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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

frei für ein Geräusch, welches er während seines Nachsinnens sekundenlang äußerlich gehört aber innerlich doch nicht vernommen hatte. Es klang etwas mit feinem und zugleich scharfem Ton an den Scheiben, da – und da wieder, als wenn Hagelkörner vereinzelt aufschlügen. Nun stand er auf und öffnete ein Fenster. Unten vor ihm lag, an der Seitenwand des Hauses entlang, der Gemüsegarten der Crescenz, wo jetzt im Herbst alles ordnungslos ins Kraut geschossen war und Kohlstauden und Sträucher in der bewölkten Nacht nur in dunkeln Massen zu unterscheiden waren. Herr von Gouda, als alter Soldat, sonderte aber doch unter diesen Massen alsbald einen Schatten, unbeweglich wie die übrigen, aber von etwas größerer Form, heraus und ficierte ihn scharf: „Heda!“ rief er nach einer Weile, in der kein Laut gefallen war, mit gedämpfter Stimme hinab. Und richtig – einer der Sträucher schien lebendig zu werden und regte sich, und vernehmlich drangen jetzt die Worte: „Oeffnet die Hausthür –– Kundschaft vom Fräulein!“ zu dem Lauschenden empor.

Kurz darauf erschloß der Oberst in selbsteigener Person unten die Pforte. Alsbald regte es sich dicht neben ihm, hart am Thürpfosten; er wendete die Leuchte und blickte in ein verwittertes Gesicht, das er nicht kannte. Nach kurzem Besinnen und kaltblütigem Prüfen aber kamen von dem trockenen hagern Herrn, den nichts aus der Fassung brachte, die Worte: „Ha, vor Augen habe ich Euern Moosbart an die dreißig, vierzig Jahre nicht gehabt, aber Ihr müßt wohl der Strieger sein!“

„Viele sagen, den hätte der Teufel schon lange geholt,“ war die Entgegnung dessen, der sich dicht ans Haus in den Schatten drückte. „Ich möchte mit Euch reden, Herr von Gouda. Könnt Ihr das verdammte Flackerlicht nicht beiseite setzen, da hinter die Hausthüre, und zu mir heraustreten?“

„Kommt vielmehr in mein Gemach, Alter! Dort sprechen wir ungestört,“ sagte der Oberst.

„Ins Haus?“ Der Waldwart wich widerwillig zurück bei dem Vorschlag. Denn, seltsam zu sagen, in eines steinernen festen Hauses Wänden war der Greis seit mehr als einem Menschenalter nicht mehr gewesen, und ihn bannte davon eine Scheu, als ob die Mauern wie eine Falle sich hinter ihm zusammenschieben müßten, sobald er den Fuß hineinsetzte.

„Ja, ins Haus,“ wiederholte aber der Herr von Gouda ungerührt. „Ich bin kein halber Waldteufel mit schon gegerbtem Leder wie Ihr ... die Nachtkühle sagt mir nicht zu. Uebrigens – eines Edelmannes Wort darauf, daß ich selber Euch wieder hinauslasse, sobald Ihr wollt, was Ihr mir auch mitzutheilen haben möget!“

Die letztere Zusage war so überflüssig nicht für den mißtrauischen Alten vom Walde. Er sah dem Herrn von Gouda erst noch einmal scharf in das ernsthafte längliche Gesicht und folgte ihm dann, indem nun erst seine Gestalt in den Lichtkreis trat, die Treppen hinauf.

Sie hatten das Studierzimmer erreicht. Der Oberst hatte mit der ihm eigenen Bedächtigkeit die Leuchte so gestellt, daß in ihrem Bereiche kein beschriebenes oder bedrucktes Papier sich befand, und wendete sich nun zu dem Alten. „Jetzt sprecht, Strieger, hier hört uns niemand!“ mahnte er nicht unfreundlich. „Was hättet Ihr mir von wegen meiner Nichte zu sagen?“

Er hatte einige Geduld nöthig, denn der Waldmann, ob aus Ungeschick oder Vorsicht, blieb noch eine ganze Weile stumm und sah dabei aus, als könne man ebensogut von einer seiner knorrigen Eichen oder einem verwitterten Felsblock eine Auskunft erwarten wie von ihm. Dann lösten sich endlich die Worte, einzeln, ungefüg, manchmal anscheinend ohne Zusammenhang: „Es kam einer heute vom Galgenfelde über Keula her ... von dort oben hielt er Umschau. Denn er hatte ’was zu melden . . . von wegen daß eine Seele endlich des Leibes ledig geworden war, der es schon lange in selbigem nicht mehr behagte. Und sobald es dämmerte, gedachte er vollends hinabzusteigen, bis hierher. Unterwegs Red’ und Antwort geben mochte er keinem als nur der, die es anging. Und wie der die zwei Schwarzröcke auf der Landstraße herankriechen sah, gleich wie Spinnen, da setzte er sich hin, zog sein Messer und begann, sich aus einem Birkenstecken einen Löffel zu schnitzen, damit ihm die Zeit nicht lang würde, bis er wüßte, wo das Ding hinaus sollte. Wenn er aber wissen wollte, wozu die Kutsche mit den Klostergäulen so sacht hillter den Herren herfuhr und warum sie just hinter den Bäunlell bei der Herrenmühlen-Brücke hielt, so mußte er mit der Zeit sachte näher kommen. Und das wird er wohl gethan haben. Als er nun aber endlich wußte, warum er seit drei Stunden wartete, und auf zehn Schritt weit sah, wie das Fräulein mit den Herren in den Kasten stieg und davongeführt wurde, da gefiel ihm das schlechter als irgend etwas, was seine Augen seit vielen Jahren erblickt hatten.“

