Seite:Die Gartenlaube (1893) 407.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


scharen sich wie schutzsuchend um die ausgedehnten Ruinen eines Klosters her. Wer im Frühling oder Sommer von der Höhe einen Blick ins Thal herniederwirft, den berührt die verfallene Pracht mitten in dem lebendigen Grün wehmüthig und freundlich zugleich. Ein neues Leben sproßt aus den Ruinen; aus hohem, dachlosem Mauerwerk hat sich ein stolzer Baum zum Licht emporgerungen und überragt nun die Enge, aus der er kommt, mit seiner grünen Wölbung. Der eigenartige Reiz dieses Anblicks hat schon manchem ein verherrlichendes Lied auf die Lippen gedrängt; am bekanntesten und schönsten ist wohl Uhlands schlicht empfundenes Gedicht „Die Ulme von Hirsau“.

Einst erhob sich da, wo hellte nur noch die gewaltigen Reste der alten Bauten stehen, ein reiches Kloster, dessen Anfänge ins 9. Jahrhundert zurückreichen. Nach mannigfachen Schicksalen, die uns Pfarrer Klaiber in einem anregend geschriebenen Büchlein über Hirsau erzählt, nach Zeiten des Wechsels zwischen Blüthe und Verfall wurde es 1556 infolge der württembergischen Reformation in eine Erziehungsanstalt für evangelische Theologen umgewandelt und der Leitung eines evangelischen Abtes unterstellt. Der jagdlustige Herzog Ludwig von Württemberg ließ einen Theil der Gebäude, die ehemalige Abtei, niederreißen und in den Jahren 1586 bis 1592 ein Lustschloß in edler deutscher Renaissance an die Stelle setzen. Allein seine Schöpfung sollte nur ein Jahrhundert dauern. Im Jahre 1692, nach der verlorenen Schlacht bei Oetisheim, zogen die Franzosen unter Mélac das Nagoldthal hinauf und verbrannten das auf seine neuen Befestigungen trotzende Calw. Als bei ihrem Abzug ein Bürger dieser Stadt aus Rache den Adjutanten des feindlichen Führers niederschoß – man sagt, die Kugel habe Mélac selbst gegolten, sei aber fehlgegangen – da kehrte Mélac wüthend um, zerstörte, was von Calw noch stand, und auch das bisher verschonte Hirsau fiel seinem Zorn zum Opfer, das Kloster ging in Flammen auf. Die Zeichnung unseres Künstlers zeigt den Abzug des beutebeladenen Feindes, die Verzweiflung der Einwohner, die Zerstörung, welche der Brand in dem herrlichen Bau anrichtete.

Wie leider bei vielen jener mächtigen geschichtlichen Trümmerstätten unseres Vaterlandes, so hat auch beim Hirsauer Kloster Eigennutz und übel angebrachte Sparsamkeit vollendet, was Feindeshand begonnen. Um zu allerhand Zwecken Baumaterial zu gewinnen, hat man die noch erhaltenen Mauerreste barbarisch geplündert, bis das erwachende Verständniß für künstlerischen und geschichtlichen Werth diesem Treiben eine Schranke setzte. Was jetzt von der einstigen Pracht noch übrig ist – im ganzen das, was auf unserem Bilde sich unversehrt aus den Flammen hebt – insbesondere der eine Thurm der alten Klosterkirche, der aus dem 11. Jahrhundert stammt, die herrliche Kreuzganganlage und die hochaufragenden Giebelmauern des Lustschlosses, das wird sorgsam gepflegt; und wer an stillem Sommerabend durch die verfallene Stätte wandelt, dem mögen beim Rauschen des Windes, der sachte mit den Zweigen der Bäume spielt, weltverlorene Erinnerungen an entschwundene Zeiten wie ein Grüßen vergangener Geschlechter durch den träumenden Sinn gehen.


Katechismus der Toilettenkunst und des guten Geschmacks. Es gehört viel Erfahrung und Geschmack dazu, um über den Modejournalen, den Anpreisungen der Verkäufer und Modistinnen zu stehen, um die Wirkung der verschiedenen Farben, Muster und Schnitte auf die eigene Person sicher voraus zu berechnen; dies und noch manches andere lehrt ein sehr gutes Büchlein von C. von Franken, das unter dem oben angeführten Titel in Leipzig bei M. Hesse erschienen ist. Es legt die Erfahrungen einer Weltdame von Geist und feiner Bildung in die Hände der Allgemeinheit und lehrt an der Hand der Aesthetik sowohl als der wahren Bildung die nur wenigen Bevorzugten als Naturgabe eigenen Kunstgriffe, um die Vorzüge der Erscheinung ins rechte Licht zu setzen, die Mängel zu mildern oder zu verdecken. Die Kapitelüberschriften: „Kleide dich nach deiner Gestalt!“ – „Façon und Aufputz“ – „Kopfbedeckung“ – „Bei Sportbelustigungen“ – „Auf Reisen und in Badeorten“ – „Wie lasse ich mich photographieren?“ – „Wie schone ich meine Kleider?“ – „Das schwarze Seidekleid“ etc. geben einen Begriff von der Vielseitigkeit des Buches, welches überall Geschmack und feine Sitte neben den technischen Seiten der Toilette- und Wäscheangelegenheiten, der Kindergarderobe, der Festkleidung etc. hervorhebt, die rohen und unschönen Modeauswüchse dagegen mit ruhiger Entschiedenheit abweist. Bn.     


