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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Blätter und Blüthen.

Volksbücher. Man rühmte einst den deutschen Schulmeister, der die Siege in Frankreich mit erfochten habe, und noch heute dient die deutsche Schule in vielfacher Beziehung anderen Völkern als Vorbild. Aber immer lauter werden die Stimmen, welche betonen, daß die Schulbildung allein dem Volke nicht genüge, daß auch der heranreifende und gereifte Mann sich fortbilden müsse, um im Leben nicht znrückzubleiben. Auf Versammlungen von Vereinen, welche die Förderung der Volksbildung und des Arbeiterwohls erstreben, wurde wiederholt hervorgehoben, daß in den Mitteln zur Fortbildung des Volkes uns im Laufe der letzten Jahrzehnte andere Völker überflügelt haben.

Man könnte darauf erwidern, daß wir ja eine Reihe von Volksbibliotheken besitzen und daß auch in dieser Beziehung bei uns viel für die Volksbildung gethan werde. Das ist wahr, aber dieses Viel ist noch nicht genügend und jedenfalls steht es dem nach, was beispielsweise in England und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika für Volksbüchereien gethan wird. In Manchester, Boston und anderen Städten giebt es Volksbibliotheken, die in ihrer Bändezahl selbst viele unserer Universitätsbibliotheken übertreffen und in denen die Bestellungen der Bücher jährlich nach Hunderttansenden zählen. Es ist geradezu erstaunlich, welche Mittel dort der Fortbildung des Volkes durch Gründung guter Bibliotheken geopfert werden und wie gut diese Volksbüchereien ausgestattet sind. Bei uns kostet die Benutzung eines Buches in den Volksbibliotheken der Vereine und Stiftungen sechs bis zwölf Pfennig; in England stellt sich dieser Preis auf zwanzig und in Nordamerika aus dreißig bis vierzig Pfennig. Dafür sind aber dort die Bücher dem Publikum leichter zugänglich.

Aus der Versammlung des deutschen Vereins für Volksbildung wurde der Ruf laut, das materielle und geistige Kapital zur Beschaffung guter Volksbücher in Deutschland „mobil“ zu machen.

Die Vereinstätigkeit allein genügt aber aus diesem Gebiet nicht; auch am häuslichen Herde muß auf das Lesen guter Bücher mehr Nachdruck gelegt werden. Namentlich sollte die heranreifende Jugend mehr gewöhnt werden, ernstere Werke zu lesen. Das wünschen ja auch die besten Pädagogen, die im Plane der Zukunftsschule der Privatlektüre der Schüler eine besondere Bedeutung beimessen. Die Eltern können schon heute in diesem Sinne mehr als bisher wirken. Ernste geschichtliche und populärwissenschaftliche, dem allgemeinen Verständnis angepaßte Werte werden die Jugend vor jener Frühreife schüren, die sich heute so oft zeigt und in allzufrüher Genußsucht und Vernachlässigung der idealen Geistesrichtung ihre Wnrzeln hat. *

Ein Malkontenter.
Nach einem Gemälde von C. Reichert.
Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.

Geächtet! (Zu dem Bilde S. 497.) Mit welcher Wollust mag der rohe Pöbelhaufe in den Aristokratensalon eingebrochen sein, welchen Spaß mag er sich davon versprochen haben, die Bewohner, denen das Ächtungsdekret der französischen Revolutionsbehörde gegen den augeblich geflüchteten Hausherrn mitgeteilt werden, sie mit seinen Drohungen in Todesschrecken zu versetzen und sie am Ende vor dem „souveränen Volk“ am Boden kriechen zu sehen!

Aber merkwürdig – diesen Anblick erlebte das „souveräne Volk“ nicht oft. Der ehemals so frivole und gewissenlose Adel verstand es jetzt, ebenso wie das Königspaar, dem Tod mit Hoheit ins Auge zu sehen. Wie verächtlich wendet die junge Herzogin aus unserem Bild das schöne Haupt von der Pöbelrotte ab, einzig bemüht, durch ihre Haltung denjenigen zu decken, welchem der Ächtungsbefehl gilt, den alten Gemahl, früher für sie der gleichgültigste der Menschen jetzt durch die Gefahr ihrem Herzen heilig und theuer. Sie hat ihn hinter den Schirm gedrängt - wenn alles glücklich abgeht, wird er als Bedienter verkleidet heute nacht mit ihr über die Grenze fahren und dem Emigrantenheer zur Rettung des Königs zueilen.

Diese Erwägung allein ist es, die den alten Edelmann unbeweglich hinter dem Wandschirm hält. Aber seine Faust umklammert den Degen: eine Zügellosigkeit des rohen Soldaten oder seines Gassengesellen gegen die zarte Frau, und er wird hervorbrechen, um sein und ihr Leben theuer zu verkaufen.

