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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

ließ sich von seiner alten Lieblingssorte vorsetzen, so weit das Geld reichte, das er sich die vier Wochen über zu diesem Zwecke in einer alten seidenen Börse aufgespart. Am folgenden Tage trank er wieder seinen leichten Tischwein, und so fort bis zum nächsten Vollmond. –

Auch diesmal hielt Herr Philipp Ardinger an seiner Regel fest. Es war mir nicht vergönnt, ihn noch einmal in der Laube zu sehen. Auf seiner Villa suchte ich ihn auf, aber da war er zur Besichtigung in den Weinbergen.

Und wieder an einem Sommerabend war’s, als ich nach fünf Jahren aufs neue bei meinem redlichen Wirthe von damals einkehrte.

Es versteht sich, daß ich mich gleich beim Willkommtrunk nach Herrn Philipp Ardinger erkundigte.

„O, mit dem hat sich’s wunderlich gewendet,“ berichtete der Wirth. „Zwar heute abend werden Sie ihn kaum noch hier sehen, obgleich er jetzt nicht bloß alle Monat einmal Einkehr hält.“

„So hat sich sein Beutel wieder besser gefüllt,“ fragte ich, „oder sollte er gar seinen Grundsätzen untreu geworden sein und über Vermögen zechen?“

Der Wirth schüttelte lachend den Kopf. „Nein, Herr Philipp Ardinger würde so leicht nicht auf die schiefe Bahn kommen. Aber er ist jetzt ein reicher Mann und kann sich’s leisten. Ostern sind es zwei Jahre geworden, seit ihm das Konsulat alles auf Heller und Pfennig mit guten Zinsen gezahlt hat, was ihm sein Kompagnon damals entwandt hatte. Der Kerl war wirklich drüben Millionär geworden, und als er trotz seiner Millionen sterben mußte, da hat er ein Einsehen gehabt und noch letztwillig die alte Schuld gedeckt.“

„Ei,“ rief ich mit herzlicher Freude, „das ist ja eine gute schöne Nachricht! So hat Herr Philipp doch Genugthuung für das Geschick erhalten, welches er so unverdrossen trug. Nun wird er ja wohl recht glücklich sein.“

Der Wirth zog die Stirn in bedenkliche Falten. „Ja, das sagen Sie so,“ meinte er. „Aber neuerdings ist Herrn Philipp noch etwas anderes zugestoßen. Mein Gott, er ist ja noch kein Greis, noch ein ganz trinkbarer Jahrgang – und da hat er sich eben verliebt. So ein acht Wochen ist’s etwa her, da hat sich oben neben seinem hübschen Weingut eine Herrschaft vom Niederrhein angekauft – ganz nette Leute, eine Witwe mit ihrer Tochter, die Frau soll eine geborene Oberländerin sein. Na – und da hat sich Herr Philipp eben in das Mädel vergafft. Er ist ganz verändert, schon seit vier Tagen fehlt er abends hier.“ Und mein wackerer Wirth griff seufzend nach dem Römer, voll zornigen Staunens darüber, daß die Liebe selbst im Rheingau über das Wirthshaus siegen sollte.

Am folgenden Nachmittag ließ ich mir den Weg zu Herrn Philipp Ardingers Weingut weisen. Breit, schön und behaglich lag das saubere, grünumsponnene Haus vor mir, und der Empfang übertraf alles, was ich billigerweise erwarten konnte. Herr Philipp hatte sich wenig verändert; vielleicht etwas umfangreicher war er geworden, der Glanz auf Wangen und Nase etwas metallischer. Aber sein Wesen war nicht anders und nicht älter geworden. Rheingauer Wein und rheingauer Luft erhält die Menschen merkwürdig sich selber gleich.

Als wir nun aber auf dem hölzernen Altan um den Mittelstock des Hauses wandelten und uns an der segenverheißenden Rundschau ergötzten, bemerkte ich im Nebengarten schimmernde Frauengewänder und hörte fröhliches Lachen von hellen Stimmen. Ich konnte mich nicht enthalten eine leise Anspielung zu machen.

„Ach so,“ meinte Herr Philipp ganz ruhig, „ich merke schon, der alte Weinzapf hat Ihnen auch schon so was erzählt, der Schwätzer, der! Na, aber die Wahrheit ist, ich bin noch zu nichts entschlossen – das kommt eben noch auf die Prob’ an.“

Das verstand ich nun freilich nicht, aber eine Frage wurde mir abgeschnitten durch die Mittheilung, die Frauen wollten sich just heute uachmittag zu einem Nachbarbesuch einstellen – ich wurde herzlichst eingeladen, zu bleiben, und ich blieb gern.

Aufs angenehmste überraschte mich der Anblick der Nachbarinnen, die sich bald einfanden, in Begleitung eines jungen Vetters, der vom Niederrhein zu Besuch gekommen. Die Tochter war ein reizender Blondkopf, ich schätzte sie auf kaum siebzehn Jahre, und die Mutter, welche ich mir als eine recht angejahrte Dame vorgestellt hatte, erwies sich als eine muntere schöne Frau, welche die Mitte der dreißiger Jahre eben überschritten haben mochte, mit vollem braunen Haar und lustigen braunen Augen. Der junge Herr Vetter, seines Zeichens Brauereibesitzer, war ein hübscher Mann von vertrauenswerthem festen Wesen und guten Manieren. Er war sehr zuvorkommend gegen das blonde Bäschen, und mir bangte etwas für Herrn Philipp, wenn ich versuchte, ihn mit Mädchenaugen mit dem Vetter zu vergleichen.

Herr Philipp aber war gegen uns alle gleich liebenswürdig und entwickelte eine glänzende Gastlichkeit.

Nach dem Kaffee hatten wir uns ein Weilchen im Garten ergangen, waren auf einen lohnenden Aussichtspunkt gestiegen und saßen nun in kühler Laube vor einer reichbesetzten Tafel. Bestaubte Rheinweinflaschen, einige fremdartige Gefäße mit wälschen Weinen, dazu Schalen mit Obst und Konfekt; etwas abseits stand auch ein Häuflein Bierflaschen. Derb und höflich zugleich stellte Herr Philipp uns die Wahl frei.

„Die Schönheit hat zu entscheiden,“ meinte der galante Vetter, „bitte, Bäschen Helene, bestimmen Sie!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_445.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)