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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

sich das nur ein. Wenn Ihr Name erst bekannt wird, wenn Sie berühmt sind –“

„Du lieber Himmel!“

„Warum nicht? Ihre Oper ist eine sehr achtbare Arbeit, allerdings eine Erstlingsarbeit, aber vielversprechend, voll Talent – Maëstro, als nachträgliches Geburtstagsgeschenk gebe ich Ihnen das Versprechen, für Ihr Werk ins Zeug zu gehen. Mein Chef ist zwar kein Licht aber ich habe Einfluß. ‚Excellenz,‘ werd’ ich sagen, ‚die Talente sind heutzutage dünn gesät – hier ist eins; greifen wir ihm unter die Arme! Der Erfolg eines Bühnenwerkes ist allerdings unberechenbar, doch nach meinem Gefühl, nach meiner Erfahrung erringen wir mit ‚Tasso‘ einen schönen Erfolg.‘“

„Das würden Sie –“

„Das werde ich sagen! Beiläufig, haben Sie Feinde in Ihrer Vaterstadt?“

„Ich? Nein!“

„Warum sind Sie dann aus Ihrer Heimath verzogen?“

„Ach, das ist eine traurige Geschichte! Ich war schon als vaterlose Waise – doch das ist für einen Mann wie Sie nur langweilig.“

„Warum? Der Künstler kann niemals genug Erfahrungen sammeln. – Aber einen Augenblick, lieber Maëstro! Bitte, nehmen Sie die Mandoline, ich will mich nur in eine bequemere Lage bringen – so!“ Er streckte sich auf den Tisch, zog die Beine ein und legte den Kopf in die aufgestützte Hand. „Es ist zwar kein Diwan, aber in Wahndorf – bitte, erzählen Sie!“

Und Robert Lenz begann seine Lebensgeschichte, die alte Geschichte aller mittellosen Kunstjünger, die erst um den Ruhm ringen und dann um das Brot kämpfen. Er war noch lange nicht bei seiner Uebersiedlung nach Wörde angelangt, als er bemerkte, daß Leisewitz trotz seiner unbequemen Lage den Schlaf des Gerechten schlief. Es verletzte ihn nicht. Der unsterbliche Goethe läßt die reizende Marianne bei den Jugendgeschiehten ihres Geliebten entschlummern; wie kann ich verlangen, daß meine kleinen Fahrten und Erfahrungen einen Weltmann und Weltberühmten wie Leisewitz anziehen, dachte er, freundlich lächelnd, und setzte seine Erzählung in Gedanken fort. Und plötzlich ging es wie Verklärung über sein Gesicht und er sagte laut: „Emma!

„Ja,“ antwortete Leisewitz und raffte sich auf. „Beinahe wär’ ich eingeschlafen. Die Hitze, die Stille – wovon sprachen wir eben? Bei Gott, ich habe geschlafen, bin ganz in Schweiß – und gerade jetzt beginnt es zu wehen!“ Er schlang rasch ein Tuch von himmelblauer Seide um den Hals. „Ach, lieber Maëstro, danken Sie dem Schöpfer, daß Sie keine Million in der Kehle haben! Immer in Sorgen, immer auf dem Posten! Was sind Sie dagegen beneidenswerth!“

Leisewitz hatte über dem Schlaf die Erzählung Roberts vergessen. Die Uhr des Sultans zeigte auf Elf. Das brachte ihn aus Rand und Band; als ob jede Minute länger in Wahndorf Unheil sei, drängte er fort. Er war bissig und übelster Laune, bis er im Dorfe den Landauer vor dem Schulzenhofe stehen sah.

Das Wohnhaus des Gemeindevorstehers war neben den übrigen Häusern der Einäugige unter Blinden. In der Schlafstube der Ehegatten links vom Flur hatte der Tondichter, in der Amts- und Staatsstube rechts der Sänger gehaust. Die Schulzenleute waren unters Dach gezogen, unb der Bediente Peppi Purzel hatte seine Schlafstelle in der Schenke. Dieser Purzel war von Leisewitz im Laden eines Wiener Haarkräuslers entdeckt und angeworben worden. Der schöne Peppi, den der Sänger mit Vorliebe Giuseppe nannte, war flink und geschmeidig wie ein Windhund und ebenso treu.

Jetzt bürstete Purzel, in einen Staubmantel gekleidet, geschäftig, aber zwecklos an Leisewitz herum, während der Kapellmeister seine Handtasche aus dem Hause holte. Zuschauer waren die Jugend und das hohe Alter und die eine und andere Stallmagd aus dem Dorfe. Nun kam Lenz zurück, von der halb erwachsenen Tochter seiner Hauswirthe begleitet. Sie hatte zu Ehren der Scheidenden blaue Strümpfe und Holzschuhe an, machte vor Leisewitz einen steifen Knicks, wobei sie lachte, und sagte leise und stockend, was ihr die Eltern an den Künstler aufgegeben hatten. Dabei sah sie nicht den Sänger an, sondern schielte nach den Pferden.

„Verstehen Sie, was unser Meermädchen sagt?“ fragte Leisewitz den Kapellmeister.

