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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Lassen wir das“, sagte Dernburg in demselben kalten Tone. „Wir sind jetzt nur noch politische Gegner, Herr Runeck. Als solche werden wir uns wohl bisweilen im öffentlichen Leben treffen, anderweitige Beziehungen aber giebt es nicht mehr zwischen uns. Wenn Sie mir wirklich noch Mittheilungen zu machen haben, so würde ich den schriftlichen Weg vorziehen. Da Sie jedoch einmal hier sind – was wünschen Sie von mir?“

„Ich konnte den schriftlichen Weg nicht wählen“, entgegnete Runeck fest. „Wenn mein Kommen Sie befremdet –“

„Durchaus nicht! Es wundert mich nur, daß Sie mich hier in meinem Arbeitszimmer aufsuchen. Ihr Platz ist doch wohl drüben auf den Werken, bei Ihren Wählern, die eben dabei sind, die Vorgänge des Wahltages zu wiederholen. Wollen Sie sich nicht an ihre Spitze stellen, um sie gegen mich zu führen? Ich bin bereit zu dem Gange!“

Man sah es dem jungen Ingenieur an, wie tief ihn diese grausamen Worte verwundeten, er war nicht mehr imstande, seine ruhige Haltung zu bewahren. „Herr Dernburg, nicht diesen Ton!“ fuhr er auf. „Schütten Sie Ihren ganzen Zorn über mich aus, ich will es tragen, aber sprechen Sie nicht in dieser Weise zu mir – eine solche Strafe habe ich nicht verdient.“

„Strafe? Ich dächte, Du wärest meiner Zucht entwachsen,“ sagte Dernburg, der jetzt wirklich den höhnischen Ton fallen ließ mit tiefer Bitterkeit. „Noch einmal, was willst Du hier? Mir vielleicht Deinen Schutz anbieten gegen die da drüben? Ihrem Abgeordneten werden sie ja wohl folgen auf den bloßen Wink. Ich danke Dir, ich werde allein mit ihnen fertig. Die Hälfte der Leute bereut den erzwungenen Beschluß, die Arbeit heute niederzulegen, und wird morgen wiederkommen. Aber ich verbiete ihnen die Arbeit, wenn sie sich nicht bedingungslos unterwerfen und sich lossagen von ihren Führern.“

„Herr Dernburg –“

„Das werden sie nicht wagen, meinst Du? Ich glaube es, Ihr haltet sie noch zu fest an der Kette. Gut, dann ist der Krieg offen erklärt. Sie haben mich erst zum äußersten gezwungen, jetzt will ich dies äußerste!“

Runeck schwieg einige Sekunden lang, dann sagte er mit düsterem Ernste: „Das ist ein schweres Wort!“

„Das weiß ich! Denkst Du, ich kenne nicht die Tragweite des Kommenden, wenn die Zehntausend meiner Werke wochenlang, vielleicht monatelang feiern? Die Leute werden ins Elend, in die Verzweiflung getrieben und ich muß das mit ansehen. Aber die Verantwortung dafür fällt auf Dich und Deinesgleichen, Ihr habt mir keine Wahl gelassen. Ein Menschenalter lang war Friede und Segen in Odensberg, und was ein Mann thun kann für seine Arbeiter, das habe ich gethan. Ihr habt die Zwietracht, den Haß hereingetragen, die Drachensaat ist aufgegangen, nun seht zu, wie Ihr mit der Ernte fertig werdet!“

Er wandte sich heftig ab und schritt einigemal durch das Zimmer. Dann blieb er vor dem jungen Ingenieur stehen, der finster und mit gesenkten Augen dastand, ohne zu antworten. „Du hast wohl Furcht bekommen vor den Geistern, die Du selbst gerufen, und möchtest jetzt den Vermittler spielen?“ fragte er mit herbem Spotte. „Du wärst der letzte, dem ich ein solches Recht zugestehe! Ich will überhaupt nichts von Vermittlung hören. Zwischen mir und den Odensbergern ist das Band zerrissen, wir haben hinfort nur noch als Feinde miteinander abzurechnen.“

„Ich kam nicht als Vermittler,“ sagte Egbert, sich emporrichtend. „Mein Kommen hat überhaupt mit dieser Angelegenheit nichts zu thun. Was mich herführt, ist eine peinvolle Pflicht, der ich mich nicht entziehen kann. Es betrifft den Freiherrn von Wildenrod, dem Sie Majas Hand zugesagt haben.“

Dernburg stutzte und sah ihn betroffen an. „Du weißt von dieser Verbindung? – Doch gleichviel, ich mache kein Geheimniß mehr daraus.“

„Und ich erfuhr es zum Glücke noch rechtzeitig, um dazwischenzutreten.“

„Willst Du Einspruch dagegen erheben?“ fragte Dernburg scharf. „Es gab eine Zeit, wo ich einen solchen Einspruch hätte gelten lassen, wo Dir der Weg zu Majas Hand und Herz offen stand – Du weißt, was ihn Dir verschloß. Du hast auch Deine Liebe Deiner ‚Ueberzeugung‘ geopfert wie alles andere.“

„Ich habe Maja nie geliebt,“ entgegnete Runeck fest. „Ich habe in ihr immer nur die Jugendgespielin, die Schwester Erichs gesehen und nie andere Gefühle als die eines Bruders für sie gehegt.“

