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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

eine nach vielen Tausenden zählende Volksmenge durch die stattlichen Laubgänge, hinan zur Gloriette oder in die schattigen waldähnlichen Theile des Gartens. Das größte Gewoge jedoch herrscht in dem großen zoologischen und botanischen Garten, und insbesondere bilden in der sogenannten „Menagerie“ der Bärenzwinger, die Käfige der Löwen und Tiger, sowie das Affenhaus das Entzücken der Kinderwelt.

Die prunkvollen Räume des Schönbrunner Schlosses haben große geschichtliche Ereignisse gesehen. Als der korsische Eroberer Wien im Jahre 1809 eingenommen hatte, schlug er in Schönbrunn sein Hauptquartier auf. Der idyllische Ort mochte ihm sicherer erscheinen als die feindliche Hauptstadt; dennoch wäre er beinahe das Opfer eines Attentates geworden, das der thüringische Pastorssohn Friedrich Raps an der Freitreppe des Schlosses auf ihn unternommen hatte. Raps wurde, da er sich standhaft weigerte, eine feierliche Erklärung abzugeben, daß er in Zukunft jede Feindseligkeit gegen die Person des Kaisers unterlassen wolle, in dem nahen Gatterhölzel erschossen. Als dann die Zeit des Wiener Kongresses im Jahre 1815 kam, da war Schönbrunn der Schauplatz rauschender Feste von märchenhafter Pracht. –

Der Prater! Wo immer man Wien und seine Bewohner zeichnen will, da darf das Bild des Praters mit seinem bunten Leben und seiner tausendfältigen Bethätigung voll Frohsinn und Daseinsfreude nicht fehlen.

Der „schöne Brunnen.“

Obelisk. 
  Gloriette
 Schönbrunn.


Wenn der müde Leib der Riesenstadt an schwülen Sommertagen wie in einem quälenden Traume befangen ruht, wenn eine mißfarbige, aus dem Qualm und Brodeln der tausend Essen gebildete Wolke gleich einem schweren Alp über ihr liegt, da scheint es zuweilen, als ob die Seele sich geflüchtet hätte in die heiteren Gefilde eines seligen Traumlandes, in welchem die Menschen gut und frohgestimmt wandeln, Hand in Hand, wie Brüder einer besseren Welt, die von des Lebens Qual und Sorge, von Kampf und Zwietracht nichts wissen. Zu Tausenden geht dann der Zug nach den thaufrischen Auen, wo Milch und Honig fließt, wo es singt und klingt wie im verzauberten Walde, wo allen Sinnen muntere Quellen springen – in Miethwagen und Karossen, zu Fuß in ungezählten Scharen wandeln sie hinab in den kühlen Schatten der hundertjährigen Bäume, an den erquickenden Born einer beliebten Bierquelle. Von der Ringstraße bis zum Lusthaus – fast zwei Wegstunden – eine ununterbrochene vierfache Wagenkolonne, die in der „Nobel-Allee“ ab und zu rollt, voll schöngeputzter, fröhlich plaudernder Insassen, zwischen lebendigen Mauern von schwatzenden und lachenden, spottenden und bewundernden Zuschauern. Wenn der Korso vorüber ist, verliert sich die tausendköpfige Menge in die zahlreichen Bierwirthschaften des „Volkspraters“ („Wurstelpraters“) oder staut sich vor den Buden mit ihren Jahrmarktswundern, den Riesen und Zwergen, den Panoramen und Panoptiken, den Kraftmessern und Schießstätten, Ringelspielen, Schaukeln und Haspeln. Die Ausrufer locken die Gaffer mit betäubendem Wortschwall in ihre Buden, deren schönste Stücke, Affen, Papageien und gemalte Reklamen, außen als Lockspeise ausgestellt sind. Aus der Ferne, von den Kaffeehäufern der „Nobel-Allee“ klingen die Walzer der Militärkapellen herüber, dazwischen die ohrenzerreißenden Töne einer verstimmten Drehorgel und der kühne temperamentvolle Rhythmus einer Zigeunerkapelle – dazu das Tosen der frohbewegten Menge –

das alles bildet eine eigenartige Symphonie.

„Hier ist des Volkes wahrer Himmel!“

Der Kleinbürger und der Handwerksmann, der Arbeiter und die Magd, die arme Handarbeiterin und der gemeine Soldat – sie finden hier – ihren bescheidenen Theil an des Lebens Freuden und genießen ihn mit vollen Zügen. Was die Woche auch dem kleinen Manne an Mühsal und Beschwerden bringt: ein Sonntagnachmittag, mit Kind und Kegel im Prater verjubelt, söhnt ihn mit seinem harten Schicksal aus. Man freut sich der Stunde und hat auch für die Freude des anderen ein wohlwollendes Gemüth, das sich äußert in einem fröhlichen patriarchalischen Verkehr, in dem Bemühen, durch eigene Beiträge von Witz und Laune die allgemeine Stimmung zu erhöhen.

Zunächst spiegelt sich diese Stimmung in der Theilnahme an den Freuden der Kinderwelt. Das ist ein wahres Labsal für die Großen, in den leuchtenden Augen ihrer Kinder zu lesen, wie schön und glücklich ihnen der Augenblick erscheint. Da reitet der kleine Pepi nun auf dem Holzschimmel, von dem er solange phantasiert hat. Wie der kühnste Reiter sitzt er im Sattel und die Bewegung des Karussells ist für seinen Wagemuth viel zu behaglich – er peitscht und spornt das Thier und jauchzt und seine Wangen glühen – und dann wieder sitzt er mit andächtiger

Miene vor dem Wursteltheater und verfolgt die bösen Thaten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_457.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2022)