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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Mann, Herr Oberjägermeister, wie ich an Höfen und sonst noch wenige kennengelernt habe.“

Der Oberjägermeister verbeugte sich, auf diese Weise den Blitz seiner Augen dämpfend. Wahrlich, das war nicht übel! Er bewunderte in der Frau die Kühnheit, mit der sie verfuhr. Jetzt lenkte sie, die Leitung des Gesprächs behaltend, dasselbe auf einen anderen Gegenstand. „Während Ihr anderwärts Euch zerstreutet,“ begann sie von neuem, „haben auch wir einiges erlebt, und wunderliche Dinge noch dazu. Ist Euch schon kund geworden, Herr von Nievern, daß die Pest heimlicher Irrlehre bis in die Nähe unseres Hofes sich herangeschlichen und sogar Jugend und Schönheit nicht verschont hat?“

Wie es sich traf, hatte heute während der Jagd einer der Kavaliere als einen halben Scherz dem Oberjägermeister erzählt, hübsche junge Damen befaßten sich jetzt hier mit Theologie: die kleine Leyen disputiere mit dem Pater Gollermann und sitze deswegen im Kloster der Ursulinerinnen. Der Kummer darüber, daß ihr junger Vetter auf und davongelaufen sei, möge ihr wohl zu Kopfe gestiegen sein. Aber Nievern, in Anspruch genommen durch die verliebte Pfalzgräfin, hatte die seltsame Kunde leicht genommen und nur sich vorgesetzt, ihr bei mehr Muße alsbald auf den Grund zu kommen. So war er nun vorbereitet und ahnte, worauf die fromme Dame ziele. Dennoch hütete er sich, einen Namen hier zuerst zu nennen, welcher anfing, ihm gegen seinen Willen immer wichtiger zu werden. „Von wem redet Ihr, verehrte Frau?“ sagte er, mit einer Miene wenig betheiligter Neugier, welche sie dennoch völlig durchschaute.

„Ihr werdet es nicht errathen,“ entgegnete sie, nach ihrer Art, auf alle Fälle lieber zu verhehlen. „Von einem Fräulein, an dem auch Ihr gewiß Antheil nehmen werdet, wie wir alle thun . . .“ Sie machte absichtlich eine Pause, aber er schwieg, so daß sie fortfahren mußte: „Das Fräulein von Leyen, irregeleitet durch die eigene Klugheit, von der sie kein ganz geringes Maß besitzen soll, ist schmählich in eine Falle des Bösen gegangen. Eine Verworfene, von der heiligen Kirche Verstoßene hat sich des schönen Mitleids ihrer Seele bemächtigt und sie mit sich auf die unheilige Bahn gezogen. So sagt uns Pater Gollermann. Er besucht das Fräulein im Kloster der Ursulinerinnen, wo sie sich aufhält, und bringt betrübende Nachricht über ihre geringe Neigung, sich von ihm belehren zu lassen.“

Die Méninville hatte das alles eintönig gesprochen, als sei sie lediglich das Mundstück für einen Bericht von Thatsachen. Seltsam, wie wenig Herr von Nievern auf das achtete, was sie vorbrachte. Sie sprach von Polyxenen, das war genug! Hätte sie ahnen können, was der Name in ihrem Zuhörer wirkte! Nievern wurde es von neuem inne, daß sein ganzes Inneres nur noch Zündstoff war für diese Flamme. Selbst das verwegene Lustgefühl bei dem kecken Vorstoß der Méninville vorhin war nur ein Funke, welcher derselben Flamme entstammte. Um so sorgfältiger hütete er jetzt Blick und Miene. „Wunderliche Neuigkeiten allerdings,“ sagte er kühl. „Es muß unsereinen billig wundern und ist nicht sehr schmeichelhaft für die Kavaliere in Birkenfeld, wenn junge Damen von Rang nichts Besseres zu thun wissen, als sich mit Theologie zu befassen.“ Und ein wenig spöttisch fuhr er fort: „Und hält der hochwürdige Pater Gollermann wirklich die Meinung dieses, wie mich dünkt, noch sehr jugendlichen Fräuleins für wichtig genug, um seine tiefe Gelehrsamkeit ihr zu Nutz und Frommen zu lüften? Er disputiert mit ihr, sagtet Ihr nicht so?“

Wie gründlich er die Lage Polyxenens verkannte! Seine Gesellschafterin hatte ihre boshafte Freude daran. „Der hochwürdige Herr, eifrig wie er ist, nimmt sich allerdings die Verirrungen des Fräuleins sehr zu Herzen und hofft, wenigstens die Errettung ihrer Seele durchzusetzen,“ sagte sie zweideutig.

