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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


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Dürre und Futternoth.


Es giebt an verschiedenen Orten Deutschlands Quellen, die in trockenen Jahren versiegen, in besonders regenreichen aber zu fließen beginnen. Der Volksmund hat sie sehr treffend „Hungerquellen“ genannt, denn in der That erweist sich in unserem Klima selbst eine lang anhaltende Dürre weniger gefährlich als in anderen Ländern, wie z. B. am Mittelmeer oder in Südrußland; bei uns wurden seit jeher die nassen Jahre gefürchtet, denn sie brachten Mißwachs und Hungersnoth, da unter ihnen vor allem die Brotfrüchte leiden. Das Getreide erliegt auf gut bearbeiteten, namentlich tief gepflügtem Boden nicht so leicht der Dürre und es ist eine ganze Reihe von auffallend trockenen Jahren bekannt, in welchen man über das reichliche schöne Korn und den guten Wein des Lobes voll war. Dieselbe Erfahrung hoffen wir in diesem Jahre zu machen, obwohl eine geradezu beispiellose Dürre anscheinend hinter uns liegt; wir haben im August vorigen Jahres eine tropische Gluth und dann einen dürren Herbst gehabt; schon damals klagte man überall über Wassermangel, und nun kamen heuer noch die trostlosen Monate April, Mai und Juni, in welchen nur selten ganz ungenügende Regenschauer die Erde erquickten. Trotzdem gehen wir keinem Hungerjahre entgegen. Was unsere Haupternährer, Roggen und Weizen, anbelangt, so versprechen diese Brotpflanzen nach amtlichen Berichten eine mittlere und zum Theil sogar eine gute Mittelernte.

Daran ändert diese Thatsache freilich nichts, daß die Dürre weite Gebiete Europas aufs empfindlichste getroffen hat. Die Hitze des vorigen Sommers, der ungemein starke Frost des letzten Winters und nun die anhaltende regenlose Zeit haben den Wiesen so stark zugesetzt, daß die Heuernte in vielen Gegenden sehr gering ausgefallen oder gänzlich verloren gegangen ist; in gleicher Weise haben die Kleefelder gelitten, und die Folge davon ist allgemeiner Futtermangel, der sich in vielen ungünstig gelegenen Landstrichen zu einer wahren Futternoth gesteigert hat. In Deutschland sind von diesem Unglück der Süden, ein Theil des Westens, ferner auch Thüringen am meisten betroffen. Der Mensch hat Brot genug, aber das Vieh hungert, und die Landwirthe sehen sich genöthigt, ihre Viehbestände zu verringern, einen Theil derselben zu veräußern oder zu schlachten. Dadurch wird die Landwirthschaft aufs tiefste geschädigt; namentlich der kleinere Gutsbesitzer wird doppelt schwer den Ausfall an den Einnahmen aus der Molkerei und Mast empfinden und später nur mit schwerer Mühe in der Lage sein, das in der Noth hergegebene Vieh wieder zu ergänzen. Vermehrt wird das Uebel dadurch, daß die Halme kurz geblieben sind und nur wenig Stroh geerntet werden wird.

Dieser Schaden, den die Dürre angerichtet hat, kann durch keinen noch so nachhaltigen Regen ganz ausgeglichen werden; es gilt nunmehr, Maßregeln zur Bekämpfung der Futternoth zu ergreifen, zu verhüten, daß unser Viehstand noch mehr aufgerieben werde.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß in unserer Zeit, dank der hohen Entwicklung des Warenverkehrs und den Fortschritten der Agrikulturchemie, die Bekämpfung der Futternoth leichter gelingen wird, als dies in früheren Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten der Fall war. Dampfschiffe und Eisenbahnen können die Futtermittel anderer Länder, Preßheu und vor allem Mais, in die von der Noth befallenen Gebiete bringen, und die Eisenbahnverwaltungen haben bereits den Bedürfnissen der Landwirthe Rechnung getragen, indem sie die Frachttarife bedeutend ermäßigten. Die Regierungen der deutschen Staaten sind ferner damit beschäftigt, Nothstandsvorlagen auszuarbeiten, welche den Volksvertretungen zugehen werden. Andererseits werden die Landleute von verschiedenen Seiten auf Hilfsquellen aufmerksam gemacht, welche die Dürre nicht zu vernichten vermochte und die gewiß geeignet sind, die Futternoth wesentlich zu lindern. Es sei uns gestattet, auf die wichtigsten natürlichen Hilfsquellen hinzuweisen.

