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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Pascha nicht eben allzu häufig vor. – So haben die deutschen Kolonien in dem Vierteljahrhundert ihres Bestehens in mannigfacher Weise die Kultur des verwahrlosten Landes zu heben und zu fördern verstanden. Auch die Eisenbahn von Jaffa nach Jerusalem wäre wohl ohne sie und ihren stillen Einfluß nicht zustande gekommen, obwohl die Kolonien unmittelbar an der Gründung und dem Bau nicht betheiligt waren. Der letztere lag vornehmlich in französischen Händen, und auch die Arbeiter bestanden zumeist aus arabischen Fellachen, Aegyptern und wenigen Italienern. Lange hatte sich die türkische Regierung dem Bahnbau mit allen Mitteln widersetzt, und viel Geld und Arbeit ging verloren, bis am 31. März 1890 der erste Spatenstich gethan werden konnte. Zweieinhalb Jahre dauerte dann der Bau. Am Sonntag den 21. August 1892 kam die erste Lokomotive vor Jerusalem an, und Schrecken und Staunen über das fauchende Ungethüm erfüllte die neugierig herbeigeströmten arabischen Volksmassen. Wie der böse Feind selber erschien ihnen die unheimliche Maschine, sie sahen darin den Anfang vom Ende des Islam. Als am 26. September die feierliche Eröffnung stattfand, da schlachtete man auf dem Bahnhof zu Jerusalem zwei Widder, ließ ihr Blut auf das Schienengeleise tröpfeln, um die Bahn zu entsündigen. Europäische Reisende aber rathen, dieser Entsündigung nicht ganz zu trauen und sie jedenfalls durch eine beträchtliche Reiseunfallversicherung zu ergänzen.

Unser Bild auf S. 381 zeigt uns eine landschaftliche Ansicht von der Strecke, welche die Bahn durchläuft. Es fehlt ihr nicht an Reiz; aber das melancholische Gepräge der Oede kann sie nicht verleugnen; es ist eine Gegend, wo „sich Fuchs und Hase Gutenacht sagen“, wie unser Zeichner symbolisch angedeutet hat. Der Bahnhof Jerusalem liegt in unmittelbarer Nähe der deutschen Kolonie Rephaim, um deren Gebäude, wie aus der Abbildung auf S. 385 ersichtlich ist, die Bahnlinie einen großen Bogen beschreibt.

Ob die deutschen Kolonien im Bunde mit der Bahn wirklich der Ausgangspunkt einer Neugestaltung Palästinas, einer Wiedergewinnung dieses weltgeschichtlichen Bodens für die höhere Kultur sein werden, wer will es heute sagen? Soviel aber ist sicher: unsere deutschen Landsleute haben doch den Beweis geliefert, daß aus dem Lande noch etwas zu machen ist, wenn nur Erfahrung, guter Wille und Thatkraft sich gesellen. Daß man diese drei Eigenschaften bei den türkischen Beherrschern des Landes selten vereinigt findet, das ist allerdings wahr. Und so wird wohl noch mancher Tropfen Wein auf Saronas Flur gekeltert werden, mancher Pfiff der Lokomotive das Thal von Rephaim durchhallen, bis das ganze Land aus Oede und Zerfall einer neuen Blüthe zugeführt sein wird. Sollte dieses Los ihm in der Zeiten Ferne beschieden sein, dann wird man auch der schwäbischen Pioniere mit Ehren gedenken, in denen sich religiöse Schwärmerei in so fruchtbare gemeinnützige Thätigkeit umsetzte.




Freie Bahn!
Roman von E. Werner.
(Schluß.)


Es war Nacht geworden, eine dunkle Sturmnacht mit schwer umwölktem Himmel. Die Odensberger Werke, die noch vor wenigen Stunden von wüstem Leben erfüllt waren, lagen jetzt still und verlassen da, Es hatte keiner besondere Maßregeln, nicht einmal einer Aufforderung bedurft, um die Arbeiter zu veranlassen, sich nach Hause zu begeben. Seit ihr Abgeordneter ihren Führer niederschlagen hatte und selbst unter dem Messer eines der Ihrigen gefallen war, hatte sich eine dumpfe Bestürzung der Leute bemächtigt. Sie empfanden alle die Schwere dieser Vorgänge, wenn sie sich auch deren volle Tragweite noch nicht klar machten. Fallner wurde scheu gemieden, und als es vollends bekannt wurde, daß Landsfeld, der sich in der That schon nach einer halben Stunde wieder erholte, zu Fuß Odensberg verlassen habe, da schlug die Stimmung der Odensberger vollständig um. Es wurden bittere Anklagen und Vorwürfe laut aber nicht gegen den, der da drüben im Herrenhaus mit dem Tode rang, die ganze Bitterkeit richtete sich gegen Landsfeld allein. –

Durch Nacht und Sturm kam eine einzelne hohe Gestalt und blieb vor dem Herrenhaus stehen, wo hinter mehreren Fenstern noch matter Lichtschein sichtbar war, in dem Gemach, wo Egbert unter der Obhut Cäciliens lag, in den Zimmern Dernburgs und Majas. Sie alle schliefen nicht in dieser Nacht. Der Mann, der so regungslos unten stand, wußte nichts von den letzten Ereignissen. Er hatte wohl auch das Lärmen aus den Werken gehört, als er den Rosensee verlassen, und er kannte auch die Befürchtungen, die man für heute abend hegte, aber was ging ihn jetzt noch Odensberg an, was das Leben überhaupt?

