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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

dergleichen je erhört gewesen? Was aber stürmte nicht seit einiger Zeit alles auf sie ein und zeigte ihr zunächst immer ein unverständliches, dann aber im Verlauf ein drohendes, ja fürchterliches Antlitz, von dem schonungslosen Angriff der Pfalzgräfin auf der Jagd an bis zu Lutzens unselig räthselhaftem Hinwegschwinden!

Das arme Kind saß verstummt da, mit langsam erblassendem Gesicht, während des Paters Gollermann glatte Stimme fortfuhr: „Einer noch größeren Gefahr aber, als sie die pestartige Berührung jenes unter dem Bannfluch dahinlebenden Weibes mit sich bringt, finden wir Euch preisgegeben, aus der Euch zu erretten die Kirche die ihr erlaubten Mittel anwenden muß. Wir wissen, daß Ihr in dem Besitz von Schriften seid, die das Seelenheil derer, so sie lesen, aufs äußerste gefährden. Sprecht offen, liebe Tochter: wie sind solche in Euere Hände gelangt? Und beruhigt die wohlmeinenden Herzen Euerer Freunde mit der Versicherung, daß Ihr den Inhalt derselben entweder nicht kennt oder aber völlig verwerfet!“

Die Rede auch des Paters Gollermann konnte sich – aber immer mit wohlgemessener rhetorischer Abstufung – zu einer gewissen Wärme christlichen Eifers steigern, und das war eben geschehen. Trotzdem sah ihn Polyxene jetzt wieder ruhiger an als zuvor. Was andere einschüchterte oder gefügig machte, das pflegte in ihr vielmehr eine Kraft des Widerstandes zu wecken. „Ihr habt in meinem Schlafgemach das Buch von der ‚Teutschen Theologie‘ gesehen,“ sagte sie jetzt stolz, ein wenig verächtlich sogar. „Dieses nur könnt Ihr meinen, denn andere geistliche Bücher, außer denen, welche wir zum Gottesdienst brauchen, besitze ich nicht.“

„Ein Buch, dessen Platz im Gemach einer der Kirche ergebenen Jungfrau nicht sein sollte,“ erwiderte darauf der Pater Gollermann und wiegte in mildem Bedauern das Haupt. „Ist dasselbe Euer Eigenthum?“

„Der Name meiner Mutter steht darin,“ sagte Polyxene kurz.

„Das Buch ist also seit langer Zeit hier im Hause?“ warf der geistliche Herr hin, indem er das Fräulein dabei mit einem raschen forschenden Blicke streifte. „Aber der Inhalt ist Euch doch wohl fremd geblieben, wenigstens bis vor kurzer Zeit? Hoffen wir, daß der Schaden heilbar ist, den diese allzu leicht mißverstandenen und daher gefährlichen Lehren bei Euch, meine Tochter, haben anrichten können.“

Es widerstrebte Polyxene, selbst diese Männer bei einer falschen Annahme zu lassen. Mochte die Wahrheit nun nützen oder schaden, sie wollte nicht den Schein auf sich laden, als habe sie dieselbe verhehlen wollen. „Ihr irrt, hochwürdiger Herr,“ begann sie daher, „wenn Ihr meint, das Buch sei von meiner Mutter als ein Erbstück auf mich übergegangen. Ich besitze es erst seit ganz kurzer Zeit.“ Und mit einiger Ueberwindung fuhr sie fort, da die beiden schwarzen Herren mit regungslosen Mienen wartend schwiegen: „Die kranke Frau Magdalena, nach welcher Ihr mich gefragt habt, hat dieses Buch von meiner lieben Mutter kurz vor deren Tod erhalten; sie gab mir es erst gestern, da sie ihren Tod stündlich erwartet. Und ich leugne es nicht – einen köstlichen Schatz glaubte ich daran nach Hause zu tragen!“ Ihre Augen strahlten den Herren, die vermieden, diesem Blicke zu begegnen, muthig ins Gesicht, während sie weiter sprach: „Wie hätte ich denken sollen, das, was meine gute fromme Mutter werth gehalten hat, könne von üblem Inhalt sein!“

„So habt Ihr Euch mit diesem Inhalte noch nicht bekannt gemacht?“ fragte Pater Gollermann, der in der Wechselrede immer nur einen beliebigen Theil aus den Worten des andern herausgriff.

„Ob ich in dem Buche gelesen habe, meint Ihr? Ja“ – Polyxene sah bei diesen Worten an ihren beiden Besuchern vorüber traurig ins Leere – „ja, jetzt, wo ich in großem Kummer lebe um meinen armen Vetter, jetzt dachte auch ich in dem alten Buche vielleicht Trost zu finden. Aber seine Lehren scheinen mir zu hoch und schwer. Alles hingeben können soll man da, jede Freude, jedes eigene Streben. Soll ich denn nicht mehr wünschen, hoffen, beten von ganzer Seele, daß mein armer Lutz wiederkehre, weil Gottes Wille mit ihm vielleicht ein andrer ist?“ Sie schüttelte den Kopf. „Das vermag ich nicht!“

