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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Gesamtzahl eine mittlere Lebensdauer von 42 Jahren, so daß also Nordafrika auch im Alterthum kein eigentliches Makrobiotenland war.

Merkwürdig ist auch eine Art statistischer Erhebung über Höchstaltrige, jedenfalls die älteste, die es giebt, welche unter Kaiser Vespasian bei Gelegenheit einer Steuereinschätzung im Jahre 76 n. Chr. gemacht wurde.

Danach sollen in dem kleinen Bezirke Oberitaliens, welcher zwischen dem Po und den Apenninen liegt, damals nicht weniger als 124 über 100 Jahre alte Personen gelebt haben, darunter 57 im 110., 2 im 125., 4 im 130. und zwischen dem 135. und 137. endlich 3 im 140. Lebensjahre. Eine wirklich klassische Anhäufung sogenannter Makrobioten von über 100 Jahren aber soll zu jener Zeit in einem Orte bei Piacenza vorhanden gewesen sein; nicht weniger als ihrer 40 bildeten dort zur selben Zeit gleichsam eine makrobiotische Kolonie, und was noch auffallender ist, genau 6 von ihnen standen im 110. und im 120. Lebensjahr. Auch in Parma hausten zur gleichen Zeit 3 120jährige.

Zieht man alle diese merkwürdigen Umstände in Betracht, so lassen sich wohl ernste Zweifel gegen die Zuverlässigkeit der angeführten Statistik nicht unterdrücken, wenn man nicht die schwer zu begründende Vermuthung aufstellen will, daß die genannte oberitalienische Gegend damals als besonders günstige Oertlichkeit, gleichsam als klimatischer Kurort für Altersriesen, auch von fremden, aus anderen Gegenden stammenden Makrobioten aufgesucht worden sei. Heute müßte man wenigstens aus ganzen großen Ländern die gleichzeitigen Makrobioten zusammenbringen, um 124 Leute zu erhalten, die zwischen dem 100. und 140. Lebensjahr stehen – und käme dann vielleicht immer noch nicht auf die genannte Zahl. Gab es doch z. B. in ganz Frankreich im Jahre 1886 nur 80 über 100 Jahre alte Personen!

Aus der frühen christlichen Zeit wäre zu nennen der Apostel Johannes, der nahezu 100 Jahre, und der Stifter der Mönchsorden, Antonius der Große, der 105 Jahre erreicht haben soll.

Unter den arabischen Aerzten des Mittelalters brachten es zwei, die zugleich Zeitgenossen waren, auf 100 und mehr Jahre: Abul Hassan Garib ben Said, der von 830 bis 930 n. Chr. lebte, und Abu Jacub Izhak ben Soleiman il Israil, der 111 Jahre alt wurde (830 bis 941 n. Chr.). Nur um ein Jahr jünger verstarb am Schlusse des Mittelalters in Straßburg der deutsche Chirurg Hieronymus von Brunschwigk (1424 bis 1534), der Vater der deutschen Chirurgie, welchem auch ein Verdienst gebührt, welches man immer dem französischen Wundarzt Paré zutheilt, nämlich die Schußwunden zuerst mit lauem Oel (anstatt mit kochend heißem, wie es bis dahin geschah) verbunden und die Schlagaderwunden, welche man vorher stets mit glühendem Eisen brannte, um die Blutung zu stillen, durch Unterbindung geschlossen zu haben.

Mit diesen Beispielen sind wir schon an der Zeitgrenze angelangt, von der ab besser beglaubigte und zum Theil unanfechtbare Zeugnisse für die Richtigkeit biographischer Angaben über Höchstaltrige beginnen.

Zwar wird es immer noch mit uns dem Leser nicht ganz glaublich erscheinen, daß ein gewisser Thomas Carn von 1588 bis 1795 gelebt haben, somit 207 Jahre alt geworden sein sollte; doch entstammen diese Angaben immerhin einem Londoner Kirchenregister, und da man in England um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts schon wirkliche Statistik zu pflegen begonnen hatte, so dürften sie nicht gänzlich zu verwerfen sein. Jedenfalls verdienen sie mehr Glauben, als die über den ungarischen Dorfbauern Peter Czarten, der 1724 im Alter von 185 Jahren gestorben sein soll, somit 1539 geboren sein müßte; sogar mehr Glauben als die lateinische Grabinschrift des Stifters des Bisthums Glasgow, Centigern oder S. Mungo, die deutsch etwa lautet:

„Hundert und fünf und achtzig der Jahre hatt' er vollendet,
Als er heilig verstarb und begraben wurde zu Glasgow.“

Ein Landsmann und Berufsgenosse des ungarischen Bauern Czarten, Johann Rovin, brachte es nicht nur auf 172 Jahre, sondern lebte auch mit seiner 164 Jahre alt gewordenen Frau ganze 147 Jahre in der Ehe zusammen; wenn also alle Angaben feststünden, so hätte er es zu mehr als zwei diamantenen Hochzeiten gebracht.

