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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

sie mit Worten nicht erwiderte, brauchte er nicht übel zu deuten – sagte die hingebende Ruhe, mit der sie in seinem Arme lag, nicht genug?

Und nun wendete er, indem er Polyxene losließ, den Kopf über die Achsel zurück zu der Nonne und sagte: „Ihr mögt denn wissen, daß dieses Fräulein hier meine allverlobte Braut ist. Seht wohl zu, wie Ihr mit ihr verfahrt, denn, beim allmächtigen Gott, ich werde Rechenschaft darüber von Euch fordern.“

„Rechenschaft über das Fräulein sind wir nur Seiner Hochwürden dem Pater Gollermann schuldig,“ autwortete die Nonne kalt. „Die Bande weltlicher Verwandschaft oder gar fleischlicher Neigung kümmern uns nicht. Und nun macht ein Ende, Herr!“

Ein Ende, ja! Es kam dem Oberjägermeister mit einem Male, wie dies Ende am erwünschtesten, wenn auch sehr unerwartet für die Schwester Veritas, zu beschleunigen sei. Ein tolles Jägerstück wäre es gewesen, hart an der Thüre sein Liebchen mit sich heraus, die Nonne aber in die Zelle hineinzuschwenken und die Riegel hinter ihr zuzustoßen! Aber er gönnte sekundenlangen Raum der Ueberlegung, daß er sich und seine Braut durch eine solche That vogelfrei machen würde und aus dem heimischen Ländchen verbannen gleich zu Anfang ihrer gemeinschaftlichen Laufbahn. Und so überwand er die Versuchung und ließ es zu, daß die Thür verschlossen und verriegelt wurde zwischen ihm und Polyxene, die stumm geblieben war bis zuletzt, überwältigt von Glück und Jammer zugleich. Und bitter, bitter sollte er das bereuen.




21.

Die nächste Aufgabe für den Oberjägermeister war, das verhehlte er sich nicht, die Pfalzgräfin mit dem veränderten Verhältniß zwischen sich und Polyxene bekannt zu machen. Hatte sie doch zur etwaigen Vermählung des minorennen Fräuleins sowohl wie auch ihres Kavalieres geradezu ihre Erlaubniß zu geben. Und ohne ihren guten Willen konnte dem Vorhaben manches Hinderniß erwachsen. Was aber diesem guten Willen entgegenstehen würde, das wußte Nievern. Verwünscht diese ihre Narrheit, wie er undankbarerweise das merkliche Wohlgefallen der kleinen Hoheit an seiner hübschen stattlichen Person nannte! Warum, bei allen Teufeln, heirathen die Weiber nicht wieder, wenn es ihnen denn doch unmöglich fällt, dem Spiel mit ihren Reizen – und mögen derer noch so wenige sein – zu entsagen! Im Falle der Frau Sabine Eleonore wußte er freilich den Grund wohl. Der kleine Satan – so hieß sie der Frevler in Gedanken – hat seinen eigenen Willen viel zu lieb. Einen Herrn will sie nicht wieder, wohl aber einen stets dienstbereiten und deshalb wenn möglich in sie verliebten Sklaven. Nun, sie suche sich jetzt einen andern! Uebrigens traute er sich trotz dem allem zu, die Fürstin sich geneigt zu erhalten ... er hatte schon Schwereres bei den Frauen fertig gebracht!

Zuerst brauchte er ihre Gunst jetzt für Polyxene. Dieser durfte er um keinen Preis das Mitleid der Pfalzgräfin verscherzen, damit ihre unwürdige Einkerkerung nicht länger währe. Ihm wurde immer wieder siedend heiß im Gedanken an ihr Elend. Wie wollte er sie dafür entschädigen, wie auf den Händen tragen nachher!

Er hatte sich vom Kloster aus sogleich nach seiner Wohnung im Flügel des Residenzschlosses begeben. Da fand sich, daß ein Berittener des Thurn und Taxis’schen Postdienstes indessen Briefe von dem Vetter Engelbert, dem Kanonikus in Malmedy, gebracht hatte. Obwohl wenig dafür gestimmt, erbrach und las Nievern das Schreiben seines Verwandten. Der geistliche Herr erging sich in behaglicher Erinnerung an den neulichen Besuch seines Vetters Viktor. Diesen Namen trage Nievern mit Recht, hieß es scherzend, denn die Batterien seiner hübschen Augen hätten hier allenthalben gesiegt, wohin er sie nur gerichtet. Die schöne Dalhem in St. Truyden schmachte diesen Augen ganz öffentlich nach, und jüngst sei es beinahe zu einem Duelle zwischen ihr und seiner eigenen Freundin, der goldhaarigen Magarethe de Wytt, gekommen, weil jede der Damen sich eines besonderen Vorzugs bei dem Herrn von Nievern habe rühmen wollen. „Ich hätte demnach einigen Grund, eifersüchtig auf meinen liebwerthen Vetter zu sein,“ neckte der Kanonikus. „Und daß ich es nicht bin, wird er hoffentlich meinem brüderlichen Gemüthe hoch anrechnen.“

Herr von Nievern hatte jetzt keinen Sinn für die Scherze des geistlichen Vetters, aber er konnte doch nicht hindern, daß seine Gedanken wieder flüchtig in jene Region gelockt wurden. Er stand an seinem Fenster, das Schreiben noch in der Hand, und ritt im Geiste mit dem Kanonikus über die wildreichen Moore des Hohen Veen und wo sonst ihre Jagdstreifereien sie entlang geführt hatten. Wie frei dies Schweifen, während damals schon enge Kerkermauern seine Süße umschränkt hatten! Aber damals war sein Herz noch ruhig und leicht gewesen und hatte wenig geahnt, daß über den Gegenstand seiner Liebe, mit der er noch spielen zu können meinte, der Fittich des Verderbens sich zu breiten begann.

