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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


So mancher mag sich wundern, wie einer in dem an herrlichen Landschaften so reichen Italien und bei völliger Unabhängigkeit in der Wahl seines Wohnortes gerade dieses Fleckchen Erde zum Bau seines Heims erlesen konnte: am linken Ufer der unbedeutenden Ongina, in dem hügellos zum Po abfallenden Ackerlande, ohne Aussicht, höchstens daß vom Süden her die starren Berge von Massa und Carrara herüberblauen. Hierauf giebt es nur eine Antwort: die Heimathsliebe war mächtig in seinem Herzen, und darum siedelte er sich an auf seiner „süßen Vaterlandserde“, zwei Miglien von Busseto und vier von Roncole, auf dessen Fluren der Knabe gespielt hatte. Und nur hier, in dieser fast klösterlichen Abgeschiedenheit, ist es dem so tausendfach von hohler Neugierde in Anspruch genommenen Manne möglich, sechs Monate alljährlich in ziemlicher Einsamkeit zu verbringen. Keine lästigen Nachbarn wohnen störend um die Villa her; ein paar Gruppen stiller Bauernhäuser scharen sich zerstreut um das demüthige Kirchlein. Aber auch keine chinesische Mauer sperrt die Villenbewohner von der Außenwelt ab, man hat ihr sogar eine Brücke über das Flüßchen gebaut und der Weg darüber führt zwischen zwei sanften Trauerweiden hindurch gerade auf das zweistöckige Haus los, das mit seinen drei Fenstern Front in jedem Stockwerk und drei Bodenfenstern dir freundlich entgegenschaut. Hinter dem Hause dehnen sich Park und Garten, die Weinpflanzungen, durchsetzt von langen Reihen alter Bäume. Dort liegen auch die Wohnungen der Feldarbeiter, die sauberen Kuh- und Pferdeställe. Die Pferde sind des Meisters besonderer Stolz; er züchtet eine eigene Rasse, die nach ihm den Namen führt. Aber auch die Blumen haben seine große Zuneigung. Oft schon um fünf Uhr wandert er an Sommermorgen im Blumengarten umher, plaudernd mit dem alten Gärtner, Blumen schneidend für den Tafelstrauß. Ein liebliches Bild: der schöne Greis, eine Rose in der Hand, deren Duft er behaglich einsaugt. Um sieben Uhr trinkt er seinen Milchkaffee, um halb elf Uhr ruft das Glöckchen zu einer kräftigeren „Colazione“. Um zwei Uhr nimmt er die Tagesnachrichten seines Faktors entgegen, schreibt und liest bis um fünf, wo zu Tische gerufen wird. Nach dem Mittagessen spaziert er durch seine Felder und Wiesen, unterhält sich mit seinen etwa anwesenden Freunden, redet hier und da einen der Arbeiter an. Nach Sonnenuntergang geht er heim und widmet den Rest des Tages bei hellerleuchteten Zimmern der Unterhaltung im Gespräch, beim Spieltisch, am Billard.

Das wäre ein Tag des „Otium cum dignitate“, der schönen Muße, wo es nichts Absonderliches zu thun giebt. Anders geht’s, wenn der „Geist“ über ihn kommt. Dann wird der oft jahrelang verstimmt stehende große Erardflügel gestimmt und tönt oft stundenlang unter den Händen des Meisters.

Verdis Schlafzimmer, im Erdgeschoß der Villa, ist groß und dient – die Möbel ziehen eine Art Scheidewand – auch als Studierzimmer, das mit mancherlei köstlichen Erinnerungen geschmückt ist. Das Liebste wohl ist das Oelbild, das seinen einstigen Beschützer, Gönner und Förderer, dann unvergeßlichen Freund Antonio Barezzi, den Gewürzkrämer von Busseto, darstellt.

Der Name der Familie Barezzi wird in der Geschichte der italienischen Musik unverlöschlich bleiben und immer mit Ehren genannt werden. Der Eintritt Verdis als Kaufmannslehrling in das Barezzische Haus war eine jener Thatsachen, die ein günstiger Zufall schafft. Hinter den Zucker- und Kaffeesäcken, den Rum- und Heringsfässern suchte ihn sein Schicksal auf. Der Geschäftsherr, der selbst Flötist in der Kapelle der Kathedrale von Busseto war, alle Blasinstrumente kannte und Klarinette, Horn und das Ophikleïd spielte, war Vorstand eines Vereins von Musikfreunden, der in seinem Hause sein Wesen trieb und durch Ferdinando Provesi (auch dessen Bild findet sich in Verdis Villa), den ehrsamen Organisten des Städtchens, geleitet ward.

Der kleine Peppo schwamm in einem Meer von Wonne, als Barezzi ihm sein Wiener Pianoforte aus der Fabrik Fritz zur Verfügung stellte.