Als er diesmal stockte, ging der Oberst ein paar Schritte weit von ihm fort und kehrte zurück, wie in innerer Unruhe. „Ihr seid keiner von den Dummen, das merkt man,“ murmelte er. „Ich verhehle Euch nicht, daß auch mir nicht wohl ist bei der Sache, Aber wisset: sie ging freiwillig. Und gegen meinen Rath und Wunsch ging sie. Auf eine mir unbegreifliche Weise hatte der Jesuit sich ihres Sinnes bemächtigt. Sie erschien plötzlich verwandelt.“

Der Strieger nickte bedächtig. Dieser letztere Ausdruck für des Fräuleins verändertes Wesen sagte ihm zu. Dann aber meinte er: „Etwas mehr als Ihr, Herr Oberst, weiß der Strieger doch noch, aber nichts, was ihn oder Euch freuen kann. Wie es jener, von dem ich sprach, anfing, mit der Klosterkutsche gleichen Schritt zu halten, das ist seine Sache. Es waren nicht viele, die dem Fuhrwerk heute, da es auf den Abend ging, auf der Landstraße begegneten. Und wenn ein oder der andre neugierige Tropf sich nach der Fuhre umsah, so mag er gemeint haben, die frommen Herren hätten, ohne daß sie’s inne wären, hinten den Teufel aufgepackt und schleppten ihn mit, und hat drei Kreuze gemacht und ist nicht ferner stehen geblieben. Dann wurde es unter der Weile dunkel, und das war gut. Die Fahrt ging zum Hause der Ursulinerinnen, das hatte selbiger, von dem ich spreche, längst gemerkt. Wie das Hofthor aufgethan wurde und jener die vielen Riegel knarren hörte, da schien ihm in diese Rattenfalle mit Haut und Haaren hineinzufahren doch bedenklich. Denn wie, ich frage Euch, hätte er nachher wieder herauskommen sollen? Er ist noch leidlich gelenke“ – und hier krümmte der wunderliche Alte den rechten Arm im Ellbogen und das rechte Bein im Knie, um von der Beweglichkeit dieser Gliedmaßen eine Probe zu geben – „und etwas Glück war auch dabei. Er rafft Euch, wie er da so hinten am Wagen hängt, einen Stein vom Boden auf“ – und auch dies machte der Strieger durch Wiederholung begreiflich, indem er die Rechte wie schaufelnd nahe an den Dielen hinführte – „und wirft den zwischen Vorder- und Hinterrad. Und da nun die Kutsche zum Stehen kommt, unter dem finstern Thorwege, und die schwarzen Herren auf der einen Seite die Köpfe herausstecken, da öffnet er den Schlag auf der andern. Wie das nun kam, Herr, ist schwer zu erzählen . . . glaubt’s oder glaubt’s nicht, sie hatte mich gleich erkannt, das Fräulein, und wüßte, daß nicht viel Zeit war, wenn die Schwarzen nichts gewahren sollten. Da kriegt sie mich zu packen – unsereiner sieht auch in der Dunkelheit, wie eine Wildkatze; ich merke, daß sie eine Todesangst auf dem Leibe hat – und so kommt es heraus, ich hör’ es noch: ‚Strieger, ich soll den Lutz umgebracht haben und sie sperren mich ins Kloster, nur damit mir nichts Schlimmeres widerfährt, sagen sie.‘ Und dann noch, aber da hab’ ich die Worte nicht so behalten: wenn der junge Herr nicht wieder zum Vorschein käme, dann wäre ihr alles gleich, was man mit ihr anfinge. ‚Was sagt Euer Oheim dazu?‘ fragte ich, da mir vor Schrecken nichts anderes einfiel, Euch sei es verhehlt worden, weshalb man sie fortgebracht, sagte sie noch, und dann war’s aus. Ich duckte mich, wie Ihr denken könnt, sobald die Patres die Köpfe hereinzogen; indessen war mein Stein doch allgemach auf die Seite geschoben worden, und die Pferde zogen an. Da machte ich denn, daß ich zum Thore hinaus kam, am Pförtner vorbei, der mich jetzt erst gewahr wurde. Damit er die Neugier lassen sollte, hab’ ich ein weniges hinten ausgeschlagen nach ihm; ich will nicht wünschen, daß er seitdem ein paar Zähne weniger hat; er fing an, nach allen seinen Heiligen zu schreien. Und nun wißt Ihr, Herr, was der Pater dem Fräulein heute ins Ohr gesetzt hat.“

Da der Oberst nicht gleich sprach, fuhr er nach einigen Augenblicken fort: „Mir ist aber jetzund von dem vielen Reden die Kehle trocken geworden. Laßt mich einen Trunk thun, ehe ich mich davonhebe.“ Dabei sah er sich, bei allem Antheil an dem Lose Polyxenens, jetzt listig um. Wenn doch von irgendwoher der Wein zum Vorschein käme, den das Fräulein einmal in einem Krüglein zur Hütte der Siechen hinaufgebracht und der ihn dann geletzt hatte. Aber dieser Herr von Gouda sah selber so trocken aus, als ob er sich in seinem Leben die Lippen nicht zweimal genetzt habe –

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