Neue Gegengifte. Vor einigen Jahren drangen überraschende Nachrichten über neue Heilmethoden in die Oeffentlichkeit. Man hatte schon früher festgestellt, daß zwei schwere und gefürchtete Krankheiten, die Diphtherie und der Wundstarrkrampf, durch Bakterien verursacht werden, daß diese Bakterien besondere Gifte erzeugen, die in das Blut gelangen und durch Vergiftung des Körpers die schweren Krankheitserscheinungen hervorrufen. Es gelang ferner, nachzuweisen, daß man Thiere gegen die beiden Krankheiten immun, d. h. unempfänglich, machen kann und daß das Blut immunisierter Thiere die Eigenschaft besitze, das Gift der Diphtherie- und Tetanusbacillen zu zerstören. Mit solchem Blute wurden an Thieren viele Heilungen erzielt und Mäuse, die schon infolge von Tetanus in Todeszuckungen lagen, noch gerettet. Viele Aerzte sprachen damals die Hoffnung aus, daß diese Blutüberführungen auch zu Heilzwecken bei Menschen verwerthet werden könnten.

Sind diese Verheißungen in Erfüllung gegangen? Darauf möge ein Hinweis auf weitere Arbeiten auf diesem Gebiete Antwort geben.

Profeffor G. Tizzoni in Bologna und sein Assistent Fräulein Dr. Giuseppina Cattani suchten zunächst das Gegengift aus dem Blute gegen den Tetanus immunisierter Thiere rein darzustellen. Sie fanden, daß dasselbe ein Eiweißkörper ist, und es gelang ihnen, durch Ausscheiden der Eiweißkörper des Blutes vermittelst Alkohols eine Art Pulver herzustellen, welches unter dem Namen „Antitoxin Tizzonis“ (Tizzonis Gegengift) bekannt geworden ist. Nachdem sich dasselbe bei Thieren als heilkräftig erwiesen, wurde es versuchsweise gegen den Wundstarrkrampf beim Menschen angewandt. Bis jetzt sind acht Fälle in verschiedenen Kliniken mit dem neuen Gegengift behandelt worden – und in allen wurde eine vollständige Heilung erzielt. Man rührte das Pulver mit Wasser an und spritzte es dem Kranken unter die Haut ein. Nach den Einspritzungen besserte sich das Befinden der Kranken, die Starre der Muskeln nahm zusehends ab, die Temperatur des Körpers fiel und es trat Schweißbildung ein.

Einige Heilungen können noch nicht als ein vollgültiger Beweis für die Wirksamkeit des Mittels betrachtet werden. Wenn wir aber bedenken, daß die Sterblichkeit beim Wundstarrkrampf 90 Prozent beträgt, so müssen wir in ihnen doch mehr als ein Werk des Zufalls erblicken, und die Hoffnung, daß wir auf diesem Wege neue Heilmittel gegen eine Reihe schlimmster Krankheiten erhalten werden, erscheint immer mehr begründet. Wir haben jener Hoffnung in den Artikeln Raum gegeben, die im Jahrgang 1891 der „Gartenlaube“ unter dem Titel „Der Kampf mit den Bakterien“ erschienen sind und welche die Heilung des Wnndstarrkrampfes und der Diphtherie betrafen.

Aus diesem kurzen Nachtrag können unsere Leser ersehen, daß die Wissenschaft in der Bekämpfung der alten Erbfeinde des Menschengeschlechtes langsam, aber siegreich fortschreitet. *     


Kirchensteg im Albthal. (Zu dem Bilde S. 401.) „Wenn mer d' ganz' Woch' schafft wie's Vieh, muß mer am Sundig si Kirch' ha – un mer go –“ erklärte der Bauer unter der Thür seiner einsamen Hütte und schaute sich den Himmel an, der sich grau über die dunkel- grünen Höhen des Schwarzwalds hinzog. Das Nannile war eifrig mit einem „jo, jo!“ zur Hand, und so machten sich Vater und Tochter fertig, obgleich die Frau mit einem Blicke nach den grauen Wolken meinte: „Mer kann au d'heim bete –“

„A bewahr', domit isch em liebe Gott nit dient,“ erklärte der Mann, nahm Hut und Stock und rasch sich aufschürzend, folgte ihm das Nannile auf dem Fuß. Der schmale Steg, unter dem die Alb lustig dahin jagte, wankte unter ihren Tritten, und drüben hieß es vorsichtig von Stein zu Stein klettern; dann ging's in die Höhe, dichter Tannenwald, tiefe Ruhe nahm sie auf, von nichts unterbrochen als von den kräftigen Schritten der beiden Menschen. Bei jeder Lichtung warfen sie einen Blick rechts in ihr kleines Heimathsthal, in das jetzt ein noch verhüllter Sonnenstrahl sich schräg hernieder senkte. Die Alb glitzerte, und die Scheiben der Hütte blinkten; aus dem Schornstein wehte ein dünner Rauch gerade nach der Seite der Dahinwandelnden.