Dieser „Fritz“ und jenes Spinett stehen, wie gesagt, im Obergeschoß der Villa Sant’ Agata, beide „a. D.“, aber ehrenvoll verabschiedet. Das Spinett trägt noch das „Armuthszeugniß“ aus Verdis Kindheitsperiode. Stefano Cavaletti, der Pianofortestimmer von Busseto, hatte es aus lauter Gnade und Barmherzigkeit frisch beledert, ihm auch ein Pedal angehängt und darüber ein schriftliches Zeugniß in Handwerkerstil und -Orthographie ausgestellt, das wir noch jetzt an dem klapperigen Deckel lesen. Ins Deutsche übersetzt, würde es etwa lauten:

„Von mir, Stefano Cavaletti, wurden diese Hämmerchen erneut und mit Belederung versehen, auch das Pedal habe ich dazu gemacht, das ich geschenkt habe: wie ich auch die genannten Hämmerchen umsonst gemacht habe, da ich die gute Anstelligkeit des jungen Giuseppe Verdi sehe, dieses Instrument zu lernen und zu spielen, daß mir dies genügt, um damit in allem zufriedengestellt zu sein. Anno domini 1821.“

Auf dem Fritz’schen Pianoforte spielte auch Barezzis holdes Töchterlein Margherita, hier fanden sich, beim Vierhändigsplelen, zuerst die Hände Giuseppes mit den ihrigen, und sie ward später seine Frau, freilich nur auf kurze glückliche Jahre, da sie bereits 1840 starb. Ihr Bild zeigt ein schönes, heiteres Gesicht mit dem Haarputz der dreißiger Jahre. Seine zweite, noch jetzt lebende Frau, eine muntere, feinfühlende und feingebildete Dame, Giuseppina Streppani, war als Sängerin einst hochgefeiert in den ersten Verdischen Opern, so namentlich als Abigaïl im „Nabuccodonosor“; sie versteht es vortrefflich, die Ehren des Hauses zu machen.

Außer den zahlreichen Erinnerungsbildnissen schmücken noch viele Oelgemälde varzüglicher moderner Meister, alte Stiche und Zeichnungen die Wände; dazu kommen schöne geschnitzte Möbel, eine reiche Bibliothek mit allen Klassikern, mit Prachtwerken, Manuskripten, künstlerischen Erinnerungen, alles wohlgeordnet und übersichtlich dem Blicke der Freunde und Besucher bloßgestellt, ohne Aufdringlichkeit, ohne die hinweisende eitle Hand eines ruhmsüchtigen Hausherrn. Der Besucher auf Sant’ Agata merkt es sehr rasch, Giuseppe Verdi will nicht angeräuchert sein, nicht beobachtet, kaum beachtet, und so fühlt sich jeder wohl dem Hausherrn gegenüber, der, um es dem Gaste behaglich zu machen, seine täglichen Gewohnheiten auch nicht einen Augenblick verläßt und dem man aus diesem Grunde leicht anfühlt, wenn man ihn wirklich „stören“ darf. Er mag manchem rauh und kurz angebunden erschienen sein, wie er denn in seinem ganzen Wesen etwas gutmüthig Knorrig-Knurriges, das seine bäuerliche Abstammung verräth, bewahrt hat. Aber jener feine Herzenstakt, der wieder dem höchstgeborenen Menschen gar oft fehlt, hat Verdi nie verlassen, besonders nicht der stille große Humor, dem die Güte und Menschenliebe zur Seite stehen. Er hat aus früheren Zeiten die Gewohnheit beibehalten, kurz angebunden zu sein, wie es ein Mensch ist, der keine Zeit hat Leuten gegenüber, die deren zuviel haben, wie Stellenjäger, Neugierige, Eitle, Schwärmer, unverstandene Genies männlichen wie weiblichen Geschlechts. Diese alle werden vom Wahlspruch des Hauses betroffen: „Tempus meum ager meus est“, „meine Zeit ist mein Acker“ – und gehen davon und schimpfen auf den groben Alten.

Wer ihm je näher trat, liebt ihn.

Es giebt ja oft genug Stunden und Tage, wo der Meister „Mensch“ sein darf und dann ein wirklich liebenswürdiger Mensch ist. Da sind die Stunden der Tafel, von denen unter anderen sein Freund Giuseppe Giacosa, Dichter vortrefflicher Dramen, erzählt. Verdi ist kein Gourmand oder Schlecker; sein Tisch ist wirklich freundschaftlich, d. h. freigebig und einsichtsvoll. Die Küche von Sant’ Agata könnte auf die Bühne kommen, so malerisch ist sie in ihrer behäbigen Größe. Aber der ganze Apparat dient wesentlich der Gastfreundschaft, denn der Wirth ist unschwer zufrieden zu stellen. Er sitzt gerne zu Tische, wie alle gesunden arbeitsamen Menschen, dabei aber liebt er es über alles, um sich her an seinen Gästen die witzige und aufrichtige Heiterkeit strahlen zu sehen, die eine gute Mahlzeit zu begleiten pflegt.

Bei solchen Gelegenheiten und dann beim Kaffee erweist sich Verdi als geistreicher, lebhafter, farbenreicher Erzähler, der wie Nestor sich gern in Erinnerungen ergeht und dabei großen Humor und tiefes Gemüth entwickelt. Ein Lächeln, das seine Mundwinkel in seinen Fältchen umspielt, auch wenn er nichts sagt, ist bezeichnend für ihn und steht dem glücklichen Greise gar wohl an: es deutet auf die überlegene Selbständigkeit und Unabhängigkeit seines Geistes. Pfaffendiener und Hofschranze ist Verdi nie gewesen, er diente der Wahrheit und der Kunst, und aus der Kraft dieser schöpfte er seine Würde.

Im Jahre 1868 schickte ihm Broglio, der Minister des öffentlichen Unterrichts, das Komthurkreuz der Italienischen Krone, hatte aber gleichzeitig an Rossini einen Brief gesandt, worin er diesen in den „siebenten Himmel“ erhob, während keines anderen neueren italienischen Meisters Erwähnung gethan ward. Verdi

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_403.jpg&oldid=- (Version vom 8.6.2021)