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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Stil jenen Missionshäusern entlehnt ist, welche im 16. und 17. Jahrhundert von spanischen Mönchen vielfach in Südkalifornien, Arizona und Texas aufgeführt wurden. Florida schlug sein Hauptquartier in einem höchst grotesken, an ein Kriegsschiff erinnernden Bau auf, und zwar in einer wohlgelungenen Nachbildung des alten Forts Marion, welches in der Geschichte Floridas einst eine große Rolle spielte. Palmetto- und Agave-Anpflanzungen beschatten den engen Thorweg, auf den breiten Wallmauern ist die ganze Flora des „Blumenlandes“ vertreten, während im innern Hof Orangen, Citronenbäume und Magnolien blühen. Auch einige der östlichen Staaten suchen in ihren Bauten geschichtliche Erinnerungen wachzurufen so z. B. sind verschiedene Häuser im Stil der Kolonialzeit vorhanden; New-Jersey hat ein genaues Abbild von Washingtons Hauptquartier zu Morristown gegeben, Pennsylvanien eine Nachbildung seiner weltberühmten „Independence Hall“ zu Philadelphia, in welcher die Vertreter der 13 englischen Kolonien Nordamerikas den Bund der Vereinigten Staaten gründeten und seine Unabhängigkeit erklärten. Hier hat Pennsylvanien auch seine kostbarste Reliquie, die berühmte „Liberty Bell“, die Freiheitsglocke, aufgehängt, welche in jener sturmerfüllten Zeit durch ihren Klang weithin verkündete, daß die Tage der Freiheit angebrochen seien. Der Staat Virginia konnte für seinen Bau schwerlich eine passendere Vorlage finden als jenes ehrwürdige Landhaus auf Mount Vernon, wo Georg Washington, der edle Begründer der Union, lebte und starb. Zahlreiche Gebrauchsgegenstände und Reliquien erinnern an den großen Staatsmann.

Die westlichen Territorien und Staaten der Union haben, da sie nicht wie ihre östlichen Geschwister auf geschichtlich denkwürdige Bauten zurückgreifen konnten, manchmal ihre Quartiere in glücklicher Weise mit Andeutungen ihres Naturreichthums versehen. Das walderfüllte Washington z. B. hat ein riesiges Blockhaus aus kolossalen Fichtenstämmen gezimmert; das wildreiche Montana krönte seinen Wohnsitz mit der Figur eines Wapitihirsches, Arkansas führte ein stattliches Pflanzerhaus, Iowa sogar einen aus lauter Maiskolben, Kornähren und Nutzgräsern hergestellten Kornpalast auf.

Daß die fremden Völker in ihren Bauten vorwiegend die ihnen eigenen nationalen Stilformen bewahrten, ist selbstverständlich. Die Perle unter all diesen mannigfachen Behausungen ist unstreitig das „Deutsche Haus“, ein echtes Stück deutschen Mittelalters, dessen Beschreibung wir uns für einen der nächsten Artikel versparen. Deutschlands südlicher Nachbar auf Midway-Plaisance ist Spanien. Es hat gleichfalls ein höchst malerisches Architekturstück beigebracht, die berühmte „Lonja“ zu Valencia. Sie ist eines der ältesten Gebäude der iberischen Halbinsel und diente schon zur Zeit des Kolumbus als Börse der Seidenhändler. Westlich und nördlich vom Deutschen Hause finden wir die zierlichen Minarets und Kioske indischer und siamesischer Tempel, skandinavische Holzbauten mit mächtigem, an die Zeiten der Wikinger erinnernden Gebälk, ferner luftige, äußerst sauber gearbeitete Bambushütten aus Japan und Ceylon, dazwischen wieder die stolzen Paläste Englands, Frankreichs, Oesterreichs und der süd- und centralamerikanischen Republiken.

Inmitten all dieser architektonischen Pracht und Herrlichkeit dürfen wir aber eines Gebäudes nicht vergessen, welches sich in rührender Einfachheit in einem stillen, einsamen Winkel am Seeufer erhebt. Getünchte Mauern, kleine melancholisch dreinschauende Fenster und ein niedriger, mit einem Kreuz versehener achteckiger Thurm bilden die charakteristischen Eigenthümlichkeiten von La Rabida[1], der Nachbildung jenes berühmten spanischen Klosters, an dessen Pforte derjenige einst von Hunger und Bekümmerniß erschöpft zusammensank, zu dessen Ehre die gegenwärtige Weltausstellung veranstaltet und benannt worden ist.