„Gutwetterwind,“ sagte der Bauer, und das Nannile setzte hinzu.

„Er kriegt heut ä suere Lebere, Vadder.“ – Der Weg führte wieder abwärts, drüben lag das Ziel ihres Marsches, und nach einstündigem strammen Gehen traf endlich das Paar schweißtriefend in der Dorfkirche ein.

Freilich, der Bauer verband mit dem Ausdruck „si Kirch' ha“ einen etwas weiten Begriff; er wußte, hinter der Kirche stand das Wirthshaus, und da gab's einen guten „Sauern“ und ein paar Männer, mit denen sich ein Ausführliches verhandeln ließ über Politik, Feldbau und Hagelwetter.

Und daß dem Nannile die Zöpfe so glatt lagen und das Mieder so stramm saß, das durfte sich das bescheidene Dorfkirchlein auch nicht ganz allein auf seine Rechnung schreiben H. Villinger.     


Rohes und gekochtes Fleisch. Die Hygieiniker Europas eifern vielfach und nicht mit Unrecht gegen die Sitte, verschiedenes Fleisch roh zu essen, weil die Menschen sich dadurch der Gefahr aussetzen, krank zu werden, Bandwürmer, Trichinen, Tuberkelbacillen und dergl. zu bekommen. Premierlieutenant Morgen bringt in seinem jüngst erschienenen Werke, „Durch Kamerun von Süd nach Nord“ (Leipzig, Brockhaus), eine interessante afrikanische Aeußerung über die Ungebührlichkeit des Genusses von rohem Fleisch, die schon darum auffallen muß, weil sie aus dem Munde des Henkers eines der kleinen „Könige“ im Hinterlande von Kamerun stammt, eines Mannes, der überdies in dem üblen Rufe des Menschenfressers stand. Als Morgen ihm diese Verirrung vorwarf, schüttelte der Kannibale treuherzig den Kopf und sagte: „Ja, Herr, das ist richtig, aber ich bin nicht einer von denen, die das Fleisch der eignen Landsleute fressen, ich verzehre nur das der gefallenen Feinde, und Herr, verzeihe, aber das ist doch nicht so schlimm wie das, was Du machst. Du trinkst rohe Eier und issest rohes Fleisch. Das kommt doch bei uns niemals vor. Wir essen nur das, was vorher gekocht oder gebraten ist. Rohes Fleisch fressen in der ganzen Gegend nur die wilden Thiere.“


Chlor und Spiegel. Zur Desinfektion von Wohnräumen wird öfter auch Chlor angewendet. Man verfährt dabei in der Weise, daß man auf die Chlorkalk enthaltenden Pfannen Salzsäure gießt, sich selbst dann so schnell als möglich aus dem Staube macht und das Zimmer so luftdicht, als es irgend geht, verschließt.

Nun wirkt das Chlor aber nicht allein tödlich auf viele schädlichen Mikroben und Bacillen sondern auch zerstörend auf Gegenstände des menschlichen Gebrauchs, so z. B. auf viele Farben; Kleidungsstücke thut man aus diesen Gründen gut, aus dem zu räuchernden Zimmer zu entfernen. Und noch eine andere überraschende Wirkung hat das Chlor: es macht nämlich die Spiegel, die im Zimmer hängen, vollkommen blind und unbrauchbar.

Die Erklärung dieser Erscheinung ist nicht schwer, wenn man sich die Ursache der spiegelnden Wirkung des Glases vergegenwärtigt. Bekanntlich wird diese dadurch hervorgerufen, daß die Glasplatten mit einer metallischen, das Licht nicht durchlassenden Schicht belegt werden, und zwar wird meistens zu diesem Zwecke das sogenannte Zinnamalgam, eine Legierung von Quecksilber und Zinn, benutzt. Nun wirkt aber das Chlor mit Leichtigkeit auf diese wie auf die meisten Metalle, indem es sich mit ihnen verbindet, also das Quecksilber und das Zinn in ihre Chlorverbindungen überführt. Dadurch verlieren sie ihren metallischen Charakter wie alle Metalle, wenn sie sich mit Nichtmetallen verbinden; sie gehen aus dem Zustand der Metalle in den der Salze über und können als solche die Zurückwerfung des Lichtes aus dem Glase nicht mehr hervorrufen. Auch die Spiegel gehören also zu denjenigen Gegenständen, die man, wenn man Schaden vermeiden will, bei einer Chlordesinfektion aus dem Zimmer entfernen muß.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_407.jpg&oldid=- (Version vom 8.6.2021)