Abwärts in unserer Reihe. schließen sich an Henry Jenkins (1500 oder 1501 bis 1670), 169 Jahre alt, Marie Pion (starb 1838), 158 Jahre alt; Johanna Obst (1670 bis 1825), 155 Jahre alt, und Jesus Campeche, 154 Jahre alt, der letztere lebte 1892 noch in der Stadt Mexiko, war laut Geburtsschein 1738 in Valladolid in Spanien geboren und hatte das Aussehen eines 90jährigen Mannes. Dem nächstfolgenden, dem 152jährigen Thomas Parr (1483 bis 1635), ward im Tode die Ehre zutheil, von dem unsterblichen Harvey seciert zu werden, dem Entdecker des Blutkreislaufs und des wichtigen Entwicklungsgesetzes, daß das Ei der allen Thieren gemeinsame Anfang sei. Es ist dies die einzige bekannte Sektion eines so hochaltrigen Menschen. Die Beschreibung, welche Harvey hinterlassen hat, besagt, daß alle inneren Organe völlig normal und nicht einmal die Rippenknorpel verknöchert gewesen seien, daß also der Alte, den der König nach London hatte kommen lassen, allem nach nur durch die veränderte und üppigere Kost, die er erhielt, zu Grunde gegangen sei, ohne diese Aenderung der Lebensweise aber wahrscheinlich noch lange gelebt haben würde.

Als Beispiel, daß auch von Indianern höchste Altersstufen erreicht werden können, während sie sonst, wie alle uncivilisierten Stämme, im allgemeinen kurzlebig sind, mag der Kazike Tongue dienen, der 1892 im brasilianischen Bezirke Palmeira im Alter von 150 Jahren gestorben ist und bis ans Ende bei vollem Verstand geblieben sein soll. 146 Jahre alt ward der dänische Matrose Draakanberg (1626 bis 1773), 140 Joseph Crele (1725 bis 1865) aus Detroit in Wisconsin, 135 Georg Wunder (1627 bis 1761) aus Greiz. In Monterey in Mexiko starb 1892 im Alter von 132 Jahren Margaretha Riveira, die Großmutter des Gouverneurs von Cohahuila, der damals im 80. Lebensjahr stand; sie war als 19jähriges Mädchen aus Spanien eingewandert.

In demselben Jahre aber lebte noch, 130 Jahre alt, in dem Bezirke Mostar in der Herzegowina Anton Juritzsch, der noch täglich in seinem Weingarten arbeitete und jeden Sonntag zwei Stunden Wegs zurücklegte, um zur nächsten Kirche zu gehen; er sah noch gut aus, seine Augenbrauen waren übermäßig lang und mußten von Zeit zu Zeit gekürzt werden, damit sie den Mann nlcht am Sehen hinderten.

Mit sechs Fingern an jeder Hand und sechs Zehen an jedem Fuße lebte 127 Jahre lang (1627 bis 1754) Owen Carollan, ein irischer Bauer, während die Irländer George Kirton († 1764, 125 Jahre alt) und Brawn († 122 Jahre alt) dem Trunke verfallen waren, gleich dem 140 Jahre alt gewordenen Chirurgen Politiman, der sich indessen erst abends nach Besorgung seiner Praxis dem Glase ergab. Im Jahre 1893 starb in New-York 1241/2 Jahre alt die polnische Jüdin L. Lescynska, die noch acht Tage vor ihrem Tode munter in Stadt und Haus umhergegangen war. Sie hinterließ ein 73jähriges Töchterchen, 14 Enkel und 7 Urenkel. Merkwürdig durch hochalterige Verwandtschaft war auch Wenzel Hrncir, ein Landwirth in Sloukowitz bei Hermanmestetz in Böhmen, der am 3. Mai 1892 im 116. Lebensjahr verstarb, nachdem er bis ein Jahr vor seinem Ende ganz gesund geblieben war und nur im letzten Jahre das Augenlicht eingebüßt hatte. Er besaß einen Schwager, Joh. Jelinek, der 105 Jahre, und eine Schwester Kath. Jelinek, die 106 Jahre erreichte.

In Wien lebte bis 1889 Magdalena Ponza, die im Jahre 1775 geboren war, und in Jerusalem bis 1892 eine ebenfalls 114 Jahre alt gewordene armenische Nonne, die 98 Jahre lang nicht vor die Schwelle ihres Klosters gekommen war. Dem mongolischen Menschenstamme gehörten zwei Frauen an, denen in Kanton laut Bericht über die Weltumsegelung der "Novara" Tempel errichtet waren; die eine dieser "ausgezeichneten“ Frauen war 115, die andere 104 Jahre alt geworden. Zwei französische Frauen sind die nächsten in der Reihe: eine Hospitalitin, die 114 Jahre alt zu Evaux (Creuse) 1892, und eine Frau Dubosc, die 1893 in Pavilly bei Lille 111 Jahre alt verstarb und deren Nachkommen an die 300 waren. Markus Jordan in Bielefeld aber (1779 bis 1891) stand mit seinen 112 Jahren zwischen beiden; er dürfte von den dentschen Altersriesen aus letzter Zeit am bekanntesten gewesen sein. Er gehörte dem friedlichen Handelsstand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_438.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2021)