Zahlreiche und werthvolle Reliquien aus der Zeit der Entdeckung Amerikas sind in diesen Mauern vereinigt; die Wände sind mit Gemälden geschmückt, welche Scenen aus dem Leben des Kolumbus veranschaulichen; in den Schreinen lagern Dutzende von Originalbriefen und Handschriften, welche die bekannte Unterschrift des großen Genuesen zeigen, die nur aus einigen, in mystischer Weise zusammengestellten Buchstaben besteht. Ein anderer Raum umschließt eine Sammlung von 40 bis 50 der verschiedensten Bildnisse des Kolumbus. Vielleicht, daß es den Forschern gelingt, hier noch durch sorgfältige Vergleichung denjenigen Typus herauszufinden, der am meisten Anspruch auf Wahrheit hat, und so die schwierige Frage nach einem echten Bilde des Kolumbus der Lösung näher zu bringen. Zahlreiche Photographien, Stiche und Zeichnungen veranschaulichen die Stätten, welche Kolumbus während seiner vier großen Reisen nach der Neuen Welt besuchte; eine Anzahl zum Theil behauener Steine ist den von undurchdringlichem Urwald überwucherten Ruinen von Isabella entnommen, der ersten Stadt, die von den Spaniern auf Española gegründet wurde. Neben ihnen liegen rostzerfressene Toledoklingen, Hellebarden, Sporen und Reste anderen Kriegsgeräths, welche man unter dem Schutt gefunden. Auch die Glocke ist vorhanden, welche zum ersten Mal das Christenthum in der Neuen Welt verkündete. Nach der Aufgabe Isabellas hatte man sie nach La Vega gebracht; in den Ruinen der dortigen Kapelle wurde sie zwischen den Aesten eines Feigenbaums entdeckt, welcher während seines Wachstums die Glocke mit emporgetragen hatte.

Das kostbare Kartenmaterial, welches in La Rabida zusammengebracht ist und die ältere Kartographie Amerikas veranschaulicht, enthält die wertvollsten Originale, so z. B. die auf eine Ochsenhaut gezeichnete große Karte des unglücklichen Piloten Juan de la Cosa, die erste, welche die von Christoph Kolumbus gemachten Entdeckungen zeigt. Auch sind Nachbildungen von der Grabstätte des Kolumbus vorhanden, ferner unzählige Reliquien, die an die Zeitgenossen und Nachfolger des großen Genuesen erinnern, an Isabella die Katholische, an König Ferdinand, an Cortez und sein unglückliches Opfer Motecusuma (Montezuma), an Pizarro und all die anderen Helden, welche zur Entschleierung der Neuen Welt beitrugen. Kurz, das Kloster La Rabida der Kolumbischen Weltausstellung zu Chicago enthält der historischen Schätze gar viele, und wenn sich auch einzelne darunter befinden, die sehr fragwürdigen Werthes sind, so wird ein geübtes Auge doch leicht die Spreu von dem Weizen zu sondern wissen und auch aus diesen bescheidenen Mauern reiche Ernte für die Wissenschaft gewinnen.


  1. Vergl. die Abbildung in Nr. 12 des Jahrgangs 1892.

Der Sänger.

Roman von Karl v. Heigel.
(Fortsetzung.)


6.0 Der Geist der Kochkunst.

Von dem abenteuerlichen Heimweg vom Konzert erzählte Aschau am folgenden Tage dem Sänger, während sie in Hagemanns Rauchstube saßen. Die Stube diente nämlich, wenn der Speisesaal geöffnet wurde, vor der Tafel als Empfangszimmer. Ein Diwan lief um die Wände, niedrige, mit Kameeltaschen gepolsterte Lehnstühle und türkische Tischchen standen umher. Es war ein behaglicher Raum. Die beiden Männer saßen sich gegenüber, Aschau im Gehrock, Siegfried im Frack. Ein halbes Dutzend Ordenskreuzchen und Medaillen an goldenem Kettchen zierte den Frack, Diamantknöpfe – „Geschenk der Zarin“ – blitzten an der gestickten Brust des Batisthemdes; die Uhrkette des Sultans schlängelte sich unter dem Frack hervor. Er trug Lackschuhe, welche die himmelblauen Seidenstrümpfe sehen ließen. Doch sein hoher Wuchs, der edle Gesichtsschnitt, die kühne Kopfhaltung, die glänzenden Augen – mit einem Wort, seine männliche Schönheit rettete ihn vor dem Fluche der Lächerlichkeit.

Die Thür zum Speisezimmer war nur angelehnt, sie hörten das Klirren von Silber, zuweilen ein Geslüster und dann ein lauten: „Ja wohl, Euer Gnaden!“ oder: „Sehr richtig, gnä’ Fräulein!“ von Giuseppe Purzel, den sein Herr zur Verfügung gestellt hatte.

„Was meinen Sie,“ sagte Aschau, „da uns Hagemann im Rauchzimmer empfängt, bin ich versucht, eine von diesen Cigaretten zu rauchen. Ich weiß nicht warum, aber ich hege das Vertrauen, daß Ihr künftiger Schwiegervater guten Tabak raucht.“

„Um Gotteswillen,“ flüsterte Leisewitz mit einem ängstlichen Blick auf die Thür, „was fällt Ihnen ein!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_510.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2022)