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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

die kecke Jugend ist gedankenlos und deshalb schon unbekümmert um das, was sie uns Aelteren anthut. Und wenn er nun hätte Nachricht geben wollen von seinem Verbleiben und Brief oder Botschaft wären nicht aus Ziel, das heißt bis zu uns, gelangt?“

„Der Sache müssen wir nachforschen,“ murmelte Nievern, der sich indessen erhoben hatte, denn es war Zeit zum Heimritt. „Zählt dabei auf mich, Herr Oberst – ich habe Vettern und gute Freunde nicht nur in diesem großmächtigen Lande Birkenfeld. Es müßte ja mit dem Teufel zugehen, wenn wir von diesem Unglücksjungen – dafern er über der Erde ist, was ich mit Euch von ganzem Herzen hoffe – nicht irgend eine Spur auffinden sollten!“

Ehe er sich verabschiedete, hart an der Thür, begann Nievern noch einmal, mit leiser Ueberwindung: „Daß das Fräulein im Kloster so abgeschieden von allen ihren Freunden ist, scheint hart. Meint Ihr wirklich, daß man auch Euch, dem Vormund, den Eintritt zu ihr wehren würde? Sonst würde ich Euch bitten, ihr zu sagen, daß sie mehr Freunde hat, als sie vielleicht denkt, damit sich ihr der Muth wieder stärke.“

„Das sagt ihr nur selber, wenn Ihr hineinzukommen vermögt,“ gab Herr von Gouda zur Antwort. „Ihr kennt die Geistlichkeit schlecht, wenn Ihr meint, das sei so leicht. Hätte ich nicht einen Bundesgenossen noch seltenerer Art mit Verlaub, als Ihr es seid, so wüßte ich über mein Mündel, das Fräulein, jetzt nicht einmal das Wenige, was ich weiß,“ Und dem hochaufhorchenden Kavalier erzählte er nun vom Strieger, und wie dieser alte Fuchs die Fahrt auf der Klosterkutsche mitgemacht habe.

Das gefiel dem Herrn von Nievern so gut, daß ihm dann während des Heimrittes der Gedanke an den schlauen Alten immer wieder kam und die Gestalt desselben, die er doch nie mit Augen gesehen hatte, sich ein paarmal zwischen seine Ueberlegungen drängte. Er ritt im Schritt fürbaß, in der frühen Dämmerung des Herbsttages, die ihm gerade recht war. Als er das Stadtthor hinter sich hatte, wollte der Braune den gewohnten Weg nach links zum Residenzschloß einschlagen, fand sich aber zu seinem unwilligen Befremden durch einen gelinden Zügelruck daran gehindert; sein Herr nöthigte ihn nach rechts. Das verwöhnte Thier schnaubte ein wenig, wie verächtlich, während sein Huf hier einen elenden steinigen und zugleich kothigen Weg betrat, Es war dies die entlegenste und ärmste Gegend des Städtchens, dessen Mauern einen viel größeren Raum einfriedigten, als es, durch den großen Krieg am Lebensmark versehrt, anzufüllen vermochte. So zogen sich hier Gärten und Aecker und dazwischen einzelne elende Behausungen hin. Nur ein stattliches Gebäude ragte seitwärts im Dämmer auf, mit vielen Fenstern, langgestreckten Schieferdächern und einem kleinen Glockenthurm. Es war das Haus der Ursulinerinnen, noch immer dicht an Stadtmauer und Graben gelehnt wie einst. Es war aber keine übersichtliche Fläche, die das Kloster vom Kerne der Stadt trennte, sondern ein Gewirr von buschigen Gärten, Heckenwegen und Zäunen.

Kein Mensch begegnete dem Reiter, der jetzt in einiger Entfernung das Nonnenhaus umritt, soweit dies möglich war, und dabei unverwandt nach den Fenstern desselben schaute, den vielen dunklen und den einzelnen matt erhellten. Wie trübe das Flämmchen sein mußte, das den Bewohnerinnen der Gelasse hinter jenen kleinen Scheiben abends leuchtete, und wie bänglich für ein junges, freies, Licht und Luft gewohntes Geschöpf der Aufenthalt zwischen jenen öden Mauern! Mitleid und Scham und noch etwas anderes packten den einsamen Mann im Sattel, daß er die Zähne aufeinander biß und unter dem unwillkürlichen Drucke der Schenkel sein Pferd sich hob und in Trab fiel. Er zügelte das Thier aber wieder, rauh, wie er sonst nicht mit ihm umging, und klopfte ihm dann den zitternden Hals in halber Reue. Jetzt hielt er an und blickte nach dem Hause drüben, als könnte er durch die Mauern hindurch sehen. Er sah auch, sah die weißen Glieder Polyxenens in ihrem herben Reize vor sich . . . die schönen Weiber dort in Arlon hatten sich ihm in die Arme geworfen beim wilden Tanz, und nicht nur sein innerstes Herz, sein Blut sogar war kalt geblieben . . . was war es, das ihm jetzt im Eingeweide brannte und ihm den Gaumen trocken werden ließ wie einem vor Durst Verschmachtenden, während er derjenigen dachte, welche hinter jene Mauern entrückt war?

