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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Nein, nein, ich will warten, bis ich das Werk vom richtigen Stanbpnukt aus betrachten kann. Wird Leisewitz im Kostüm singen?“

„Bewahre! Er steht wie wir in der Nische und singt dort ein Lied. Gestern bei der Hauptprobe hörte ich Leisewitz zu dem Maler sagen, daß das Lied höchsteigene Komposition unserer Prinzessin sei.“

„Ah, deshalb saßen wir Tag und Nacht am Flügel! Das wird ein theures Lied!“ – –

Die Prinzessin hatte inzwischen ihrem Vater erzählt, wie sie den Tag verbracht habe: zum größten Theil mit Briefschreiben.

„Strengt Dich das viele Schreiben nicht an?“

„Weit weniger als reden, lieber Papa. Und schreibend kann ich mich aussprechen, ohne die erstaunten oder lauernden Mienen meiner Zuhörer zu sehen.“ Sie wandte sich um, ob die Ihrigen in gebührender Entfernung seien, und fuhr dann leise fort: „Findest Du die Augen des neuen Doktors nicht unangenehm, Papa? Es sind Augen, von denen man sagt, sie könnten durch ein eichenes Brett sehen. Und er scheint eingebildet darauf zu sein – er verfolgt mich förmlich mit diesen Augen.“

„Rede Dich in kein Vorurtheil gegen den Mann! Ich halte ihn für tüchtig und brav.“

„Er fragt soviel.“

„In seinem Beruf!“

Erna schwieg verstimmt, bis sie am Ende des Baumganges waren, wo sie der Fürst fragte, ob sie nach rechts oder links wolle. Sie blieb zaudernd stehen, sah zum Himmel auf, der jetzt die Farbe eines blassen Smaragdes hatte, und sagte zuletzt: „Ich fühle mich, ich weiß nicht warum, müde. Wenn Du nichts dagegen hast, halten wir auf dem Boccia-Platz eine kurze Rast.“

„Weil Du Dir zu wenig Bewegung machst, ermüdet Dich die kleinste.“

„Du bist heute hart gegen mich.“

„Wahrhaftig nicht. Komm! Es ist noch hell und der Boden dort trocken. Herr Walter soll sich Dir von seiner besten Seite zeigen und etwas von seinen Reisen erzählen.“

„Nicht doch, Papa! Ich habe Dich so selten für mich – verkürze mir dies Vergnügen nicht!“

Felix Walter schlenderte schweigend neben den anderen her. Ihre halblaute Unterhaltung drehte sich um irgend ein Hofereigniß, das ihn nichtig deuchte. Gräfin Casasola lachte einmal hell auf, erinnerte sich dann der Nähe des Landesherrn und summte aus Rossinis „Barbier“: Zitti, zitti! Piano, piano!“ Als man dann stille stand, wandte sie sich in ihrer raschen, fast sprunghaften Weise an Walter. „Wie gefällt Ihnen Solitude? Natürlich außerordentlich! Kennen Sie die Lombarbei?“

„Wenigstens die große Heerstraße.“

„Nun, an der großen Heerstraße zwischen Brescia und Bergamo steht das Schloß meiner Ahnen. Aber die Bekanntschaft unserer Prinzessin habe ich auf unserem Landsitz am Gardasee gemacht. Geben Sie zu, daß dort eine Juninacht noch schöner als hier ist?“

„Ich stelle niemals Vergleiche an; ich feiere die Feste, wie sie fallen.“

„Empfindsam sind Sie also nicht. Musikalisch? Warum lachen Sie?“

„Weil man dieser Frage hier niemals und mit niemand entgeht. Ich bin hier Saul unter den Propheten, Gräfin, denn ich verstehe wenig oder nichts von Musik. Doch ich werde mich bilden.“

„Bravo! Haben Sie Leisewitz gehört?“

„Das ist die zweite unvermeidliche Frage. Nein, Gräfin. Aschau sagt mir, daß ich vielleicht heute noch –“

„St, das dürfen wir ja nicht wissen! Ich war immer der Meinung, daß nur die Italiener singen könnten. Da hörte ich ihn! Zwar wird dies und das über seine Herkunft gemunkelt, aber jedenfalls ist er ein Deutscher. Und seine Kunst ist ebenso wunderbar wie seine Stimme. Die Luft wird Wohllaut, wenn er singt, wir schweben und schwelgen.“

Da der Zug sich wieder in Bewegung setzte, nahm Livia Casasola unbefangen den Arm des Arztes; ihre freie Hand spielte mit dem Fächer. Sie blieben hinter den anderen zurück, denn die Gräfin stand still, wenn sie sprach, und blickte dabei ihren Begleiter an. „Wie ich fürchte,“ fuhr Livia fort, „ist aber dleser Leisewitz, bei all seiner Kunst, im Leben ein großes Kind. Nun lösen Sie mir das Räthsel: wie verträgt sich kindisches Wesen mit starkem, tiefem Gefühl? Oder legen wir in seinen Gesang das hinein, was er nicht giebt? Jedenfalls ist Leisewitz doch ein großer Sänger – nebenbei gesagt, auch ein schöner Mann.“

„Das ist der erste Tenor ja immer. Was ihm dazu fehlt, wird ihm von den Damen zugelegt.“

