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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

gefallen mußte und nur ernster erschien, als man es zu sehen gewohnt war, und ein Licht mochte ihm aufgehen. „Was soll ich denn wissen?“ sagte er aber doch hartnäckig. „Wenn Ihr den Junker meint, daß der fort ist, als hätte ihn der Boden verschluckt – dabei steht mein Verstand ebensogut still wie der von gescheiteren Leuten. Denn daß er etwa desselben Weges gefahren wäre wie das Fräulein, das ist doch nicht zu glauben ... so einer wehrt sich, wenn sie ihn etwa hätten davonführen wollen, um ihr einen Possen zu spielen. Und nun gar ihn geistlich zu machen, das brächten alle Schwarzröcke der Welt nicht fertig!“

Nievern, stumm vor Betroffenheit, starrte den Alten an, die Gestalt, kräftig zwar, aber doch das hohe Greisenalter nicht verleugnend; und jetzt in der Dämmerung überkam ihn die wilde Seltsamkeit derselben mehr als zuvor. Selbst den aufgeklärten Hofherrn durchzuckte ein wunderlicher Gedanke. Dem gewöhnlichen Laufe der Natur nach hätte dieser Alte längst Staub und Moder sein müssen. Und da stand er, unverwüstlich, wie einer seiner knorrigen Waldbäume, denen er glich, und verrieth in Wort und Werken die Klugheit, die mehr als menschliche, eines Gnomen!

In das uralte Antlitz vor sich starrte Nievern oder vielmehr auf den kleinen, tief beschatteten Fleck unter dem Hute, der jetzt, da der Abend völlig hereingebrochen war, dies Antlitz vorstellte, und aus dem nur dann und wann die Augen aufleuchteten. „Bei Gott, Euch anzutreffen verlohnt sich,“ sagte er endlich. „Aber Ihr habt recht, hier ist nicht der Ort und die Zeit, um weiter zu reden. Bescheidet mich, wo ich im Forste mit Euch zusammenkommen kann . . . von heute ab in zwei Tagen, gegen Sonnenuntergang. Ihr haust am Heidenkopfe . . . habe ich recht sagen hören?“

Der Strieger murmelte ein paar unverständliche, unwirsch klingende Worte „Wo ich hause, kann Euch gleich sein,“ murrte er dann. „Kommt Ihr aber zu der Zeit, von der Ihr sprachet, von der Stadt her den Heidenkopf hinauf, nicht durch die Föhren, sondern hart am Bruchland vorüber, so geht bis zum dritten Markstein links und da wartet; kann sein, daß wir uns dann treffen.“

„Kann sein? Ich denke, es wird sein,“ sagte Nievern, nun auch herrischer, als er bisher gesprochen hatte. Doch fügte er hinzu: „Geschieht es doch um deretwillen, der Ihr, denke ich, ja auch treulich anhängt. Ho, ho, steh’ –“ Die letzten Worte galten dem Pferde, das eine Bewegung der Ungeduld gemacht hatte. Nievern klopfte seinem Thiere beruhigend den Hals. Als er es aber soweit hatte, daß es noch einmal stille stand, da fand sich, daß die Bemühung nicht nöthig gewesen wäre. Nievern, sich wieder zurückwendend, blickte sich betroffen um. Er war allein – die Stelle, wo der Alte gestanden hatte, war leer, als hätte ihn der Erdboden geschluckt. Und dabei hatte man auch nicht ein welkes Laub rascheln hören.

Den Oberjägermeister dünkte das so seltsam, daß er sich die Mühe gab, links und rechts zu spähen, auch jenseit der Hecke, an welcher der Strieger gestanden hatte. Da war ein verwilderter Garten, in dem niedrige, jetzt herbstlich dürre Beerenbüsche wuchsen. Wie einer aber, und noch dazu ein Neunzigjähriger, nur diese zur Deckung benutzend, sich so hatte davonmachen können, erschien ihm unbegreiflich und er schüttelte noch den Kopf darüber, während er nachdenklich aufsaß und von dannen ritt. Ihn beschäftigten die Worte, die der Alte eben über das Verschwinden des jungen Lutz sich noch hatte entlocken lassen; sie waren wie ebensoviel Funken gewesen, durch die ihm das Dunkel jener Angelegenheit, wenn auch flüchtig, so doch auf eigenthümlich versprechende Weise erhellt worden war.

(Fortsetzung folgt.)




In den Gärten Wiens.

Von V. Chiavacci.0 Mit Zeichnungen von W. Gause.


Wo heute das Häusermeer der westlichen Vorstädte und Vororte Wiens sich bis hart an die Rebenhügel und Berge des Wienerwaldes ausdehnt, da waren vor nicht gar langer Zeit ebenfalls Felder und Weingärten, die mit dem zunehmenden Wachsthum der Stadt allmählich verschwanden, nur hie und da eine grüne Oase, einen zwischen Mauerwänden eingeschlossenen Hausgarten oder einen öffentlichen, mit Bäumen bepflanzten Erholungsplatz zurücklassend.

Die heutigen Vorstädte und Vororte waren in früheren Zeiten im Besitz von adligen Familien oder von Klöstern, die ihre „Gründe“ theilweise selbst bewirthschafteten oder an Pächter vergaben. Die Herren von Gumpendorf zogen an den Hügeln, die sich längs der Wien bis hinauf zu den Vorstädten Mariahilf und Windmühle ausbreiteten, einen vortrefflichen Wein, der im Mittelalter zu den geschätztesten Tropfen des weingesegneten Wiener Beckens gezählt wurde. Aeltere Leute erinnern sich wohl noch heute daran, die Ueberbleibsel dieser einst so berühmten Weingärten gesehen zu haben, auf deren Boden heute die Häusergruppen zwischen dem sogenannten „Ratzenstadtl“ und der Eßterhazygasse stehen.

Der Volksgarten.

Die „Gründe“ wurden von ihren adligen und geistlichen Besitzern allmählich für gutes Geld stückweise verkauft, und als nach den Türkenkriegen Wien sich neuerdings zu dehnen und zu recken begann, entstanden rings um die eigentliche Stadt zahlreiche Dörfer, Meierhöfe, Einkehrgasthäuser, die sich im Laufe der Zeit immer enger aneinander schlossen und zu den heutigen Vorstädten verwuchsen. Das freundliche Grau der Felder und Gärten innerhalb der Linienwälle verschwand, und wenn der Wiener „über Land“ gehen wollte, so mußte er vor die „Linie“ hinausgehen. Auch heute noch hält der Wiener diese beiden Begriffe für gleichbedeutend, obwohl auch außerhalb der Linienwälle in den Vororten die wogenden Aehrenfelder längst den endlosen Straßenzügen haben weichen müssen.

Das ehemalige Gartenland, das jetzt mit volkreichen Stadttheilen verbaut ist, ließ aber in der Stadt manch reizvolle Erinnerung zurück, erquickende Oasen mit schattigen Baumgruppen, saftiggrünen Wiesenflächen und farbenbunten Blumenteppichen. Die Mehrzahl dieser Gärten, die zum größten Theile dem Publikum freigegeben sind, verdankt Wien der Freigebigkeit des Hofes und adliger Familien. Als jedoch nach der Stadterweiterung die sogenannten Glacis, der breite Wiesengürtel, der sich rings um die Festungswälle bis zu den Vorstädten ausdehnte, verbaut

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_452.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2021)