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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Ihr beklagt sie also doch?“ sagte er, die fromme Dame fest ansehend.

Nun wurde es für Frau von Méninville zum Unglück, daß sie nicht anders wie ihre fürstliche Herrin, für diesen anziehenden Mann wirklich eine Art Verliebtheit empfand. Es war über sie gekommen, sie wußte selbst nicht wie, und riß sie fort wider besseres Wissen. Durch eine Art Dämon getrieben, sich ihm hier einmal zu zeigen, wie sie war – vielleicht auch in der Empfindung, daß die cynische Seite ihres Wesens verwandte Saiten in diesem vornehmen Spötter erklingen lassen würde – erwiderte sie rasch: „Ich beklage vor allem, daß sie nicht klüger gehandelt hat! Dem hübschen Jungen mit einem kleinen Stoße etwas früher ins Paradies zu verhelfen, nach dem wir ja alle streben, und so aus einem Fräulein von Habenichts eine reiche Erbin zu werden – das zeugt wenigstens nicht eben von Einfalt. Sie hat gewußt, was sie wollte – ich mache ihr mein Kompliment. Vielleicht thue ich ihr aber auch zu viel Ehre an – vielleicht ist die Erleuchtung, wie ganz anders und besser es für sie sein würde, wenn jene Augen den Tag nicht mehr sähen, plötzlich über sie gekommen, bei einem kleinen Streite etwa. Sie hat dafür gethan ... Ort und Gelegenheit sind so günstig gewesen, wie sie nur sein konnten. Nachher aber hat die schöne Polyxene leider den Kopf verloren. Wer hätte an den Mühlgraben gedacht, wenn sie nicht das Gerücht verbreitet hätte, der Knabe müsse dort verunglückt sein? Hätte sie das Verschwinden des Burschen auf sich beruhen lassen und nicht in einer übeln Stunde den Versuch gemacht, dasselbe zu erklären – es wäre besser für sie gewesen. Ein eigenes Verhängniß, welches die Urheber heimlicher Thaten so oft dazu anzutreiben scheint, die Gerechtigkeit selber auf ihre Spur zu lenken! Ich habe mir von erfahrenen Männern sagen lassen, daß dergleichen häufig vorkommt,“ schloß Frau von Méninville mit etwas wie philosophischer Beschaulichkeit.

„Ihr scheint dem Thema, wie man Verbrechen verhehlt, reiflicher nachgedacht zu haben als dies unglückliche Fräulein,“ sagte hierauf der Oberjägermeister mit einem Tone, der aus trockener Kehle zu kommen schien. Er hatte die Bemerkung wahrscheinlich nur gemacht, weil ihm eben keine andere eingefallen war, um dies fürchterliche Gespräch noch zu fristen, ohne seine innere Verfassung zu verrathen. Da ließ sich zum Glück das Herannahen der Pfalzgräfin merken. Thüren gingen auf und man hörte schon das Rauschen und Knistern der fürstlichen Gewänder. Nieverns Augen richteten sich wie erlöst auf den Eingang, durch den Frau Sabine Eleonore kommen mußte, und er sah daher nicht, daß seine letzten Worte die Méninville in seltsamer Weise berührt hatten. Die treffliche Frau hatte sich leicht verfärbt; ihre Lippen waren weiß und sie schluckte, als habe ihr etwas den Athem versetzt. Aber der Schrecken, den sie gehabt haben mußte, blieb völlig unbemerkt und sie hatte hinlänglich Zeit, sich zu fassen, während jetzt die kleine Hoheit hereinrauschte und mit tiefen Verbeugungen von ihr und dem Kavalier begrüßt wurde.

Sabine Eleonore gab alsbald, soweit sie dies bei ihrer eingefleischten Steifheit vermochte, zu verstehen, daß man heute einmal ganz à son aise sein wolle, und forderte sogar mit einem Anflug von Scherzhaftigkeit Frau von Méninville auf, jetzt auch einmal die Wirthin ihrer Fürstin zu spielen. „Zeigt, daß Ihr einen Trank zu bereiten versteht, den man Euch lange gedenkt,“ waren die Worte, die sie brauchte. Herr von Nievern, innerlich aus dem Gleichgewicht gebracht und froh, daß er noch schweigen durfte, sah in finsterer Gedankenlosigkeit den Vorbereitungen der Méninville zu, welche am Kamin mit einem kleinen Kohlenbecken hantierte, über dem der silberne Kessel brodelte. Dabei streifte er auch einmal wieder ihr Gesicht mit den Augen und nun staunte er darüber, daß ihm dies scharfe Gesicht mit den blutlosen Lippen vorhin fast rosig vorgekommen war. Und auch die Pfalzgräfin mochte eine ähnliche Bemerkung an ihrer Vertrauten gemacht haben. „Seid Ihr unpaß, liebe Méninville?“ fragte sie scharf, denn ein Unwohlsein der Vertrauten hätte ihr gerade jetzt sehr wenig am Platze geschienen. „Mich dünkt, Ihr seht ganz alteriert aus.“

Niemand konnte jemals diese treffliche Frau, die Méninville, so verachten, wie sie sich in diesem Augenblick innerlich selber verachtete, ob dieser Schwäche, den Schrecken, den sie eben zweimal kurz hintereinander über zufällig gefallene Worte empfunden hatte, im Antlitz sichtbar werden zu lassen. Sie versicherte natürlich ihrer Gebieterin, daß sie sich so wohl wie je befinde, höchstens könne der Dunst der Kohlen einen leichten vorübergehenden Kopfschmerz verursachen.

