Seite:Die Gartenlaube (1893) 376.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Der Oberst mochte sich im stillen sagen, daß der gerade und ehrliche und im langen Hofleben wettertüchtig gewordene Verstand der Obersthofmeisterin wahrscheinlich auf keiner falschen Fährte sei. Und wenn die Dame erst alles gewußt hätte! Von ihm, trotz des guten Zutrauens, das er ihr im ganzen schenkte, erfuhr sie nichts. Hinter seinen Lippen, die stets nur sagten, was sie wollten, ruhte das Geheimniß des schnöden Mittels, das man gebraucht hatte, um Polyxene ins Kloster zu locken, wie unter sieben Siegeln. Er war dem Ausgangspunkt der frevlen Anklage, das merkte er, jetzt dicht auf der Spur. Eine echt jesuitische Lüge war die Fassung gewesen, in welcher, wie er errathen konnte, das Fürchterliche des Mädchens Ohr erreicht hatte. „Ich soll den Lutz umgebracht haben,“ hatte sie in ihrer Verzweiflung ihrem wunderlichen Anhänger, dem alten Waldwart, verrathen. Das hieß so viel wie: alle Welt sagt es von mir; sie deuten aus allen Ecken mit Fingern auf mich. Das hatte man ihr vorgespiegelt. Daß es nicht so war, davon hatten die letzten Stunden ihn unwiderleglich überzeugt. Aber freilich nicht davon, daß es nicht so werden könnte. Und dann würde, auch das wußte er nun, das Gerücht den Weg, den er heute gekommen war, in umgekehrter Richtung nehmen. Aus den innersten Gemächern der Fürstin, an deren Schwelle er stand, hier hinaus ins Schloß. Von da in die adligen Häuser, zugleich aber auch, nun durch immer zahlreichere Kanäle sickernd, würde es dringen in den Gaden des Krämers, in die Werkstatt des Handwerkers und unter jedes Dach der Stadt. Und der Oberst sah in seinem Bereich kein Mittel, dies zu verhindern. Er war einsilbig, während ihm allerlei Möglichkeiten im Kopfe herumgingen, zu deren Mitwisserin er die ehrliche Obersthofmeisterin doch nicht machen konnte, und so erhob er sich jetzt.

„Ich wollte, ich hätte dem liebwerthen Herrn und Freunde bessern Trost geben können,“ sagte sie noch, „aber Ihr seid dafür hier an einem schlechten Ort. Wir sehen einander an und fragen, was will das werden? Und nun gar, seit der Oberjägermeister, der Herr von Nievern, sich einen langen Urlaub genommen hat, ist die Lanue dort“ – sie deutete mit dem Kopfe nach den Gemächern der Pfalzgräfin – „immer schlechter geworden. Er ging Knall und Fall nach jenem Jagdabenteuer, von dem ich dem Herrn vorhin berichtete. Die Biberen behauptet sogar: weil er Aergerniß an dem Verhalten unserer Hoheit gegen die arme Polyxene genommen! Aber die schwatzt mancherlei. Wäre es wahr, so hätte er dem armen Fräulein einen schlechten Dienst erwiesen.“

Hiernach verabschiedeten sich die beiden voneinander mit großer Würde. Und wie es manchmal geht: das Wort, das alle ihre übrigen theilnahmsvollen Reden aufwog, hatte die gute Dame achtlos und seine Bedeutung nicht ahnend zuguterletzt zwischen Thür und Angel noch fallen lassen.

(Fortsetzung folgt.)




Fortschritte der Elektrokultur.

Von C. Falkenhorst.

Mit beispielloser Schnelligkeit erringt die Elektricität Siege über Siege auf dem Gebiete der Technik. Elektrische Beleuchtung, elektrische Eisenbahnen, elektrische Schmelzöfen, elektrische Kraftübertragung – die Erfindungen jagen einander, und kaum haben wir uns mit dem Fernsprecher befreundet, so tritt ihm schon Elisa Grays Fernschreiber an die Seite, der von Geschäftsbureau zu Geschäftsbureau auf meilenweite Fernen briefliche Mittheilungen in kopietreuer Schrift, wahre Autographen tragen soll. Die Wunderkraft greift mit grenzenloser Gefügigkeit in die verschiedensten Gebiete menschlicher Thätigkeit ein. Sie bewegt Maschinen in allen Größen und Formen; aber man ist damit nicht zufrieden. Sie soll mehr leisten, soll mit ihren Schlägen und Strömen lebende Organismen durchdringen, soll die Pflanzen zwingen, daß sie rascher keimen und wachsen, schöner blühen und reichlichere Früchte tragen!

