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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Die wählte nicht lange. „Ach, ich bin so gräßlich durstig,“ lachte sie, „bitte, ein Glas Bier!“

Sogleich beeilte sich Herr Philipp Ardinger ihrem Wunsche nachzukommen. Als er aber auch der Mutter einschenken wollte, hielt diese mit komischem Entsetzen die hübsch geformte Hand über ihr leeres Glas. „Nicht doch,“ rief sie, „ich bltte Sie – Bier im Rheingau, wenn solche Flaschen winken! Gleiches Recht für alle, ich bitte um Rauenthaler!“

Auch ihrem Verlangen entsprach Herr Philipp mit gleicher ruhiger Höflichkeit. Der Vetter entschied sich für „erst Wein, dann Bier – weil man doch zuerst dem Lande eine Ehre anthun muß“. Er ging aber bald zu dem braunen Getränk über. Herr Ardinger und ich schlossen uns der Witwe an.

Solchergestalt hatten sich zwei Heerlager gebildet, aber ohne Feindschaft. Die blonde Helene hatte sogleich entdeckt, daß das Bier laut den aufgeklebten Zetteln aus der Brauerei des Vetters stammte. Hocherfreut belohnte der Vetter uns dafür mit einer eingehenden Vorlesung über den Unterschied von obergährig und untergährig. Von da kam das Gespräch auf den Weinbau, was im Verlauf des Abends Fräulein Helene veranlaßte, auf eine Frage des Herrn Philipp auch am Portwein ein wenig zu nippen. Später redete man noch über tausendundeins andere Dinge, man unterhielt sich vorzüglich, und als ich spät abends heimkehrte, entdeckte ich im verborgenen Winkel meines Herzens neben dem Mitleid für Herrn Philipp – denn der Vetter war doch zu gefährlich – bereits einen ganz schüchternen Ansatz zu einer zärtlichen Neigung für die schöne Witwe.

Den folgenden Tag benutzte ich dazu, auf einer herzerquickenden einsamen Berg- und Waldfahrt diese Neigung an manchen mir von früher her noch gar werthen Stätten herumzuführen und ein wenig mehr heranzuziehen. Als ich dann gegen Abend heimkehrte, kam ich an Herrn Philipps Haus vorbei. Da stand er breit vor der Thür und ersuchte mich freundlich, ihm zu seiner Verlobung Glück zu wünschen.

„Ei,“ sagte ich, indem ich meinem künftigen Stief-Eidam herzlich die Hand schüttelte, „das ist ja schnell gegangen.“ Er nickte mit seinem ruhigen stillzufriedenen Lächeln. „Ja,“ meinte er, „gestern sagte ich Ihnen ja, daß noch nichts recht entschieden sei. Drum hab’ ich eben die Weinprobe gestern veranstaltet. Sehen Sie, da ist es mir erst gewiß geworden: das ist eine Frau für einen Rheingauer, die kann hier glücklich leben. – Aber nicht wahr,“ brach er plötzlich mit ordentlich verklärtem Gesicht aus, indem er mich bei beiden Händen ergriff, „nicht wahr, das ist eine Frau!“

Mir dämmerte etwas. „Aber verzeihen Sie,“ brachte ich ziemlich ungeschickt hervor, „ich dachte doch, Sie hätten Fräulein Helene“ – –

Herr Philipp sah mich groß an. „Die?“ rief er ganz erstaunt, „aber ich bitt’ Sie, nein! Ein Mädel, das Bier trinkt, wann der Rauenthaler da steht, und nachher noch allerlei durcheinander oben ’nauf, – na, wissen Sie, das ist ja ein liebes, nettes Ding, aber – ’s hat keine Weinzung’! Nein, die heirathet ihren Vetter, der braut gutes Bier und ist ein junger Mann, hübsch und brav – das Pärchen paßt auch zusammen.“

Ich hielt es für aussichtslos, dieser Beweisführung etwas entgegenzustellen. Uebrigens hat die Zeit Herrn Philipp Ardinger auch diesmal wieder recht gegeben. Er hat in der Ehe mit der schönen Weinfreundin ein schier wolkenloses Erdenglück gefunden, und die blone Helene lebt kaum minder glücklich mit dem Vetter drunten am Niederrhein.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_446.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)