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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

schon in weiter Entfernung glaubte. Aber jetzt war keine Zeit zu irgend welchen Erörterungen – Oskar trat entschlossen vor. „Ich entdeckte den Brand zuerst,“ sagte er, „und ließ sofort die Alarmsignale geben. Das Feuer scheint in den Walzwerken ausgebrochen zu sein.“

„Ja, dort ist es!“ bestätigte Dernburg. „Aber da kann es nicht durch Unvorsichtigkeit entstanden sein, die Arbeit ruht ja seit den Mittagsstunden – der Brand ist gelegt worden!“

Die Umstehenden theilten sämtlich seine Meinung, das sah man, aber Wildenrod schnitt jede weitere Bemerkung ab. „Gleichviel, wir müssen zur Brandstätte vordringen!“ rief er. „Bei diesem Sturme sind alle Werke in höchster Gefahr.“

„Bei diesem Sturme sind sie verloren!“ sagte Dernburg finster. „Wir haben nicht einmal Hände zum Löschen.“

„Aber unsere Feuerwehr! Die Arbeiter –“ warf der alte Mertens ein, doch ein bitteres Auflachen seines Herrn unterbrach ihn. „Meine Arbeiter? Die lassen brennen, was brennen will. Ruft sie nur herbei mit den Feuerhörnern, es kommt keiner – keiner, sage ich Euch! Es sind ja meine Werke, da rührt sich keine Hand!“

Allein wie zur Antwort wurden jetzt Rufe und Stimmen laut und am Eingang zu den Werken tauchten Fackeln auf. Ein Trupp von Arbeitern erschien in geschlossener Reihe, die Feuerhelme auf den Köpfen, die Brandkittel übergeworfen, und ihnen nach donnerten die Spritzen. Und nach fünf Minuten kam ein zweiter Trupp und dann ein dritter und vierter. Jetzt erscholl der Feuerruf überall, nah und fern, das ganze Odensberger Thal wurde lebendig; überall blitzten Lichter auf. Die Werke füllten sich mit Menschen, es kam alles und alles war bereit, zu helfen.

Dernburg hatte anfangs fast versteinert auf die Ankommenden geblickt; als aber nun ein Zug nach dem anderen aus dem Dunkel auftauchte, als die Leute wie auf Leben und Tod heranjagten, um nur rechtzeitig anzukommen, als im Galopp die Spritzen vorfuhren, da hob ein tiefer Athemzug die Brust des Herrn von Odensberg; er richtete sich hoch auf, als werfe er eine lange getragene Last von sich und rief: „Nun, wenn Ihr denn doch helfen wollt, dann vorwärts! Dem Feuer zu Leibe!“

Das geschah, aber der Brand hatte schon allzu reichliche Nahrung gefunden. Das ganze Innere der Walzwerke schien in Flammen zu stehen, vergebens versuchte man hineinzudringen. Dernburg hatte persönlich die Oberleitung der Rettungsarbeiten übernommen und lenkte seine Leute mit Wort und Blick, und sie gehorchten ihm so pünktlich und unbedingt wie nur je.

Aber auch Oskar von Wildenrod war unermüdlich mit dabei. Er fragte nicht erst, ob man ihm dies Recht noch zugestehe, er nahm es sich einfach. Er war überall, wo es Noth that. Aber obwohl er die einzelnen Abtheilungen muthig und unerschrocken immer wieder vorführte, obwohl die Spritzen ihre zischenden Strahlen unausgesetzt in die Gluth schleuderten, so hatte doch das Feuer einen übermächtigen Bundesgenossen an dem herrschenden Sturme, und im Verein mit ihm spottete es aller Mühen und Anstrengungen. Wie feurige Schleier zuckten die Flammen aus den Fenstern des Gebäudes, sie leckten an den Mauern und schossen sprühend aus dem Dache heraus. Der Sturm jagte sie schon hinüber nach den anderen Dächern, er führte brennende Späne hoch durch die Luft, um sie dann verderbenbringend wieder niedersinken zu lassen. Schon hatte es auch anderswo an einzelnen Stellen gezündet, überallhin mußten Abtheilungen zum Löschen gesandt werden.

Wildenrod kehrte eben von einem dieser Nebenbrände, den er unter seiner Aufsicht hatte löschen lassen, zur eigentlichen Brandstätte zurück, wo der Herr von Odensberg nicht vom Platze wich. Dieser sprach eben mit dem Oberingenieur, der mit rathlosen Mienen vor ihm stand.

„Wir zwingen es nicht, Herr Dernburg,“ sagte er. „Sehen Sie nur, das Feuer droht schon, nach den Gießereien hinüberzugreifen, und brennen die erst, dann hat es überallhin offene Bahn. Ein Mittel gäbe es vielleicht noch, aber Sie wollen es ja nicht – wenn wir den Versuch machten, das große Reservoir der Radefelder Leitung zu öffnen.“

„Nein niemals – das würde Menschenleben kosten!“ erklärte Dernburg. „Mag sein, daß sich Freiwillige dazu finden würden, die Leute sind in ihrer jetzigen Stimmung zu jedem Opfer fähig, aber ich opfere kein Menschenleben, eher mögen die Werke alle niederbrennen.“

Er trat zu den Spritzen, die eben wieder mit ihren Wasserstrahlen einen neuen Angriff versuchten, und gab dort einige Befehle, während Wildenrod, der zugehört hatte, sich an den Oberingenieur wandte. „Was ist’s mit der Radefelder Leitung?“ fragte er hastig.