Nichts hätte besser zeigen können, wie einsam und auf sich angewiesen Polyxene von Leyen war mit all ihren Zweifeln und ihrem innern Ringen, als dies kurze aus sich Herausgehen gerade diesen beiden Besuchern gegenüber. Aber es sollte ihr wenig frommen. Auf etwas anderes antworten, als auf das, was eigentlich gesagt worden ist, ist ja immer einer der Vortheile dialektischer Kunst gewesen. So meinte denn Pater Gollermann jetzt: „Wir finden Euch geneigt, liebe Tochter, Euch auf Irrwege zu verlieren, die Euch, wie schon viele zuvor, nur ins Verderben führen können. Ihr müßt angeleitet werden, den Trost in dieser Eurer zeitlichen Betrübniß da zu suchen, wo er für Euch zu finden ist, in eifriger Hingabe an die von der Kirche in ihrer Weisheit vorgeschriebenen Uebungen. Aber ohne Leitung, wie gesagt, würdet Ihr Euch schwer zurecht finden. Entschließt Euch, zu diesem Behuf Aufenthalt zu nehmen an einem Orte, zu dem keine weltliche Störung dringt und an dem geistlicher Beistand Euch im nöthigen Maße stets zur Hand sein wird. Die Frau Aebtissin von St. Ursula, im vormaligen Stande, wie Euch bekannt sein wird, eine Gräfin Degenfeld, ist bereit, Euch im Konvent aufzunehmen und gebührend zu halten . . .“

Selbst er hemmte hier den unausweichlichen Oelstrom seiner Rede, betroffen, was ihm selten begegnete, durch die Art, wie seine letzten Worte von dem Fräulein aufgenommen wurden. Nicht daß sie Befremden, Angst, Widerwillen gezeigt hätte – nichts von dem allem! Sie hob vielmehr nur ganz ruhig, leicht abwehrend, die schlanke Hand, mit einem schattenhaften Lächeln sogar, das eine höfliche Bitte um Entschuldigung dieser Ablehnung bedeutete. „Das kann nicht sein, hochwürdiger Herr,“ sagte sie einfach und arglos. „Wie könnte ich den Oheim, meinen Herrn Vormund mein’ ich, so ganz allein lassen?“

Der Herr Dekan Zindler konnte nicht umhin, hier auf seinem Stuhle zu rücken, den Blick des Paters Gollermann zu suchen um ihn gleichsam mit dem seinigen hinüber zu leiten nach dem Fenster hin und hinaus, wo die Klostergäule hinter dem Gebüsch an der Landstraße eine selbst für ihre Geduld nachgerade harte Probe zu bestehen hatten. Pater Gollermann vermied zwar das Auge seines Amtsbruders, beantwortete aber die stumme Aufforderung desselben durch einen etwas energischeren Schritt.

„Ihr mahnt mit Recht daran, Fräulein, daß hier auch dem Herrn Obersten von Gouda eine Stimme gebührt. Es wird nunmehr Zeit sein, auch Euern Vormund mit unserm Auftrage bekannt zu machen. Darf ich bitten, daß er uns die Ehre seiner Gegenwart schenke?“

„Gewiß; ich gehe, ihn zu rufen,“ sagte Polyxene hastig. Daß der geistliche Herr von einem Auftrage sprach, den er habe und dessen jetzt erst Erwähnung geschah, gab ihr eine beklemmende Empfindung. Wenn sie an ihrem Vormunde nur etwas mehr Halt und Trost gehabt hätte! Aber er lebte fast in einer andern Welt, von welcher aus er nur ungern und gezwungen seiner wirklichen Umgebung ein halbes Ohr lieh. Auch jetzt mußte sie ihn seinen Berechnungen entreißen, und mit geringer Gunst gegen den geistlichen Besuch hörte er, daß dieser die Ursache der Störung sei.

„Was wollen sie schon wieder?“ krähte er heraus, und dann, scharfsinnig genug für einen Bücherwurm: „Ich fürchte, Nichte, sie haben es mit Euch vor! Neulich glaubte ich schon die tastenden Spinnenbeine zu merken, mit denen sie ein Netz um Euch ziehen wollten!“ Damit ging er ihr raschen Schrittes voran nach dem Speisesaal, wo die Herren saßen.

„Mit mir?“ murmelte Polyxene nur, indem sie ihm folgte. Jetzt lag die Ahnung neuen Unheils schon schwer auf ihr.

Und nun traten sie bei den geistlichen Herren ein; die Unterredung begann nach umständlich höflichen Begrüßungen, und bald bemühte sich Polyxene vergebens, trotzdem von ihr die Rede war, den gewundenen Reden des Paters Gollermann zu folgen, der auch jetzt wieder ihrem Oheim gegenüber das Wort führte. Da wurde von Dingen gesprochen, die für sie nur leere Namen waren, von gefährlicher Absonderung von der Kirche, von dem schädlichen Leben und Lehren eines längst verstorbenen holländischen Professors und Bischofs Jansenius, von Quietismus und dergleichen – alles ein unverständlicher Schall für sie. Das ging so eine Weile und hörte sich wie eine anmuthige und gelehrte theologische Erörterung an oder war auch einem kunstreichen Festspiele zu vergleichen, bei welchem der Oberst mit seinem mannigfachen Wissen und in seiner unerschütterlichen Trockenheit sogar einem Pater Gollermann gewachsen war. Mit einem Male aber, man wußte nicht recht wie, war diesem unterhaltsamen und spielenden Kreuzen der Klingen zwischen den beiden Herren ein Ende bereitet; der geistliche Herr mochte es an der Zeit halten, nun zum Ernst zu gelangen.

Er erklärte, noch immer freilich in den höflichsten und mäßigsten Ausdrücken, daß Seine bischöflichen Gnaden von Trier ihn mit dem Auftrag belegt hätten, in birkenfeldischen Landen der Ausbreitung der vorgenannten gefährlichen Meinungen zu steuern, mit Mitteln, die er selber für gut halte, und gegen allzu

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