Sie hatte es nicht glücklich getroffen mit ihrem heutigen Unternehmen, die arme Pfalzgräfin. Sie mußte gewahr werden, daß auch der dritte Theilnehmer, der Herr von Nievern, sein sonstiges angenehmes Selbst vermissen ließ, Er schien ein anderer, als sie ihn kannte, wortkarg, ja zerstreut und dergestalt wenig empfänglich für die Huld, welche man ihm durch die Einladung zu dieser vertraulichen Stunde hatte angedeihen lassen. Und da die Unterhaltsamkeit der Frau von Méninville sich nothwendig in gewissen durch den Respekt gezogenen Grenzen halten mußte, so konnte alles Geschick dieser Dame und alle Selbstbeherrschung eine leicht frostige Stimmung des Ganzen nicht bannen. Die Pfalzgräfin verbarg zuletzt ihre üble Laune nicht mehr. „Mich dünkt, die Jagd heute hat Euch schläfrig gemacht, Herr von Nievern,“ redete sie ihn an, da er einmal wieder in düsteres Schweigen versunken war. „Ich kann es aber nicht loben, daß selbst die Gegenwart Eurer wohlgewogenen Fürstin Euch nicht zu ermuntern vermag, von unserer armen Bewirthung hier gar nicht zu reden. Geht lieber heim und legt Euch aufs Ohr; viel redseliger als einer, der gar schläft, seid Ihr eben auch nicht!“

In diesem Falle zeigte sich einmal wieder dasjenige an dem Herrn von Nievern, was ihm die meisten Frauen gewann, der Reiz einer kecken Rücksichtslosigkeit. Jeder andere Kavalier hätte sich hier wohl aufs eifrigste vertheidigt – der Oberjägermeister that nichts dergleichen sondern stand sofort auf, griff nach seinem naheliegenden Federhut und zeigte unzweideutig an, daß er die Entlassung wörtlich nehme und sofort zu benutzen gedenke.

Das hatte die kleine Dame nicht erwartet; sie wurde roth vor Aerger. „Nun, man muß sagem, Herr, der höflichste seid Ihr nicht!“ rief sie, und verwöhnt, wie sie war, hielt sie kaum noch Thränen eines kindischen Zornes zurück.

Herr von Nievern sah es, und da er nicht ungroßmüthig war, dauerte sie ihn. In der That vergalt er ihr schlecht, daß sie sich freundlich hatte bezeigen wollen. „Verzeiht, allergnädigste Frau,“ sagte er denn auch, den hübschen Kopf ritterlich vor ihr neigend, „wenn ich mich für Dero höchste Huld heute nicht dankbar genug zu erweisen vermag. Ich selber klage mich an, dagegen scheinbar unerkenntlich und ein schlechter Gesellschafter zu sein. Warum ich es bin, will ich Euerer Hoheit nicht vorenthalten. Mir liegt nicht die Jagd in den Gliedern, sondern ein anderes – das jammervolle Schicksal einer Person, für welche das milde weibliche Herz meiner gnädigsten Frau doch sicherlich auch Mitleid empfinden muß . . .“

Da er hier stockte, sah die Pfalzgräfin, immer noch empfindlich, aber zugleich nicht unangenehm bewegt, halb fragend von ihrem Kavalier zu ihrer getreuen Méninville und von dieser wieder zu jenem. „Was meint Ihr?“ fragte sie dann, schon nicht mehr ganz ungnädig. Worauf er: „Soeben, ehe Hoheit eintrat, erfahre ich durch Frau von Méninville das erste Wort über eine schier unglaubliche Angelegenheit. Ein Fräulein, dem Hofe nahestehend, aus altadeligem Geschlecht, sitzt in einer Klosterhaft wegen der abgeschmacktesten Anklage ...“

„Ah, Ihr meint die Polyxene von Leyen,“ unterbrach ihn die Pfalzgräfin. Und unwirsch fuhr sie die Méninville an: „Ihr hättet auch ’was Gescheiteres thun können, als dem Herrn gerade heute mit dem unglücklichen Handel die Laune zu verderben!“

„Die Laune des Herrn Oberjägermeisters kann unmöglich verfehlen, sich rasch wieder herzustellen, wenn er so gering von dem Gewicht der Verdachtsgründe gegen das Fräulein von Leyen denkt,“ sagte darauf Frau von Méninville mit kaltem Hohne. Wollte dieser Mann etwa als ihr Feind auftreten? Dann wehe ihm! Dann würde, was sie bisher für ihn empfunden hatte, sich umwandeln in den Gärstoff eines um so kräftigeren Hasses!

Indessen hatte sich die Pfalzgräfin besonnen, und nun kam etwas in ihr zu Tage, was sie von ihrer besten Seite zeigte. „Die Leyen dauert mich auch,“ sagte sie, und man sah ihr an, daß es ihr ernst war mit den Worten. „Mir wird ganz übel, wenn ich an die Affaire denke, Und eine solche Schmach für unseren Adel! Ich glaube, ich gäbe ein halbes Dorf dafür, zu erfahren, wohin der Junker verschwunden ist und daß die Polyxene nichts damit zu thun gehabt hat!“

„Meine gnädigste Frau spricht als echte Fürstin!“ rief Nievern und sah die kleine Dame mit so aufrichtigem Beifall an, daß es ihr fast warm ums Herz wurde, Doch dämpfte er seinen Eifer; wurde er doch schon zur Vorsicht gemahnt durch die Gegenwart

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_432.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2021)