Man arbeitet seit lange an der Lösung dieser Aufgabe, und über die „Elektrokultur“, über die Anwendung der Elektricität zur Hebung des Pflanzenwachsthums, ist bereits eine umfangreiche Litteratur vorhanden. Aber die Erfolge sind auf diesem Gebiete nicht so augenfällig; die lebenden Wesen lassen sich nicht beliebig ordnen wie die Kohlenstäbe einer Lampe oder die eisernen Stangen einer Maschine; der „Elektro-Gärtner“ muß zuerst die Bedürfnisse der Pflanzen erforschen und ihnen die Elektricität anpassen, und da stößt er auf schwierige Fragen, die erst durch jahrelange Beobachtungen und Versuche gelöst werden können. Seine Bestrebungen sind jedoch nicht ganz aussichtslos, denn so weit man bis heute die mühevollen Arbeiten überblicken kann, erscheint die Hoffnung berechtigt, daß die Elektricität wirklich dereinst noch zur Füllung unserer Speicher beitragen werde.

Hat aber denn die Elektricität überhaupt einen Einfluß auf das Wachsthum der Pflanzen? Die Bauern, die eine eigene auf jahrtausendelanger Erfahrung aufgebaute Wissenschaft besitzen, haben diese Frage seit langem in bejahendem Sinne beantwortet, indem sie die Behauptung aufstellten, daß Gewitterregen besonders fruchtbar seien und nach Gewittern im Pflanzenleben ein kurzer, aber mächtiger Aufschwung zu bemerken sei. Die Naturforschung war in der Lage, diese Ansicht zu bestätigen. Schon im vorigen Jahrhundert zog Gardini in einem Turiner Klostergarten Metalldrähte über einige Pflanzenbeete, und da diese die atmosphärische Elektricität auffingen und ableiteten, so wurde sie den Pflanzen, die darunter wuchsen, entzogen. Die Folgen waren überraschend; unter den Drähten verkümmerten die Pflanzen sichtbar, erholten sich aber, wenn die Drähte entfernt wurden.

Vor fünfzehn Jahren wurden diese Versuche in ausgedehnterem Maße von Grandeau wiederholt; über die Pflanzen wurden weitmaschige Drahtnetze gespannt, während auf Nachbarbeeten Pflanzen derselben Art ohne diesen luftigen Panzer gezogen wurden. Da stellte sich heraus, daß die Entziehung der atmosphärsichen Elektricität die Gewächse sehr geschädigt hatte, denn sie lieferten 50 bis 60% weniger Früchte als die im Freien gezogenen und waren auch um 50 bis 70% im Wachsthum gegen die letzteren zurück geblieben. Versuche, die zur Probe von anderen Forschern angestellt wurden, bestätigten die Richtigkeit dieser Beobachtung.

Es besteht also in der That eine Wechselbeziehung zwischen der Elektricität und dem Gedeihen der Bäume, Kräuter und Gräser und es ist demnach möglich, daß dieses Gedeihen durch Zufuhr der wunderbaren Kraft erhöht werde; unsere Aufgabe besteht nun darin, diese Wechselbeziehung näher zu erforschen.

Der Gedanke der Elektrokultur ist nicht neu, nicht in unserer Zeit entstanden. Schon im Jahre 1746 führte Mombray in Edinburg zwei Myrthenstöckchen Elektricität zu und erzielte damit gute Erfolge. Seit jener Zeit wurden wiederholt ähnliche Versuche angestellt und in dem letzten Jahrzehnt sind sie überaus häufig geworden. Aus der Fülle der Thatsachen greifen wir nur diejenigen heraus, die einen wirklichen Erfolg darstellen, und wir erwähnen nur diejenigen Verfahren, die infolge ihrer Einfachheit und der verhältnißmäßig geringen Kosten, die sie verursachen, auch für einen weiteren Kreis unserer Landwirthe und Gärtner in Betracht kommen können.

Wir wenden uns zunächst der ersten und so überaus wichtigen Erscheinung des Pflanzenlebens zu, dem Keimen der Samen.

In den berühmten Gärten von Kew bei London setzte Spechnew verschiedene Sämereien der Einwirkung eines elektrischen Stromes aus, worauf sie ausgesät wurden. Zur Gegenprobe geschah dies gleichzeitig mit Samen derselben Art, die elekrisch nicht vorbehandelt waren. Der Erfolg war zufriedenstellend. Der elektrisch vorbehandelte Samen keimte früher aus und lieferte kräftigere Pflanzen; so keimten elektrisierter Roggen in 2 Tagen, nicht elektrisierter Kontrollroggen in 3 Tagen, elektrisierte Erbsen in 21/2 Tagen, Kontrollerbsen in 4 Tagen; elektrisierte Bohnen in 3 Tagen, Kontrollbohnen in 6 Tagen; elektrisierte Sonnenblumen in 81/2 Tagen, Kontrollsonnenblumen in 15 Tagen etc.

Paulin in Monbrison stellte eine Reihe von Versuchen mit Reibungselektricität an, die anscheinend noch bessere und sicherere Ergebnisse lieferten. Die Elektricität weckt in den Samen selbst die scheinbar schon verloren gegangene Keimkraft. Paulin arbeitete mit 20 Jahre alten Sämereien, die bei Anwendung der bisher üblichen Verfahren nicht aufgehen wollten, nach elektrischer Vorbehandlung aber sofort keimten. Samen ausländischer Pflanzen, wie z. B. Dattelkerne, keimen im gemäßigten Klima nur selten; als Paulin sie elektrisch behandelt hatte, gingen sie mit Leichtigkeit

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_376.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)