Dieser machte den Dolmetsch. „Trudels Eltern lassen uns bitten, nicht ohne Abschied abzureisen. Der Schulze ist zu einem Termin in die Stadt, die Frau zu einem Begräbniß nach dem Kirchdorf. Aber die Kleine meint, jetzt müßten beide bald heimkommen. Und da wir nichts versäumen, denk’ ich –“

„Der Recke Siegfried warten? Was fällt Ihnen ein! Ich warte nie, auch im Vorzimmer eines Königs nicht! Und wofür soll ich unseren Wirthen danken? Für gute Luft und schönes Wetter? Für die kurzen Betten und langen Brühen? Nein, mein elegischer Freund, ich hinterlasse dem Schulzen und den Seinen meinen Segen – Ceres fülle ihre Tennen mit Korn und Poseidon ihre Netze mit Flundern! – aber ich bleibe keine Minute länger. Sie haben Fischblut, ihre Kehlen sind rauh und ihre Ohren dem Zauber eines schöngetragenen Tons verschlossen!“

„Wenigstens der Kleinen thun Sie Unrecht, sie hat ein gutes Ohr und stand immer auf der Lauer, so oft Sie sangen.“

„Nun, so komm’ her, sangesfreundliche Nixe, und wenn Du eine verwitterte Großmama bist, so erinnere Dich –“

Trudchen verstand den Sänger zum ersten Mal und spitzte den Mund. Leider hatte sie Schwarzbeeren gegessen. Leisewitz bog sich schaudernd zurück; – „so erinnere Dich, daß Dir Siegfried Leisewitz die Hand gedrückt.“

„Gnädiger Herr,“ sagte Purzel, „Sie reden sich heiser . . . einen Augenblick! Ihr Foulard sitzt zu locker.“ Er liebte die Fremdwörter wie Trinkgelder.

„Ich danke Dir, Giuseppe! Und nun, steigen wir ein! Der Sänger scheidet. Blast die Muscheln, Rangen! Fort! Ktscher, peitsche Deine Sonnenpferde!“

Aber Robert stieg nicht ein, ohne das gekränkte Mädchen herzhaft auf den schwarzen Mund geküßt zu haben.

Ein paar Köter sprangen wüthend und kläffend vor den Pferden her, die johlenben Buben umschwärmten den Wagen. Auch im Ententeich gab es einen gewaltigen Aufruhr, als der Zug vorbeikam. Doch in den Häusern blieb es still; sie schienen ausgestorben, nur da und dort stieg Rauch aus den Strohdächern. Das Dorf dehnte sich lang; bei den letzten Häusern blieben Vorläufer und Gefolge zurück. Eine Strecke weit fuhr man zwischen Kornfeldern, dann begann der Wörder Stadtwald, ein echter Wald; hüben und drüben Stamm an Stamm und verschlungenes Grün, ringsum Waldesstille.

Erst ließ Leisewitz die Unterhaltung einschlafen, dann schlief er selber ein, aber nicht so fest wie auf der Düne. Zuweilen richtete er sich auf, um mit großen Augen umherzusehen. Er fand den Wald kühl, aber feucht. Robert dagegen war von der Fahrt entzückt, weil er ein Naturfreund war, weil er die fertige Partitur in seinem Handkoffer heimbrachte, weil der Weg zu Emma führte!

Der Wald lichtete sich; die Straße lief dicht am Meere hin. Ein leichter Wind furchte das Gewässer und trieb sachte die Wellen ans Land. Auf einer freundlichen blumenreichen Halde, die Stirnseite dem Meere zugekehrt, stand ein Sommerhaus. Leisewitz ermunterte sich. „Hier beginnt städtischer Schliff und Gesittung,“ bemerkte er, indem er auf das hübsche Gebäude deutete. „Wie man mir gesagt hat, wird unsere Prinzessin in dieser Villa wohnen.“

„Das mag wohl sein, Sie gehört Herrn Fritz Hagemann.“

„Sagen Sie ’mal, dieser Fritz Hagemann muß in Ihren Augen eine sehr wichtige Persönlichkeit sein. Ich erinnere mich, diesen Namen wiederholt von Ihnen gehört zu haben. Wie Sie roth werden! Sind Sie dem Manne Geld schuldig?“

„Bei Gott, nein!“ erwiderte eifrig der andere. „Fritz Hagemann hat mit einem Kaffee-Ersatzmittel – ‚Hagemanns Hagedorn-Fruchtkaffee‘ – ein großes Vermögen erworben und zählt allerdings zu den ersten Bürgern Wördes. Seine Tochter ist eine anerkannte Schönheit.“

„Ah so!“

„Sieht es nicht aus, als ob unsere Prinzessin schon eingezogen sei?“

„Unmöglich! Der Mann dort würde sonst nicht in Hemdärmeln am Stallthor stehen, Ich erinnere mich seiner, er gehört zur Hofdienerschaft. Ei, wen erblicken meine Augen! Herr Stenzel, Herr Hoffourier Stenzel, ja, grüß’ Sie Gott!“

Am Waldsaum erhob sich ein runder Bau, ein Siehdichum mit zierlicher Brüstung. Dort oben tauchte der Hoffourier Stenzel auf, der sich in stiller Beschaulichkeit auf die Bank gestreckt hatte. Nun kam er eilig herab, um den berühmten Sänger,

mit dem er in der blauen Grotte bekannt geworden war, zu

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