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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

schickte die Dekoration mit einem sehr trockenen Begleitschreiben an den Minister zurück, und dessen freut er sich noch heute.

Und noch heute lacht er über den absonderlichen Kauz aus Reggio, der die lustigste Kritik übte, indem er das Geld für sein Theaterbillett zurückforderte. Dieser Biedermauu, durch den Hymnus verlockt, der sich zum Preise von „Aïda“ erhoben hatte, war nach Parma gekommen, die neue Oper zu hören. Sie gefiel ihm gar nicht. Voll Zorn darüber schrieb er an den Meister, klagte sich bitter an, sein Geld so übel ausgegeben zu haben, und forderte es unter Rechnungsablage kurz zurück: Fr. 5,90 Eisenbahn, Fr. 8 Theaterbillett, Fr. 2 für ein abscheuliches Abendessen im Bahnhofsrestaurant, und das alles mit 2 multipliziert, weil er, um seiner Sache gewiß zu sein, zweimal gekommen sei. An der ganzen „Aïda“ sei, außer der prächtigen Ausstattung, kein guter Bissen. Der Maestro lachte herzlich und beauftragte seinen Verleger Ricordi, dem unzufriedene Reggianer die Summe von Fr. 27,80 zur Verfügung zu stellen. „Er verlangt mehr,“ schrieb er dazu, „aber wie komme ich dazu, sein Abendessen zu bezahlen? Wahrhaftig nicht, er konnte das recht gut zu Hause abmachen. Selbstverständlich muß er eine Quittung ausstellen und sich förmlich verpflichten, meine neuen Opern nie mehr anzuhören, denn ein andermal bezahle ich ihm die Reise nicht.“

Es ist durchaus nichts Aufregendes, nichts Pikantes in den kleinen Geschichtchen, die von Verdi berichtet werden, oder die er selbst erzählt, und doch liebt die Zeitgeschichte Anekdoten, sie lebt von ihnen, wenngleich die wahren Größen dadurch oft verkleinert werden, während die falschen die ersten Erfinder und Verbreiter der Geschichten über sich selbst sind. Oft wird Verdis Vertrauter, Arrigo Boito, um solche dem großen Publikum wichtige Dinge befragt. Vor einiger Zeit antwortete er einem der Frager in schöner Weise: „Das Leben unseres Meisters ist seit vielen Jahren so ruhig und so abgeschlossen in den Studien und in seinem Hause, daß keinerlei merkwürdige Dinge oder bizarre Anekdoten dabei gedeihen. Das Pikanteste an diesem Leben ist, daß es von ihm nichts Pikantes zu erzählen giebt. Diese Eigenthümlichkeit freilich kann der Biograph nicht brauchen, dennoch ist sie beachtenswerth, denn sie zeigt die große Einfachheit des Künstlers und Menschen. Mit diesen wenigen Zeilen habe ich Ihre Anfrage beantwortet; alles andere, was ich Ihnen gesagt hätte, würde der Wahrheit nicht entsprechen.“

Ueber seine ehrliche und gerade Gesinnungsweise stellt sich der Meister selbst ein Zeuguiß aus in einem Briefe an Leopold Mastrigli, der ihm sein Buch über berühmte Musiker zugeschickt hatte. Er schrieb ihm von Sant’ Agata: „Geehrter Herr! Entschuldigen Sie mich, bitte, wenn ich Ihnen für das Buch, das Sie so liebenswürdig waren zu senden, noch nicht gedankt habe. Gleichermaßen bitte ich, mich zu entschuldigen, wenn ich Ihrem mir geäußerten Wunsche, meine Ansicht über Ihr Buch zu äußern, nicht nachkomme. In Sachen der Musik und der Arbeiten über Musik glaube ich weder an mein Urtheil noch an das anderer. Erinnern Sie sich der Gutachten Webers, Schumanns, Mendelssohns über Rossini, Meyerbeer und andere und sagen Sie mir, ob man Vertrauen in das Urtheil eines Komponisten haben kann!“

Gemessene Höflichkeit ist das Gepräge der Briefe Verdis an Personen, mit denen er nicht näher steht. Der Ton in Briefen an Freunde ist ein ganz anderer, in diesen herrscht herzliche Innigkeit. So erzählt man Wunderdinge von dem Briefwechsel mit dem Grafen Opprandino Arrivabene, mit dem Verdi von erster Jugend an in schriftlichem Verkehr stand. Die Veröffentlichung der Briefe erlaubt das Testament des nunmehr verstorbenen Grafen erst nach zwanzig Jahren, doch weiß man, daß sich darunter eine ganz absonderliche Korrespondenz befindet, geführt durch mehrere Jahre zwischen zwei Wesen, die sich im Leben liebten und denen Verdi und der Graf als Sekretäre und Dolmetscher dienten: zwischen dem Hündchen Verdis und der niedlichen Hündin seines Freundes. Verdi schrieb von Zeit zu Zeit im Namen des Hundes an die kleine ferne Braut und erhielt Antwort. Die beiden Herren versuchten allen Ernstes die Gefühle ihrer Thiere zu errathen und gaben ihnen manchmal Ausdruck in einer phantastischen Hundesprache. Verdi ist ein großer Freund des Fabulierens und liest Romane (die „Verlobten“ Manzonis sind sein Lieblingsroman) mit höchstem Genuß.