Oskar von Wildenrod war bereit zum letzten Gange. Er wußte, daß er seine Braut nicht mehr wiedersehen könne und dürfe, und doch zog es ihn mit unwiderstehlicher Sehnsucht noch einmal in ihre Nähe, zu der Stätte, wo das Einzige weilte, das er auf Erden wahrhaft geliebt. Er hatte es bewiesen, wenn auch erst in allerletzter Stunde. Die Rettung, die ihm in dieser Stunde geboten wurde, hatte er von sich gestoßen um Majas willen, und mit diesem Opfer fiel alles ab, was an seiner Liebe Berechnung gewesen war. Sie blieb das einzig reine Gefühl in einem befleckten verlorenen Leben, dessen Rechnung jetzt mit einer Kugel ausgeglichen werden sollte.

In der Erinnerung Wildenrods tauchte jener erste Abend auf, den er einst in Odensberg verlebt. Damals hatte er dort oben am Fenster gestanden, den Kopf voll von ehrgeizigen Plänen und im Herzen die erste aufkeimende Neigung zu dem lieblichen Kind, an dessen Hand der so heiß begehrte Reichthum hing. Damals hatte er sich gelobt, dereinst Herr und Gebieter dieser Arbeitswelt zu werden, er hatte im Vorgefühl seines Sieges stolz hinübergeblickt zu den Werken, wo aus den riesige Essen die Funkengarben aufgesprüht waren. Jetzt lag das alles in toter Ruhe, das rastlose Getriebe stand still, die Feuer waren erloschen.

Nur dort drüben, wo die Walzwerke lagen, dämmerte ein matter ungewisser Schein, der aber allmählich heller wurde. Oskar blickte erst gleichgültig, dann schärfer darauf hin. Jetzt verschwand das Leuchten, um gleich darauf wieder aufzutauchen, jetzt zuckte es hin und her, und dann auf einmal war es, als ob ein Blitz die Nacht zerreiße. Eine Flamme schoß jäh empor und in ihrem Scheine sah man, daß die ganze Umgebung von qualmenden Rauchwolken erfüllt war.

Wildenrod fuhr auf bei diesem Anblick, aber schon in der nächsten Minute stürzte er nach dem Hause und schlug gegen das Fenster der Pförtnerwohnung. „Feuer auf den Werken! Wecken Sie Herrn Dernburg! Ich eile voran!“

„Feuer in dieser Sturmnacht? Gott steh’ uns bei!“ rief die entsetzte Stimme des aus dem Schlaf geschreckten Mannes. Oskar hörte nicht darauf, er eilte nach den Werken hinüber, von wo der Brand jetzt immer deutlicher sichtbar wurde. Sonst waren dort, selbst in der Nacht, noch Hunderte thätig, heute waren nur die Aufseher zurückgeblieben und diese lagen im Schlafe.

Wildenrod kannte die Werke genau; er wandte sich zuerst nach dem Häuschen des alten Mertens, der, seit die Arbeiten in Radefeld zu Ende waren, hier einen Posten innehatte, und weckte auch ihn aus dem Schlafe. Es wurde Lärm geschlagen, in wenigen Minuten waren ein paar Dutzend Menschen versammelt, und jetzt ließ auch das Feuerhorn seine dumpfen heulenden Töne vernehmen. Odensberg hatte die vorzüglichsten Löschanstalten weit und breit, denn Dernburg hatte aus seiner Arbeiterschaft eine freiwillige Feuerwehr gebildet, die trefflich eingeübt war. Aber heute waren ja alle Bande der Ordnung gelöst, die Arbeiter befanden sich in ihren abgelegenen Wohnstätten, da war kaum Hilfe von ihnen zu erwarten.

Jetzt erschien Dernburg selbst, der noch einsam in seinem Arbeitszimmer gewacht hatte, als der Feuerruf ertönte, und gleichzeitig stürzte ein Theil der Beamten herbei, deren Wohnungen in der Nähe lagen, Wildenrod sah sich plötzlich dem Manne gegenüber, der ihm vor wenigen Stunden noch Sohnesrechte zugestanden hatte und dem inzwischen jene niederschmetternde Enthüllung geworden sein mußte. Auch Dernburg wich unwillkürlich zurück beim Anblick des Freiherrn, den er auf der Flucht und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_382.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)