„Die Leitung ist unmittelbar an die Walzwerke angeschlossen,“ versetzte der Beamte. „Wenn es möglich gewesen wäre, rechtzeitig das große Becken oben auf dem Boden und das Hauptrohr der Zuleitung zu öffnen, so hätte der Brand erstickt werden können. Aber wir konnten uns dort keinen Zugang verschaffen. Das Rohr liegt –“

„Ich weiß,“ unterbrach ihn Wildenrod. „Ich war dabei, als die Leitung angeschlossen und erprobt wurde, und habe mit angesehen, wie man den Zufluß öffnete. Der Zugang ist unmöglich, sagen Sie?“

Der Oberingenieur zuckte die Achseln und deutete auf die Brandstätte. „Jetzt ist er vielleicht eher möglich, unsere Spritzen haben Bahn gemacht, wenigstens für kurze Zeit, aber Herr Dernburg hat recht, der Versuch würde Menschenleben kosten. Wer wagt sich in die glühenden Mauern, die jeden Augenblick einstürzen können? Und wenn es wirklich gelänge, die Leitung zu öffnen und die Wassermassen des Reservoirs dort oben in den Feuerherd zu leiten, wie sollen unsere Leute zurückkommen? Der Dampf erstickt sie, wenn das Wasser losbricht, es kommt keiner lebendig heraus.“

„Es handelt sich nur darum, daß einer lebendig hineinkommt,“ murmelte Oskar, das Auge starr auf den lohenden Brand gerichtet. Der Oberingenieur sah ihn betroffen an, aber bevor er noch zu antworten vermochte, kehrte der Chef zurück. „Uebernehmen Sie das Kommando dort drüben,“ befahl er. „Winning hält es nicht mehr aus.“

Der Beamte eilte fort und Dernburg streifte mit einem finsteren Blick den Freiherrn. „Was wollen Sie hier?“ fragte er in gedämpftem Ton. „Es sind Hände genug da zum Löschen, wir brauchen Ihre Hilfe nicht.“

„Vielleicht doch!“ sagte Wildenrod mit einem seltsamen Lächeln.

Dernburg trat dicht an ihn heran. „Ich habe Sie vor meinen Beamten und Arbeitern nicht preisgeben wollen, jetzt aber sage ich Ihnen, Sie sind hier nicht mehr am Platze, Herr von Wildenrod. Gehen Sie!“

Wildenrod begegnete fest den drohend auf ihn gerichteten Augen, dann sagte er langsam und ernst: „Ich gehe! Grüßen Sie Maja, vielleicht erlauben Sie ihr doch noch – um mich zu weinen!“

Er wandte sich schnell ab und verschwand in dem Gewühl der Hilfeleistenden. –

Es war eine furchtbare Nacht, die Odensberg heute durchlebte. Die vom Sturm gejagten Wolken blutroth gefärbt von den lodernden Flammen, hastig hin und her wogende Menschenmassen, ein brausendes Rufen, Schreie, das Rasseln der Spritzen – es war ein unheimliches Bild.

Da auf einmal erhob sich inmitten der Brandstätte eine mächtige Dampfwolke, die sich immer weiter ausbreitete, und zugleich ließ sich ein eigenthümliches Zischen und Brausen vernehmen. Die Flammen loderten nicht mehr so hoch empor wie vorhin, sie schienen zu sinken, zu flüchten vor irgend einer geheimnißvollen Gewalt, während der Dampf und das Brausen immer stärker wurden. Die Umstehenden konnten sich den Vorgang nicht erklären, alle möglichen Vermuthungen wurden laut, Dernburg fand zuerst die Lösung des Räthsels. „Die Radefelder Leitung ist offen!“ rief er. „Das Wasser ist eingebrochen. Vielleicht ist das Hauptrohr geborsten oder das Feuer hat den Verschluß gesprengt. Gleichviel – es bringt uns Rettung!“

Athemlos folgte alles dem Kampf der beiden feindlichen Elemente, aber bald siegte die Fluth, die offenbar den ganzen Boden überschwemmte, wo das Feuer seine Hauptnahrung gefunden hatte. Es brannte wohl noch an verschiedenen Stellen des Daches, aber das war zu löschen und wurde gelöscht, als das Flammenmeer im Inneren zusammensank. Die Spritzen traten wieder mit voller Kraft in Thätigkeit, und jetzt stürzte auch ein Theil der längst schon wankenden Mauern ein, das Hauptgebäude brach in sich zusammen. Damit war die Gefahr für die Umgebung beseitigt und der Brand auf seinen Herd beschränkt.

„Das war Hilfe in der Noth!“ sagte Dernburg zu den ihn umgebenden Beamten. „Und daß die Leitung gerade im

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