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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

ist noch keineswegs ausgemacht. Herr Dernburg wünscht es ja zweifellos, aber Maja verhält sich noch immer ablehnend. Wer weiß, wie ihre Antwort lautet, wenn der Graf sich wirklich erklärt.“

„Aber sie kann doch nicht ewig um den einstigen Verlobten trauern – sie war ja damals noch ein halbes Kind.“

„Und doch hat sein Tod sie beinahe das Leben gekostet!“

„Ja, das war eine schöne Zeit!“ sagte Hagenbach mit einem Seufzer. „Auf der einen Seite Egbert, der wochenlang zwischen Leben und Tod schwebte, auf der anderen Fräulein Maja, die gleichfalls Anstalt zum Sterben machte, und dazwischen Frau Cäcilie, die mir eines Tages, als es dem Runeck gerade recht schlecht ging, in aller Seelenruhe erklärte, wenn es mir nicht gelänge, ihren Egbert zu retten, dann wolle auch sie nicht mehr leben. Einen lustigen Brautstand haben wir beide gerade nicht dabei gehabt – Gott sei Dank, daß die Ehe besser geworden ist! Doch ich muß fort! Ich gehe erst noch einmal nach Hause, hast Du etwas zu bestellen?“

„Eine Kleinigkeit: Du wolltest ja den Kutscher zur Bahn schicken – da kann er den Brief und die Postanweisung gleich mitnehmen.“

„Welche Postanweisung?“ fragte der Doktor mißtrauisch.

„Nun, die dreihundert Mark für Dagobert. Ich habe die Anweisung schon ausgefüllt, sie liegt auf Deinem Schreibtisch, Du brauchst nur das Geld herauszugeben, lieber Hugo.“

„Leonie, was fällt Dir denn ein?“ fuhr Hagenbach gereizt auf. „Ich habe Dir doch gesagt und sage es noch einmal –“

Er kam aber nicht dazu, es noch einmal zu sagen, denn seine Frau unterbrach ihn: „Ich weiß, Hugo, Du stellst Dich bisweilen hart und bist doch die Herzensgüte selbst. Du hast ja längst beschlossen, dem armen Jungen das Geld zu schicken –“

„Ich denke nicht daran!“ rief der Doktor wüthend.

„Doch, Du denkst daran,“ versicherte Frau Doktor Hagenbach mit einer Bestimmtheit, gegen die sich schlechterdings nichts einwenden ließ. „Du fürchtest nur, Deiner Autorität etwas zu vergeben, und da hast Du recht wie immer. Deshalb habe ich es Dir abgenommen und an Dagobert geschrieben. Es geschah einzig um Deinetwillen, das siehst Du doch ein, lieber Hugo.“

Der „liebe Hugo“ hatte in seiner Ehe schon manches einsehen lernen. Er hörte zwar nie einen Widerspruch und es geschah alles ausschließlich nach seinem Willen, das sagte ihm seine Frau täglich, und er glaubte es auch meistens, in Odensberg aber war man anderer Meinung. Da wurde mit aller Entschiedenheit behauptet, daß die Frau Doktor das Regiment im Hause führe. Und jedenfalls wurde die Postanweisung mit den dreihundert Mark noch im Laufe der nächsten Stunde abgesendet. –

Im Salon saß Maja Dernburg allein am Fenster; zu ihren Füßen lag Puck; er war gesetzt und verständig geworden und hatte seine Neigung, Menschen, welche karrierte Beinkleider trugen, hinterrücks zu überfallen, gänzlich abgelegt. Freilich wurde er auch nicht mehr so viel geneckt wie früher, seine junge Herrin streichelte und liebkoste ihn wohl noch, aber das lustige Spiel, das sie sonst mit ihm getrieben, hatte längst aufgehört, schon seit Jahren. Sie war überhaupt nicht mehr die „kleine Maja“, das kindlich reizende Geschöpf mit dem lachenden Uebermuth und den sonnigen Augen. Wohl hatte sich die schlanke weißgekleidete Mädchengestalt dort am Fenster zum vollsten Liebreiz entwickelt, aber aus dem lachenden Kinde war eine stille Jungfrau geworden, und in den braunen Augen lag es wie tiefe schwere Schatten, wie ein noch immer nicht überwundenes Weh.

Es war still ringsum und Maja blickte träumerisch hinaus in den hellen Sommertag, als ihr Vater eintrat. Sein Haar war weiß geworden in den letzten Jahren, sonst aber war er noch immer die alte ungebeugte Erscheinung.

„Hältst Du schon Ausschau nach dem Wagen?“ fragte er.