Er war noch mit diesen Bildern beschäftigt, die der Brief des Domherrn heraufgelockt hatte, da fuhr es plötzlich vor ihm nieder wie ein Blitz – auch nur eine Erinnerung, aber diesmal eine, die ihn wie ein elektrischer Schlag traf. Er sah das Gitter der weitläufigen Gärten des Jesuitenkollegs von St. Menehould vor sich, an denen sie damals vorübergeritten waren, und dahinter die Knabengestalt, schmächtig erscheinend in dem schwarzen geistlichen Rock, und wie sie sich ans Gitter warf und gedankenschnell ein weißes Tüchlein schwenkte. Und was er damals nicht erkannt hatte, das glaubte er jetzt zu sehen, da es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel: so hätte der verschwundene Lutz von Leyen aussehen können, wenn man ihm das Blondhaar kurz verschnitten und ihn in den schwarzen Rock des Jesuitenschülers gesteckt hätte! Und doch, wenn man der Sache auf den Leib ging, was blieb für diese willkürliche Annahme zur Stütze? Mußte er sich nicht einen Thoren schelten? Nichts, was seine abenteuerliche Meinung begründen konnte, wollte mehr vorhalten bei ruhiger vernünftiger Erwägung.

Trotzdem beschloß er, Wahrscheinlichkeit hin, Wahrscheinlichkeit her, dem Ding nachforschen zu lassen. Er wußte auch schon, durch wen: hatte sich der alte Strieger nicht erboten, trotz seiner neunzig Jahre noch nach Trier zu laufen, wenn er dem Fräulein damit einen Dienst thun könnte? Diesen schlauen Spürhund dachte er auf jene Fährte zu setzen, und das sollte noch heute am Abend geschehen, wenn der Alte sich nur in dem Bereiche, den er angegeben hatte, betreffen ließ.

Das würde also das Geschäft des Abends sein; vorher aber galt es einen Gang zur Pfalzgräfin! Nievern glaubte keine Zeit verloren zu haben, als er sich nach der Mittagstafel, welche die Stunde zwischen zwölf und zwei Uhr einnahm, bei Frau Sabine Eleonore melden ließ. Allein er mußte erfahren, daß andere Leute geschwinder als er gewesen waren. Die Sonne des fürstlichen Antlitzes verbarg sich vor ihm hinter unheilkündendem Gewölk . . . die Pfalzgräfin empfing ihn nicht. Sie wußte also schon, was in der Zelle bei den Ursulinerinnen heute morgen vorgegangen war. Oder vielmehr, sie wußte so viel davon, als die giftigste Entstellung von der Wahrheit nothgedrungen hatte übrig lassen müssen. Nievern biß die Zähne aufeinander; von jetzt an mochte er sich nur ähnlicher Hindernisse bei jedem Schritt, den er würde thun wollen, versehen!

In seiner Wohlnung setzte er sich sofort hin und verfaßte einen gedrängten nachdrücklichen Bericht über die Angelegenheit, soweit sie lediglich Polyxenens unwürdige Haft betraf. Er stellte dieselbe mit entschiedenen Worten als ein strafwürdiges Uebergreifen der Klosterfrauen hin, welches das Einschreiten Ihrer Hoheit der Pfalzgräfin sofort und dringend fordere. Und dann nahm er ein neues Blatt. Er machte dasselbe als eine Privatmittheilung an die Fürstin in der vorgeschriebenen Weise kenntlich, faßte sich aber im Texte noch kürzer als in dem ersten Schriftstück. Er that darin seiner wohlgeneigten Fürstin kund, daß die Freiin Polyxene von Leyen sich ihm anverlobt habe und er dieselbe zu ehelichen gedenke. Er bitte daher die Frau Pfalzgräfin in schuldiger Ehrerbietung um allerhöchst ihre Zustimmung zu diesem Bündniß. Sollte dasselbe aber aus irgend einem Grunde der Fürstin mißfällig sein, so wolle er in diesem Falle hiermit zugleich um gnädigste Entlassung aus pfalzgräflichen Hofdiensten gebeten haben.

Ein düsteres Licht brach aus des Oberjägermeisters Augen, als er diese beiden Schreiben mit seinem Namen unterfertigt, gefaltet und gesiegelt hatte. Denn sie bedeuteten, wie sie da zum Abgang fertig vor ihm auf dem Tische lagen, einen folgenschweren Entschluß; er wußte, daß er sich damit von der glänzenden sorglosen Periode seines Lebens wahrscheinlich für immer schied. Hofgunst und Lust und das übermüthige Reiten über den Nacken gemeiner Sorgen gab er heute auf und tauschte Gefahr und Noth dafür ein. Und gerade dann zu werben, wenn jede Annäherung an die Geliebte ähnlich wie die Berührung einer Pestkranken die Mitverstrickung in ihr Jammergeschick droht – nicht jeder hätte es gethan. Daran dachte Herr Viktor von Nievern aber nun freilich am wenigsten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_487.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2021)