Es lag etwas in der Vorstellung von dem mit eifrigen Ermahnungen bei Polyxenen beschäftigten Jesuiten, was dem Oberjägermeister nicht sonderlich gefiel. Auf die bedeutungsvollen Worte, welche Frau von Méninville gewählt, hatte er, ahnungslos, wie er noch immer war nicht genug geachtet. „Da das Fräulein dem Herrn Pater bis ins Kloster entgegengekommen ist,“ meinte er leichthin, um seine eifersüchtige Anwandlung zu verbergen, „so werden seine Bemühungen um ihren Glauben kaum vergeblich sein. Wie lange denkt sie in dieser frommen Zurückgezogenheit noch zu verweilen?“

Was war das? Was hatte ihn aus den kalten blond umränderten Augen ihm gegenüber da eben sekundenlang angeschaut? Die innerste Natur des Weibes, das vor ihm saß und jetzt mit sanfter Stimme sprach: „Ihr haltet den Aufenthalt des Fräuleins von Leyen bei den Nonnen von St. Ursula für einen freiwilligen? Ihr irrt, Herr von Nievern ... Schwerlich werden sich die Pforten des Klosters wieder für sie öffnen, was wir alle im Namen der Schönheit und Jugend beklagen müssen, nicht wahr?“

Schon jetzt hätte Herr von Nievern die fromme Witwe, die ihm vorhin noch fast begehrenswert erschienen war, erdrosseln können. Er glaubte ihr übrigens nicht; sie schien ihm sehr wohl fähig, ein Lügengewebe vor ihm auszubreiten, und dieser Umstand hielt seinem inneren Entsetzen einstweilen noch die Wage. „Ihr meint, man werde das Fräulein noch so weit bethören, daß sie den Schleier nähme? Das wäre allerdings zu bedauern,“ sagte er kalt. „Man vergißt aber wohl, daß noch etliche Jahre an ihrer Mündigkeit fehlen . ihr Vormund wird solche Thorheit schwerlich zulassen.“

Kein Zweifel, der Antheil, welchen Nievern an dem hochfahrenden Geschöpfe, dieser Polyxene, nahm, war wärmer, als er merken lassen wollte. Und so schickte sich denn Frau von Méninville an, die weiteren Trümpfe, die sie in der Hand hielt, mit grausamem Genusse auszuspielen. Sie sah den Oberjägermeister an und sagte: „Ich will offen sein, Herr von Nievern, wie es sich gegen einen Mann wie Euch ziemt. Das Fräulein hat sich in einen bösen Handel gebracht und keineswegs nur von seiten der Religion, obwohl sie auch da unglaublich unvorsichtig und störrisch sich gezeigt hat. Habt Ihr gehört, daß der Vetter des Fräuleins, der Junker Ludwig, der Majoratsherr, seit einigen Wochen verschwunden ist?“

„Erst heute erfuhr ich die seltsame Nachricht. Es hieß, er sei davongelaufen,“ entgegnete Herr von Nievern.

„Hieß es so?“ Mit einem Zuge unsäglichen Hohnes kamen die Worte von den schmalen Lippen. „Andere fürchten, der hübsche Junker sei so weit fort, daß er schwerlich jemals wiederkommen werde.“

„Was meint Ihr? Erklärt Euch deutlicher!“ Daß Herr von Nievern von der umständlichen Höflichkeit von vorhin jetzt einiges vermissen ließ, mochte durch die ernste Wendung entschuldigt werden, welche das Gespräch genommen hatte.

Frau von Méninville schien nun doch ein gewisses Zögern überwinden zu müssen. „Die schöne Polyxene,“ fuhr sie endlich fort, „hat es sich entschlüpfen lassen, daß sie an dieses Märchen vom Davonlaufen des Knaben selber nicht glaube. Sie läßt vermuthen, er sei verunglückt. Und daß der arme Schelm in den Mühlgraben gestürzt und dort zu Tode gekommen sei, das ist allerdings für alle, die das Nähere erfahren haben, glaublich genug.“

„Entsetzlich ... der arme Junge,“ sagte Nievern leise, mit schwerem Nachdruck. Sein kräftiges schmales Antlitz war erblaßt.

Er fühlte also wicklich, dieser schöne, leichtlebige Kavalier! In der Theorie hätte die Méninville ihn dafür verachten müssen. Da er ihr aber überhaupt gefiel, gefiel ihr auch diese Seite seines lebensvollen Wesens. „In der That entsetzlich,“ sagte sie, und es war, wie wenn der volle tiefe Glockenklang durch ein hohles Blech nachgeahmt würde. „Ein so jäher schrecklicher Tod in so blühenden jungen Jahren! Warum war aber auch der frische Junker mit Gütern gesegnet und sein schönes Bäschen so arm!“ – Das Weib hatte begonnen, seinem Hasse die Zügel schießen zu lassen, aber zu früh. Jetzt warnte sie der Ausdruck – ein wahrhaft furchtbarer Ausdruck – seines fest auf sie gerichteten Antlitzes; sie fuhr daher fort, anders, als sie gewollt hatte: „Es ist schlimm für das Fräulein, daß sie allein durch den Tod des Vetters gewinnt und daß deshalb der Argwohn entstehen mußte, sie habe bei seinem Verschwinden die Hand im Spiele gehabt.“

In diesem Augenblick zeigte Herr von Nievern, daß er der Méninville gewachsen war. Er bändigte die gewaltsamste Empfindung, die er je im Leben gehabt hatte, und blieb von außen undurchdringlich. So täuschte er sie sogar, und als er jetzt mit einer Ruhe, die ihr allerdings hätte auffallen sollen, nur sagte: „Ein abenteuerlicher Verdacht – er ist wohl kaum ernstlicher Erwägung werth,“ da ging sie in seine Falle. Sie ließ ein wenig von ihrem Behagen merken bei ihrer Antwort: „Hohen und höchsten Orts denkt man anders. Und so ist denn die Klausur bei den Ursulinerinnen nur eine Form der Haft für das in jedem Falle beklagenswerthe Fräulein und wahrscheinlich nur das Vorspiel zu einer weit strengern.“

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