„Nein, nein, in diesem Punkt urtheile ich kühl. Da! Die Prinzessin biegt nach dem Palmenhaus ab, das heißt, die Ueberraschung beginnt und der Spaziergang hat ein Ende. Schade!“

„Ich habe eine Bitte, Gräfin. Wenn ich wieder Ihr Begleiter sein darf, erzählen Sie mir von Ihrer ersten Bekanntschaft mit der Prinzessin!“

Miene und Haltung des schönen Mädchens waren plötzlich verändert. „Ich würde Ihnen nichts erzählen können, Signor Dottore,“ sagte sie kühl. „Zwar ist es noch nicht sehr lange her, immerhin lange genug. Ich spielte noch mit der Puppe, und Ihre Hoheit war, was die poetischen Deutschen einen ‚Backfisch‘ nennen. Jene Zeit liegt hinter mir wie ein Traum. Aber wir müssen uns eilen, kommen Sie, Dottore!“

Das Palmenhaus, ein hoher Eisenbau, wurde wie Schloß und Park mit einbrechender Dunkelheit elektrisch beleuchtet. Palmengruppen nahmen den halben Flächenraum ein, ein kleiner Teich und ein Rasenhügel die andere Hälfte. Dieser Theil des Innern war heute den Eintretenden durch einen Vorhang verdeckt, durch bemalte Florgewebe, die leichtes lichtes Morgengewölk darstellten. Davor standen Stühle wie vor einer Bühne. Als die Gesellschaft, von der Prinzessin aufgefordert, Platz genommen hatte, versank der Palmenhain in jähe Finsterniß. Dagegen erschimmerte der Vorhang in einer sanften Helle; er theilte sich, und die Zuschauer blickten in eine „blaue Grotte“. Aus dem lichtblanen Wasserspiegel, über den elektrische Funken wie Wellen blitzten, stiegen hüben und drüben feuchtschimmernde Felsen auf, die sich zu einer sanften Wölbung zusammenschlossen; Tropfsteine hingen als Zierat herab und Krystallgebilde ragten wie Pfeiler empor; der Hintergrund verlor sich in tiefblaue Dämmerung. Die Täuschung, die der Kunst möglich ist, war erreicht; es war nicht die Grotte von Capri, aber die anmuthigste Theaterdekoration, die man sich vorstellen konnte.

„Das ist Dir gelungen, liebe Erna,“ sagte der Fürst, „wahrhaftig gelungen! Ich bin erstaunt –“

Die Herren murmelten Beifall. „Sehr hübsch,“ sagte halblaut Frau von Schönfeld. „Nur hübsch? Wundervoll !“ jubelte die Casasola, und ihre Freude war aufrichtig. Da erklang im geheimnißvollen Hintergrund Mandolinenspiel, und dann sang eine Männerstimme:

„O wie sehn’ ich mich nach Süden,
Nach der Sonne Gnadenfülle,
Nach des Herzens Kirchenstille,
In des Lebens Blüthenreich!
O wie sehn’ ich mich nach Frieden!

Eine Tafel, unbeschrieben,
Ist mein Sein bis jetzt geblieben,
Aber endlich scheint das Licht.
Jetzt soll anders sich gestalten
Und sich warm und reich entfalten
Meines Lebens Festgedicht!“

Die Worte aus Ibsens nordischem Drama paßten nun freilich nicht für einen neapolitanischen Schiffer, doch wer nimmt es mit einem Liedertext so genau! Jedenfalls bot die Weise dem Sänger Gelegenheit, seine Stimme wie seine Kunst zur Geltung zu bringen. Und er war Meister seiner Stimme! Und welcher Stimme! Schön, wenn sie stieg und fiel oder wenn sie stark und mächtig dahinquoll; fähig, alle Empfindung auszudrücken, süße Traumseligkeit, schmerzliche Sehnsucht, glühenden Wunsch!

„– Jetzt soll anders sich gestalten
Und sich warm und reich entfalten
Meines Lebens Festgedicht!“

Der Sänger schwieg. Aber noch waren alle in seinem Bann, verzückt, regungslos. Nur Doktor Walter, der abseits saß, hatte dem Gesang kein Ohr geliehen, weil er ganz Auge für seinen Schützling war. Das Lied, das vielleicht ihrer eigenen Sehnsucht Worte gab, rührte Erna tief. Thränen standen in ihren Augen und stahlen sich über die Wangen. Als der Gesang verklungen war, blieb sie wie die anderen in sich versunken, als hörte sie noch die Stimme. Die Beleuchtung bleichte und entstellte alle Gesichter, dennoch entging es dem Arzte nicht, daß Erna jetzt plötzlich die Farbe wechselte. Ihre Lippen zitterten eigenthümlich, ihr Kopf neigte sich schwer – doch da war der Arzt schon bei ihr: er hielt die Ohnmächtige aufrecht.

*  *  *

Nachdem Erna noch im Palmengarten sich erholt hatte, war sie ins Schloß gebracht worden. Die Herren ihres Hofstaates standen im Vorzimmer des Saales, in dem die Abendtafel hätte stattfinden sollen, und harrten, noch immer bestürzt und in

aufrichtiger Sorge, auf Nachrichten aus dem Krankenzimmer. Endlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_463.jpg&oldid=- (Version vom 22.7.2022)