wahren Freund finden. Ich will unsere Bühne zu einer Musterbühne machen. Dabei rechne ich in erster Linie auf Ihre Hilfe. Hier meine Hand – auf gegenseitige Unterstützung!“

„Mein Urlanb geht übermorgen zu Ende. Entweder muß ich mich bis dahin dem Vater erklären oder –“

Aschau fiel ihm erschrocken ins Wort. „Verlangen Sie von mir nicht als erste Amtshandlung die Verlängerung Ihres Urlaubs! Unsere Stadt wimmelt von Fremden, der Hof kehrt heim, die Prinzessin ist seit gestern Feuer und Flamme für Ihr herrliches Talent. Ich lasse Sie nicht mehr aus den Augen; wir reisen gemeinschaftlich ab. Sprechen Sie mit dem Vater! Wenn ich für Sie gut stehe, wird er, muß er –“

Der Eintritt Fritz Hagemanns und seiner lieblich erröthenden Tochter unterbrach ihn. Der Hausherr entschuldigte sich, daß er sie so lange allein gelassen, und drückte ihnen die Hand, dann erschien Purzel auf der Schwelle und meldete: „Es ist aufgetragen, Euer Gnaden!“

Der Tisch war reich, aber ohne Ueberladung gedeckt, denn Emma hatte Geschmack. Herr von Aschau nahm die Tischkarte. „Was für eine schöne Handschrift!“

„Die Hand meiner Tochter,“ sagte Hagemann stolz. Emma beugte sich gluthroth über ihren Teller, denn jetzt griff Leisewitz zu seiner Tischkarte, und diese enthielt eine kleine Nachschrift von derselben Hand, aber kritzelig und mit einer Bleifeder geschriebeu: „L. S. Opfern Sie sich mir zulieb! V. ist nur guter Laune, wenn seine Gäste beweisen, daß es ihnen schmeckt. Schrecklich prosaisch, aber – Also bitte, essen Sie recht viel! Stecken Sie die Karte ein! 0 Ihre E.“

„Hummersuppe oder braune Suppe?“ sagte Giuseppe; „Sherry, Wermuth von Turin oder norwegischen Branntwein von Drontheim?“ sagte Wilhelm, der Kutscher.

„Was thut man?“ seufzte Aschau. „Ich werde anstatt Suppe ein Schnäpschen nehmen. Wie ich sehe, sind Sie für französische Küche, aber für deutsche Namen. Ich bin für die französische Benennung. Was sagen Sie, Leisewitz?“

„Ich bin für die Küche, Namen sind Schall!“

Siegfried war schon über der Hummersuppe her.

Aschau zurückgelehnt, hielt in der einen Hand das Likörglas, in der andern die Karte. „Das Menü ist von schöner Hand geschrieben und von einer Meisterhand entworfen. Ich kenne die Schwierigkeiten eines sinnigen Menüs.“

„Im Juli und in einer Kleinstadt!“ fügte Hagemann schmunzelnd hinzu.

„Hagemann,“ rief der Sänger, „diese Hummersuppe ist die beste meines Lebens, und ich habe Hummersuppe beim General Tschagiroff, dem ersten Feinschmecker Moskaus, gegessen. Gnädiges Fräulein, es ist zwar nicht fein, aber – ich bitte um einen zweiten Teller Hummersuppe.“

Emma blickte ihn dankbar an.

„Sie sollten in unsere Residenzstadt ziehen,“ sagte Aschau zum Hausherrn. „Ich schmeichle mir, für die feine Küche dort etwas geleistet zu haben. Sie können bei uns alles haben – echte Vogelnester, welche in Hongkong fünfzig Dollars das Pfund kosten, Schinken aus York, oder wünschen Sie Känguruhschinken?“

„Denk’ ich mir schrecklich schön,“ rief Hagemann.

„Straßburg und Nantes haben bei uns Niederlagen für ihre köstlichsten Pasteten. Unb so weiter und so weiter! Uebrigens wird die Prinzessin Sie nebst Ihrem Fräulein Tochter mündlich einladen, sie auf Solitude zu besuchen. Daß Leisewitz und ich Ihnen beiden das Leben in der Residenz so angenehm wie möglich machen, werden Sie wohl glauben.“

„Ich bin Ihnen sehr verbunden für die Ehre – darüber ließe sich schon reden.“

„Ach, ach,“ seufzte Aschau, „,Steinbutt mit Kapernsauce‘ und ‚Aal, am Spieß gebraten‘ – wer das könnte!“

„Ich kann es,“ sagte Leisewitz und unternahm einen neuen Sturm.

„Lieber Hagemann,“ fuhr er nach einer Weile fort, „ich wollte Ihre Freundlichkeit mit einem Abschiedsmahl in der ‚Sonne‘ erwidern, aber das ist jetzt unmöglich geworden – so etwas können sie drüben nicht, das kann auch die Küche im ‚Deutschen Kaiser‘ nicht. Ich erwarte Sie also bei mir daheim –“

„Ich schlage vor, wir feiern unsern Freund und Fräulein Tochter in unserm Klubhaus. Die Küche dort dürfte unserm verwöhnten Freund einigermaßen genügen.“

So thaten die Verbündeten alles, um Hagemanns Laune zu steigern, und obgleich der Hofmarschall Trinksprüche und die Sitte des Anstoßens innerlich verabscheute, so brachte er doch, als zum Braten Champagner eingeschenkt wurde, die Gesundheit Hagemanns und seines Töchterleins aus.

Hagemann erwiderte die Artigkeit mit einem Trinkspruch auf seine Gäste. Sie hätten die bescheidenen Genüsse des Bürgerhauses nachsichtig, aber mit feinstem Verständniß beurtheilt. Verständniß zu finden sei der schönste Lohn. Mit Bedauern vernehme er, daß die Herren Wörde binnen kurzem verließen. Für Wörde ein schwerer Verlust. Fritz Hagemann aber rufe den scheidenden Sommergästen ein „Auf Wiedersehen in der Residenz!“ zu.

Die Gläser klangen. O, wie die Augen Emmas glänzten!

Und der unermüdliche Hofmarschall ergriff aufs neue das Wort. „Ich weiß bestimmt,“ sagte er, zu Leisewitz gewendet, mit bedeutungsvollem Lächeln, „daß Ihr Chef, Ihr neuer Chef, nicht abgeneigt ist, mit Ihnen einen lebenslänglichen Vertrag abzuschließen. Was geht Ihnen bei uns ab? Sie werden auf Händen getragen. Kaufen Sie das Haus Ihres ehemaligen Chefs – Herr von Sporn verläßt mit seiner Familie die Hauptstadt – das Haus ist ein Schmuckkästchen. Wird zwar nicht billig sein, aber Sie haben ja Geld wie Heu. Kaufen Sie das Haus und heirathen Sie – eine Prinzessin oder, wenn ich Ihnen rathen darf, ein liebes braves Bürgerkind!“

Endlich fühlte Aschau doch den gestrigen Abend und zog sich zu einem Schläfchen in das Rauchzimmer zurück, wo ihn Purzel auf dem Diwan bettete.

Hagemann war nicht müde, denn er ruhte auf Lorbeeren. Mit strahlendem Gesicht lehnte er im Stuhl und trommelte mit den Fingern einen Siegesmarsch, während Leisewitz seiner Tochter die Bonbonsverse vorlas.

„Alles in allem,“ sagte Hagemann, „ich kann zufrieden sein. Es ist von der Suppe bis zum Nachtisch nichts mißrathen. Die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_511.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2022)