Während die Wiesen verdorrt sind, grünen Strauch und Baum. An ihren Zweigen hängen Millionen Centner nahrhaften Futters. Schon im vorigen Sommer, als wir unter der großen Hitze zu leiden hatten, wurde von verschiedenen Seiten das Laub unserer gewöhnlichsten Bäume als Ersatz für Wiesengras und Heu empfohlen, und zwar auf Grund sehr eingehender Versuche, die von deutschen und französischen Agrikulturchemikern angestellt worden sind. Das Laub vieler Bäume, wie Weide, Erle, Maulbeerbaum, Ulme, Pappel, Linde, Haselnuß, Esche, Ahorn, Eiche, Buche, Platane, auch das des Weinstocks, und selbst die Nadeln der Fichten und Tannen wurden chemisch auf den Gehalt an nahrhaften Stoffen und im Thierversuch auf Verdaulichkeit und Bekömmlichkeit geprüft, und es stellte sich heraus, daß dieses Laub im frischen wie im getrockneten oder eingesäuerten Zustande von unserem Vieh sehr gern gefressen wird, im Nährwerth dem Wiesenheu durchaus nicht nachsteht und der Luzerne gleichkommt.

Geradezu überraschend sind die Mittheilungen, welche A. Müntz vor wenigen Wochen der Akademie der Wissenschaften in Paris über die Verwendung der Blätter des Weinstockes als Viehfutter gemacht hat.

Nach der Weinlese bleibt das Laub der Weinstöcke grün, bis die ersten Fröste es zu Fall bringen. So lange die Blätter am Stock hängen, eignen sie sich ausgezeichnet als Futtermittel, sie sind aber werthlos, wenn sie welk geworden oder abgefallen sind. In Südfrankreich besteht die Sitte, unmittelbar nach der Weinlese Schafe in die Weinberge hineinzulassen, die mit wahrer Gier die Blätter von den Stöcken abfressen. Müntz empfiehlt darum, im Herbst das Weinlaub von den Reben abzustreifen und entweber frisch zu verfüttern oder es für den Winter einzusäuern. Nach seinen Berechnungen könnten die Weinberge Frankreichs allein eine Menge von Futter liefern, die 40 Millionen Metercentnern guten Wiesenheus entsprechen würde.

Der Weinbergsbesitzer muß allerdings den Zeitpunkt richtig abpassen, in welchem das Rebenholz genügend ausgebildet ist, da sonst die zu frühe Entlaubung den Stock schädigen würde. Läßt man die Blätter einfach dem Laufe der Natur folgen und abfallen, so wird ein großer Theil derselben durch den Wind verweht und auch die in ihnen enthaltenen Dungstoffe gehen verloren; streift man das Laub dagegen rechtzeitig ab und verfüttert es, so bleibt der Dünger im Stall – das ist ein weiterer Vortheil der Laubfütterung.

Es dürfte sich gewiß empfehlen, im Laufe dieses Herbstes in Süddeutschland dieses Hilfsmittel in Anwendung zu bringen; der Weinstock ist trotz der Dürre grün geblieben, und so könnte man mit leichter Mühe einen Ersatz für Tausende von Centnern Wiesenheu schaffen.

Was die Bäume anbelangt, so dürfte sich nach Untersuchungen von A. Girard empfehlen, die „Ernte“ im Spätsommer und Herbst, also in den Monaten August und September, vorzunehmen, da zu junge und zu alte, dem Abfallen nahe Blätter weniger nahrhaft sind. Selbstverständlich muß man bei der Auswahl des Laubes giftige Bäume und Sträucher vermeiden; wenn man auch Fichtennadeln für Schafe unter das Futter mischen kann, so muß man von Eiben völlig absehen; auch die Wallnußblätter erweisen sich als schädlich, und ferner möchten wir entgegen den Rathschlägen verschiedener Agrikulturchemiker zur Vorsicht mit Akazienlaub rathen. In der Rinde von Akazien ist bekanntlich ein Giftstoff enthalten, und wiederholt wurden Pferde durch Genuß dieser Rinde vergiftet; die Blätter gelten zwar als ungiftig für die Thiere, da aber Vergiftungen von Menschen durch Akazienlaub bekannt sind, können wir dieses Futtermittel nicht ohne weiteres empfehlen. Die bekannten giftigen Gesträuche wie der Seidelbast oder Kellerhals, Goldregen, die Waldrebe (Clematis), der Sadebaum brauchen wohl nicht besonders als unverwendbar hervorgehoben zu werden.

Die Bäume sind gegen die Entlaubung nicht unempfindlich, sie können dadurch in ihrem Wachsthum und in der Holzbildung gehindert werden. und unsere Forstwirthschaft rechnet ja in erster Linie mit Holzerträgen; bei einer so großen Kalamität wie die augenblickliche Futternoth kann aber ein Theil des Laubes ohne besondere Schädigung der Bäume abgegeben werden und in dieser Hinsicht können unsere Wälder der Landwirthschaft vielfach aushelfen.

Auf die Wälder richten sich in dieser Futternoth überhaupt die Blicke der Landwirthe. In vielen Gegenden wurden Staats- und Gemeindewaldungen dem Vieh zur Weide geöffnet, der Herzog

von Meiningen ließ von 600 Hirschen, die seinen Wildbestand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_491.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2022)