Die Erklärung wurde mit einer solchen Bestimmtheit gegeben, daß ein Zweifel daran nicht möglich war. „Dann habe ich mich also auch hier geirrt,“ sagte Dernburg langsam. „Aber was geht Dich dann die Heirath meiner Tochter an?“

„Ich will Maja davor bewahren, die Beute eines – Schurken zu werden.“

„Egbert, bist Du von Sinnen?“ fuhr Dernburg auf. „Weißt Du, was Du sprichst? Diese unsinnige Anklage –“

„Werde ich beweisen. Ich hätte längst gesprochen, aber erst jetzt ist es mir gelungen, die Beweise zu erhalten, erst jetzt habe ich den Plan des Freiherrn erfahren, mit Majas Hand auch Odensberg an sich zu reißen. Jetzt muß ich reden und Sie müssen mich anhören.“

Dernburg war bleich geworden, aber noch wehrte er sich gegen das Unerhörte, das ihm undenkbar schien. „Ich werde sie vollgültig von Dir fordern, die Beweise,“ versetzte er drohend. „Und nun sprich, ich höre!“

„Freiherr von Wildenrod gilt hier für reich,“ hob Egbert in gedämpftem Ton an, „er besitzt jedoch nicht das Geringste. Er mußte vor zwölf Jahren die diplomatische Laufbahn verlassen, weil der Ruin seines Vaters ihn aller Mittel beraubte. Der alte Freiherr erschoß sich und die Familie dankte es nur ihrem alten Namen, daß der Landesfürst für sie eintrat. Er kaufte die Güter, die überschuldet waren, befriedigte die Gläubiger und zahlte der Witwe bis an ihr Lebensende eine kleine Pension. Der Sohn verließ Deutschland und blieb lange für seine Heimath verschollen.“

Dernburg hörte mit finster zusammengezogenen Brauen zu. Er hatte einst eine andere Auskunft empfangen, die freilich keine direkte Unwahrheit enthielt, aber doch das Entscheidende, den Ruin der Familie, verschwieg.

„Ich lernte Oskar von Wildenrod schon vor drei Jahren kennen,“ fuhr Runeck fort. „Es war in Berlin, im Hause einer Frau von Sarewski, einer reichen verwitweten Dame, die auf großem Fuße lebte. Ich gab ihren Kindern Zeichenunterricht, sah sie dabei öfter und entwarf auf ihren Wunsch für den geplanten Umbau ihrer Villa eine Skizze, die ihren Beifall fand. Sie wollte mir wohl ein Zeichen der Anerkennung geben, indem sie mich zu einer ihrer Abendgesellschaften einlud. Ich durfte das nicht ablehnen, denn ich war zur Fortsetzung meiner Studien auf den Zeichenunterricht angewiesen. Völlig fremd in dem großen Kreise, der mir nicht das mindeste Interesse abgewann, zog ich mich an jenem Abend in ein Nebenzimmer zurück, wo der Bruder der Dame des Hauses mit einigen Herren beim Spiele saß. Unter ihnen befand sich auch Freiherr von Wildenrod, der, wie ich aus dem Gespräch entnahm, seit drei Monaten in Berlin war und den ganzen Winter dort zubringen wollte. Er wurde beim Spiel auffallend vom Glücke begünstigt, während die anderen ebenso entschiedenes Unglück hatten. Der Bruder der Frau von Sarewski, ein leidenschaftlicher Spieler, trieb die Einsätze immer höher und gerieth in immer größere Verluste, während Wildenrod bereits ein kleines Vermögen gewonnen hatte. Mich widerte dies ganze Treiben an und ich war eben im Begriff, mich zu entfernen, als ein älterer Herr, ein Graf Almers, der sich gleichfalls unter den Mitspielern befand, plötzlich die Hand des Freiherrn packte, sie festhielt und ihn mit wuthbebender Stimme einen Falschspieler nannte.“

„Das hast Du selbst gesehen?“ fiel Dernburg heftig ein.

„Mit eigenen Augen! Ich war auch Zeuge dessen, was nun folgte. Die Herren sprangen auf, alles gerieth in Bewegung, das laute Hin- und Herreden rief noch andere Gäste herbei, auch Frau von Sarewski erschien. Sie bat und beschwor die Anwesenden, die Sache ruhen zu lassen und ihr Haus mit einem öffentlichen Skandal zu verschonen. Wildenrod spielte den Empörten, Tiefbeleidigten, er drohte, den Grafen zu fordern, benutzte aber diese Empörung als Vorwand, um sich schleunigst zu entfernen. Jetzt erklärte Graf Almers, er sei dem Betrüger schon seit längerer Zeit auf der Spur, habe aber erst heute Gelegenheit gefunden, ihn zu entlarven. Er bestand auf Verfolgung der Sache, da Wildenrod in den ersten Kreisen verkehre und man derartige Elemente rücksichtslos ausstoßen müsse. Den Bitten der Frau von Sarewski und den Vorstellungen ihres Bruders gelang es endlich, die Zeugen zum Schweigen zu bewegen, unter der Bedingung, daß Wildenrod zur sofortigen Abreise veranlaßt werde. Das war überflüssig; dieser dachte weder daran, den Grafen zu fordern, noch Rechenschaft zu geben. Am andern Morgen erfuhr man, daß er noch in der Nacht abgereist sei.“

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