Dabei beschäftigen ihn die Gegenstände seiner Opern, sobald er eine neue in Angriff nimmt, im äußersten Grade. Ehe er sich an die Komposition seines „Othello“ machte, studierte er den Shakespeare, las die Uebersetzungen in Prosa und Versen nebst den verschiedenen Auslegungen. Nun ging er an das Deklamieren der Boitoschen Verse, und er ist ein hervorragender Deklamator. Mit immer steigender Betonung spricht er sie, bis sie in einer Art von musikalischem Rhythmus erklingen und er sie im Geiste in der ihnen bestimmten Melodie hört. Dann geht er ans Niederschreiben, und jetzt steht die ganze Musik fertig vor ihm da. Notizen hat er sich vorher nur wenige gemacht; die zu „Falstaff“ umfassen nur zwei Seiten. Alle Verdischen Partituren, die jüngsten wie die ältesten, sind von einer ausnehmenden Sauberkeit und Uebersichtlichkeit, und alle zeigen sie die gleiche Handschrift, die Notenköpfe wie Perlen aneinandergereiht.

Es wird aus seiner lebhaftesten Schaffensperiode erzählt, daß er am 1. November 1852 über den „Trovatore“ zu „sinnen“ begann, und am 29. desselben Monats war die Partitur zur Auffuhrung fertig und er trug sie von Sant’ Agata nach Cremona zu seinem Verleger Ricordi. Dann geht er in der Weihnachtswoche nach Genua, wo aber das Schiff, das ihn nach Rom führen soll, des Festes wegen erst in drei Tagen abgeht. In diesen drei Tagen schreibt er den ersten Akt der „Traviata“. Es folgt die Trovatore-Aufführung in Rom, 19. Januar 1853; er reist zurück in seine Sant’ Agatinische Einsamkeit, vollendet in dreizehn Tagen die „Traviata“, und am 6. März schon kommt sie in Venedig zur Aufführung.

Schon die mechanische Arbeit bei solchem Schaffen ist staunenswerth, denn man erinnere sich, daß jede Partiturseite aus etwa dreißig Notenzeilen besteht, auf denen die Noten zu Hunderten und Aberhunderten sich drängen, verdichten, gruppieren, dazu die unzähligen Vortragsbezeichnungen, die Textworte etc.!

So ging es rastlos weiter. Wohl klagte er in den allerletzten Jahren; „Ach was, Musik, die Kunst der Leidenschaft, verlangt Sinnenjugend, Blutwärme, Lebensfülle, um auf die Geister zu wirken“ – aber dann schuf der Achtzigjährige ein Jugendwerk, mit jugendlicher Kraft hat er sich daran gemacht. Zu frühester Morgenstunde stand er auf, beweglich und heiter wie ein verliebter Jüngling, und diese Oper war wirklich eine alte Jugendliebe. Schon 1847 schwebte ihm „Falstaff“ vor, und der Gedanke an ihn hat ihn nicht mehr verlassen.

Er schrieb am 3. Dezember 1890 darüber an den Kritiker des „Popolo Romano“, den Marquis Gino Monaldi: „Liebster Herr Monaldi! Was soll ich sagen? Vierzig Jahre sind es, daß ich wünsche, eine komische Oper zu schreiben, und bereits fünfzig, daß ich die ‚Lustige Weiber von Windsor‘ sah, doch . . . die gewöhnlichen ‚Aber‘, die überall sind, stellten sich diesen Wünschen immer entgegen. Jetzt hat Boito diese Aber beseitigt und mir eine lyrische Komödie geschrieben, die ihresgleichen nicht hat. Ich amüsiere mich höchlich, die Musik dazu zu schreiben, planlos, ohne zu wissen, ob ich sie vollende. Wie gesagt: ich amüsiere mich. Falstaff ist ein Halunke, der sich alle möglichen schlechten Streiche erlaubt, doch immer unter ergötzlicher Form. Er ist ein Typus ... Die Oper ist durchaus komisch. – Amen.
Ihr G. V.“ 

Als Mann der strengen Zucht zeigt sich Verdi auch darin, wie er die Proben zu neuen Opern, so jüngst zu „Falstaff“, abhält. Er ist von militärischer Pünktlichkeit und verlangt das Gleiche von den Künstlern. Mit Schwatzen verliert er keine Minute; er kommt, grüßt freundlich, und die Probe geht los. Er kennt die seiner Sache dienenden Kräfte ganz genau und sucht den besten Nutzen daraus zu ziehen. Er giebt, da ihm im Vortrage eine klare deutliche Aussprache über alles geht, seinen Sängern die Worte, ja die Silbe an, die hervorgehoben werden müssen, und erlaubt keinerlei Willkürlichkeit in Bezug auf Phrase und Rhythmus, keine (in Italien noch immer so beliebte) Fermate, die er nicht vorgeschrieben hat. So läßt er oft ein Wort, einen Takt zwanzig-, dreißigmal wiederholen. Sind diese technischen Grundlagen fertig, so beginnt die Farbengebung, und dies ist der anziehendste Theil seines Einstudierungswerkes. Nun wird Verdi selbst Sänger und Schauspieler und macht die Schritte, Handbewegungen, Stellungen, das Mienenspiel selbst vor. Sein Auge leuchtet, läßt den Darsteller nicht mehr los und begeistert ihn. Dasselbe geschieht mit dem Orchester. Während der Proben zu „Falstaff“ war der Alte ganz wieder Jüngling geworden. Von neun Uhr früh bis halb elf sah er die Partitur und die Rollen durch, von halb ein bis

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_404.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2022)