Der Künstler giebt ausser diesen Hauptfiguren mit treuer Charakteristik den Haufen der Schreier, der Anstifter und Verführten. Er zeigt uns auch im Vordergrund den ehemaligen Diener des Hauses, nunmehrigen Freiheitsmann, dem beim Anblick seiner alten Herrschaft übel zu Muthe wird. Er kennt den Wandschirm, aber die anderen darauf aufmerksam zu machen - nein, das vermag Baptiste nicht. Er wünscht jetzt im Stillen die beiden die er im Herweg mit den anderen Schreiern als schändliches Aristokratengezücht verflucht hat, möchten doch lieber gerettet werden.

Ein charakteristisches Bild aus furchtbarer Zeit. Man wird es neben dem künstlerischen Interesse mit der tiefen menschlichen Theilnahme betrachten, welche alle Darstellungen aus jener Zeit unwillkürlich in uns erwecken. Bn.

Das Kind in der Natur. Dem Großstadtkinde Freude an der Natur beizubringen, ist angesichts der bestehenden Verhältnisse keine leichte, aber auch durchaus keine unmögliche Aufgabe. Kennt es auch Nachtigall und Lerche, Hirsch und Reh, Waldbäume und -blumen vielfach nur vom Hörensagen, so sieht es dafür Hund, Katze, Meerschweinchen, Gans und Ente, findet Blumen, Gräser und Kräuter auf seinen Spaziergängen und wird für alles dieses Sinn bekommen, wenn Eltern und Erzieher seine Aufmerksamkeit darauf zu lenken verstehen. Manche junge Mutter dürfte freilich in Verlegenheit sein, das Material zu längerem Gespräch der Begegnung mit einem Pferd oder Esel oder dem Anblick eines Blumenkleides abzugewinnen. Sie möge dann das Buch „Das Kind in der Natur“ von Th. Focking (Braunschweig, Wissmann) zur Hand neh- men, die einzelnen Kapitel sich lesend einprägen und dann den Inhalt ihren Kleinen beim Spaziergang oder am abendlichen Familientisch erzählend, fragend und verglichen lassend in kleinen Stücken mittheilen. Das beste Mittel gegen die gelangweilte Unart der vom Spielen ermüdeten Kinder liegt in solchen Anregungen ihres Denkvermögens, sie suchen eifrig nach Beispielen und Merkmalen, sie schauen beim Spaziergang nach den genannten Pflanzen aus und freuen sich über jeden Fund, statt träge und verdrossen hinzuschlendern; dabei gewinnen sie allmählich, bis das Alter für eigene Reisen und Ausflüge kommt, die liebevolle Freude nun an Thier- und Pflanzenwelt, an der Betrachtung der Naturschönheit, welche eine der besten und reinsten Glücksquellen im Leben ausmacht. Als Bereicherung der häuslichen Erziehungsmittel wie auch zur Anleitung für Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen der unteren Schulklassen ist das hübsch geschriebene, verständnisvoll angeordnete Bnch bestens zu empfehlen Bn.

Goldfischhändler in den Straßen Berlins. (Zu dem Bilde S. 485.) Die weitverbreitete Sitte, des Hauses „Gute Stube“ mit einem Glasgefäß zu schmücken in welchem ein paar muntere Goldfischchen sich tummeln, hat in Berlin zu einer eigentümlichen Erscheinung geführt. Es giebt ja wohl eine Reihe von Läden, in denen solche Thierchen neben anderen Aquariumsschätzen, Salamandern, Schildkröten, Laubfröschen u. dgl., zu haben sind; ebenso werden sie in allen Markthallen verkauft. Unternehmende Händler aber haben sich darauf gelegt, ihre Ware auch in den Straßen feilzubieten, um es dem kauflustigen Publikum ja recht bequem zu machen. Sie fahren mit großen Behältern umher, deren Wände aus Glas sind, so dass der Vorübergehende und vor allem die liebe Jugend die niedlichen Geschöpfe mühelos betrachten und bewundern kann. Nach oben sind die Behälter offen, so daß der Händler rasch mit seinem Netze das Gewünschte herausfischen kann.


Inhalt: Schwertlilie. Roman von Sophie Junghans (15. Fortsetzung). S. 485 – Goldfischhändler in den Straßen Berlins. Bild. S. 485 - Dürre und Futternoth. S. 491 - Berglandschaften um Innsbruck. Von J. C. Platter. S. 493. Mit Abbildungen S. 488, 489 und 493. -- Der Sänger. Roman von Karl v. Heigel (2. Fortsetzung). S. 493. - Geächtet. Bild. S. 497 - Blätter und Blüthen: Volksbücher. S. 500. - Geächtet! S. 500. (Zu dem Bilde S. 497.) - Das Kind in der Natur. S. 500. - Goldfischhändler in den Straßen Berlins. S. 500. (Zu dem Bilde S. 485.) - Ein Makoltenter. Bild. S. 500.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_500.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2023)