„Nein, Papa, dazu ist es noch zu früh,“ entgegnete das junge Mädchen. „Egbert und Cäcilie können vor einer Stunde nicht hier sein, aber da wir fertig sind mit allen Anstalten zu ihrem Empfang –“

„Um so besser, dann werden wir noch eine Stunde für unseren Gast allein haben. Eckardstein ist schon da – drüben in meinem Arbeitszimmer.“

„So? Weshalb ist er denn nicht mit Dir gekommen?“

„Weil er es für nothwendig hielt, mich als Parlamentär vorauszuschicken. Wir haben eine lange und ernste Unterredung miteinander gehabt – soll ich Dir den Inhalt derselben erst noch mittheilen oder erräthst Du ihn?“

Maja hatte sich erhoben; sie war bleich geworden, während ihre Augen sich bittend auf den Vater richteten. „Papa – konntest Du mir das nicht ersparen?“

„Nein, mein Kind,“ sagte Dernburg ernst. „Viktor ist entschlossen, sich diesmal die Entscheidung zu holen, und Du wirst seiner Erklärung stand halten müssen. Er bat mich um meine Fürsprache, und ich habe sie ihm zugesagt, denn ich habe da noch ein Unrecht von früher her gut zu machen. Er warb schon damals vor drei Jahren um Dich, wenn es auch nicht bis zum offen ausgesprochenen Antrag kam; ich sah in dieser Werbung des vermögenslosen jungen Offiziers nur eine Berechnung und ließ ihn das sehr bitter fühlen. Er hat aber bewiesen, daß seine Liebe echt und treu ist, und ich würde gern, sehr gern das Glück meiner Maja in seine Hände legen.“

„Ich möchte bei Dir bleiben, Papa,“ flüsterte das junge Mädchen, sich fast angstvoll an seine Brust schmiegend. „Willst Du mich denn nicht behalten?“

„Mein Kind, getrennt werden wir ja auch nicht, wenn Du Viktors Gattin wirst. Du weißt es am besten, was ihn bisher von Eckardstein ferngehalten hat; Dein Jawort würde ihn sofort bestimmen, den Abschied zu nehmen und sich in Zukunft seinen Gütern zu widmen. Dann bleiben wir beisammen, Eckardstein liegt ja so nahe.“

„Ich kann nicht!“ rief Maja heftig, indem sie sich emporrichtete. „Oskar hat mich im Leben unlöslich an sich gekettet, er läßt mich auch im Tode nicht frei! Wie oft ist mir das Herz schwer geworden, wenn ich in Viktors bittende Augen blickte und diese stumme Bitte nicht verstehen durfte, aber ich kann nicht glücklich sein an der Seite eines anderen!“

„Es ist nur wenigen bestimmt, glücklich zu sein,“ sagte Dernburg mit schwerem Nachdruck, „doch die Pflicht, glücklich zu machen, wo das in unsere Hand gegeben ist, die Pflicht haben wir alle. Viktor weiß, was geschehen ist, er fordert von Dir nicht jene leidenschaftliche Liebe, die Dich an Oskar band, er würde sie vielleicht nicht einmal verstehen. Aber Du bist ihm nothwendig zu seinem Glück, und seine treue ehrliche Zuneigung ist es wohl werth, daß Du Dich um seinetwillen losmachst von jenen Erinnerungen. Du hast volle Freiheit, Maja – nur das eine bedenke: wer überhaupt leben will, der muß auch für andere leben!“

Das junge Mädchen antwortete nicht, ein paar schwere Thränen rollten langsam aus ihren Augen; die ernste Mahnung war nicht wirkungslos geblieben.

„Nun, was soll ich dem Grafen sagen?“ fragte Dernburg nach einer Pause.

Maja preßte beide Hände gegen die Brust, als wollte sie ein dort aufsteigendes Weh niederkämpfen, dann senkte sie das Haupt und erwiderte fast unhörbar: „Sage ihm – daß ich ihn erwarte!“

Da fühlte sie die Lippen des Vaters auf ihrer Stirn, und sie in die Arme schließend, sagte er in tiefer Bewegung: „Recht so, mein armes – mein tapferes Kind!“

Fünf Minuten später trat Viktor Eckardstein ein, fast unverändert in seiner äußeren Erscheinung, nur ernster, männlicher in seinen Zügen. Jetzt freilich zeigte sein ganzes Wesen nur Erregung und Unruhe.

„Ihr Herr Papa sagte mir, daß ich Sie allein finden würde, Maja,“ hob er an. „Ich möchte Ihnen so manches, so vieles anvertrauen und weiß doch nicht, ob Sie es hören wollen.“

Maja stand mit gesenkten Augen da; eine leise Röthe begann in ihrem Gesicht aufzusteigen, als sie wortlos bejahend das Haupt neigte.

Der Graf schien doch irgend ein anderes Zeichen der Ermuthigung erwartet zu haben, seine Stimme gewann einen leisen Anflug von Bitterkeit, als er fortfuhr: „Es ist mir schwer genug geworden, mit meinen Bitten und Wünschen erst einem anderen zu nahen, und wenn es auch Ihr Vater war. Aber Sie haben sich mir immer so fern gehalten, Maja, haben mir so wenig Hoffnung gegeben, daß ich es nicht wagte, die Frage, an der mein Lebensglück hängt, zuerst an Sie zu richten. Ich fühle nur zu sehr, daß ich hier einen Fürsprecher brauchte.“

„Ich wollte Ihnen nicht wehe thun, Viktor, gewiß nicht,“ versicherte Maja. und streckte ihm mit der alten kindlichen Vertraulichkeit die Hand hin, die er fest im die seinige schloß.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_386.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)