Er kam mit einem Male zur Besinnung und zum Bewußtsein seiner nächsten Umgebung. Das Pferd war unruhig geworden, wie wenn es in dem engen Heckenpfade vor irgend einem Gegenstand scheute. Der Oberjägermeister blickte zur Seite, wo ein Weidenstrunk oder etwas Aehnliches ein weniges über das Heckengestrüpp herausragte. War es wirklich ein Baumstumpf? Nein! Mit eineln leisen Fluche hielt Nievern sein Pferd an, bog sich seitwärts aus dem Sattel und hob dann die schwere Reitpeitsche mit dem Knopfe, als wenn er untersuchend irgendwo aufklopfen wollte. „Holla, Freund!“ rief er unwirsch, „was zum Henker drückt Ihr Euch da herum – denn Ihr seid doch ein Mensch und kein Holzklotz . . .“

Der andere schob mit der Hand die Gerte zurück und sagte, auch nicht eben höflich: „Was zum Henker bringt Ihr einen Gaul hierher, wo ein Mensch kaum Platz hat, die Füße voreinander zu setzen. Ihr seid hier mehr im Wege als ich, dächt’ ich.“

Der Sprecher hatte sich allerdings tief in die Hecke hineinschieben müssen, um dem Pferde Raum zu geben. Aber augenscheinlich war doch auch seine Absicht gewesen, den Reiter vorüber zu lassen, ohne überhaupt bemerkt zu werden, Herr von Nievern faßte ihn jetzt um so schärfer ins Auge, soweit es das rasch sinkende Tageslicht zuließ, und ihm war, als müsse er den verwitterten Alten kennen, obwohl er ihn nie zuvor erblickt hatte. Er brachte sein Pferd so vor den Fußgänger, daß dieser keinen Schritt thun konnte, beugte sich aus dem Sattel und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Mann – Ihr müßt der alte Strieger sein oder ich bin’s. Sprecht“ – er neigte sich noch tiefer herab und sprach leiser, obwohl sie beide zu dieser Stunde hier so allein waren wie etwa auf dem Meere – „Gut Freund von Fräulein Polyxene!“

Jetzt funkelten ihn die neunzigjährigen Augen des anderen an, und wie von einem leisen hohlen Lachen begleitet kamen die Worte: „Kennt Ihr mich, so kenn’ ich Euch auch, Herr Oberjägermeister, Ihr wundert Euch? Ha ha – der Waldkauz sieht den Jäger fünfzigmal, ehe der ihn einmal gewahr wird.“

Nievern glitt vom Pferde und nun standen die beiden Männer dicht beieinander. „Ihr streicht um ihretwillen hier herum, wißt Ihr etwas Neues?“ fragte der Kavalier den Alten, alle Umschweife verschmähend.

Der Strieger sah nun seinerseits seinen Mann an; er sah die schönen, sonst so heiteren vornehmen Züge verdüstert und konnte merken, wie jenem die Sorge dicht am Herzen saß. Doch antwortete er, nach seiner Art, nicht direkt. „Hier hinaus sieht ihr Fenster nicht,“ begann er zunächst, „wenn man das Fenster nennen kann, ein Loch in der Mauer, Es geht drüben auf den Graben; herauszuholen ist sie da nicht, Herr, von außen nicht. Aber“ – er schaute den anderen prüfend von der Seite an – „vielleicht will sie auch gar nicht. Sie will ja selber geistlich werden, wie?“

„Ich dächte, das wüßten wir beide besser“ erwiderte Nievern. „Laßt Euere Kniffe und Schliche, Alter; bei mir braucht es dergleichen nicht. Und jetzt sollt Ihr wissen, daß ich zu dem Fräulein zu stehen gedenke, offen und heimlich, je nachdem, und daß, wer auch immer ihr einen Dienst thut, an mir einen Freund hat . . .“

„Freunde kann sie brauchen, aber daß Ihr einer seid, rath’ ich Euch, nicht auf den Dächern auszukrähen,“ sagte darauf der alte Waldwart. Nievern kannte diese Jägervorsicht, die sich immer nur verstecken und Ziel und Wegspur verbergen und verwischen will. Nun, sie konnte hier nichts schaden. „Der beste Freund des Fräuleins wäre der, der aussagte, wo wir den Junker zu suchen haben,“ murmelte er jetzt vor sich hin. Der Strieger nickte. „Tot ist der Junker so wenig wie ich,“ setzte er mit Bestimmtheit hinzu.

„Und auch nicht zu den holländischen Werbern gelaufen?“

„Nein, der ist nicht davongegangen! Er war ja hier so vergnügt, wie der Tag lang ist. Ein frischeres und froheres junges Blut wie ihn, wenn er mit dem Fräulein auf dem Pirschgang war, habe ich meiner Tage nicht gesehen. und der hätte freiwillig hinter dem Unglück und einer fremden Trommel herlaufen sollen? Das macht mir keiner weis . . , Aber ich muß fort, Herr, der Waldwart gehört in sein Gehege. Wenn Ihr etwas von mir wollt –“

„Ja, sagt mir, wo ich Euch dann finde!“ erwiderte Nievern hastig. „Ich komme in Eueren Wald ... vielleicht daß Ihr mir einmal einen Botengang thut ... Und Ihr wißt mehr, als Ihr jetzt herauslaßt . . . hole der Henker Euere Vorsicht! Merkt Ihr denn nicht, daß ich für das Fräulein meine Hand ins Feuer legen würde?“

Der Strieger sah den schlanken Mann noch einmal rasch und forschend an, blickte in ein Gesicht, welches wohl jedem Weibe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_451.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2021)