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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

lange wird es nicht dauern,“ sagte er zuversichtlich. „In Ihren Händen liegt die Macht, und den Odensbergern kann es nicht schaden, wenn ihnen das endlich einmal fühlbar gemacht wird. Dieses Gesindel, das Sie ohne weiteres im Stiche ließ, um dem ersten besten Hetzer nachzulaufen! Eine solche Bande –“

„Oskar, Sie sprechen von meinen Arbeitern!“ unterbrach ihn Dernburg finster.

„Jawohl von Ihren Arbeitern, die Ihnen am Wahltag in so rührender Weise Ihre Anhänglichkeit gezeigt haben! Ich kann es Ihnen nachfühlen, was damals in Ihrer Seele vorging.“

„Nein, Oskar, das können Sie nicht,“ sagte Dernburg mit düsterem Ernste. „Sie sind als ein Fremder nach Odensberg gekommen, für Sie ist Ihre künftige Stellung hier nur eine Machtfrage. Vielleicht wird sie es in Zukunft auch für mich sein müssen, aber sonst war das anders. Ich stand an der Spitze meiner Arbeiter, und alles, was ich that, geschah mit ihnen und für sie, und wie jeder in Noth und Gefahr auf mich rechnen konnte, so glaubte ich auf jeden rechnen zu können. Das ist jetzt vorbei! Thor, der ich war! Sie wollen keinen Frieden, sie wollen den Krieg!“

„Ja, sie wollen ihn,“ fiel Wildenrod ein, „und sie sollen uns bereit finden! Wir werden dies rebellische Odensberg schon niederzwingen.“

„O gewiß, wir werden siegen,“ rief Dernburg mit tiefster Bitterkeit aus. „Ich werde meine Arbeiter zur Unterwerfung zwingen und sie werden unterliegen mit Haß und Wuth im Herzen, mit Haß gegen mich! Jeder scheinbare Ausgleich wird nur ein Waffenstillstand sein, in dem sie neue Kräfte sammeln, um wieder gegen mich anzustürmen, und dann werde ich sie von neuem niederwerfen müssen, und so wird das weiter und weiter gehen, bis eine Partei vernichtet ist. Ein solches Leben kann ich nicht ertragen!“

Er wandte sich mit einer heftigen Bewegung vom Fenster ab, wie wenn er nichts mehr von seinen Werken drüben sehen wollte, und seine Stimme hatte einen müden Klang, als er fortfuhr: „Ich habe immer geglaubt, ich würde die Zügel der Herrschaft in Odensberg bis zu meinem Tode festhalten, seit acht Tagen denke ich anders darüber. Wer weiß, Oskar, ob ich die Leitung nicht schon bald in Ihre Hände lege. Sie sind in der Zeit, der wir entgegengehen, vielleicht besser am Platze als ich.“

„Mein Gott, welche Anwandlung!“ rief Wildenrod bestürzt und doch zugleich geblendet von der ungeahnten Aussicht, die sich ihm eröffnete. „Sie denken doch nicht im Ernste daran, zurückzutreten?“

„Für jetzt – nein!“ sagte Dernburg, sich hoch aufrichtend. „Ich bin noch nie einem Kampfe ausgewichen, der mir aufgedrängt wurde, ich werde auch diesen durchfechten.“

„Und dabei rechnen Sie ganz auf mich!“ sagte Oskar, ihm die Hand bietend. „Aber noch eins! Der Direktor scheint zu fürchten, daß es heute da drüben auf den Werken bei der Lohnzahlung und Verabschiedung Unruhen geben könnte. Die nöthigen Maßregeln sind zwar getroffen, dennoch stelle ich mich zur Verfügung, wenn die Autorität der Beamten nicht ausreichen sollte. Sie selbst dürfen nicht persönlich eingreifen, Sie sind es sich und Ihrer Stellung schuldig, sich nicht wörtlichen, vielleicht sogar thätlichen Beleidigungen auszusetzen. Ueberlassen Sie das mir!“

Um Dernburgs Lippen spielte ein unendlich bitteres Lächeln, aber er machte eine abwehrende Bewegung. „Ich danke Ihnen, Oskar. An Ihrem Muthe habe ich nie gezweifelt, doch bei solchen Gelegenheiten lasse ich keinen anderen an meine Stelle treten. Aber an meiner Seite sollen Sie bleiben. Man soll sehen und wissen, daß ich Ihnen die Rechte eines Sohnes zugestehe, ich mache kein Geheimniß mehr daraus.“

Die beiden Männer wechselten noch einen Händedruck, dann ging Wildenrod. Im Vorzimmer trat einer der Diener an ihn heran und meldete: „Auf dem Schreibtisch des Herrn Baron liegt ein Brief aus Schloß Eckardstein, der vor einer halben Stunde gekommen ist. Wir wagten nicht zu stören, der Bote sollte auch nicht auf Antwort warten.“

„Es ist gut!“ sagte der Freiherr zerstreut. Er hatte jetzt andere Dinge im Kopfe, ihn beschäftigte jene Aeußerung, die vorhin gefallen war, die Andeutung Dernburgs, daß er möglicherweise schon bald die Leitung von Odensberg niederlegen werde. War das nur eine Aufwallung des Unmuthes gewesen, eine flüchtige Laune, die man nicht ernst nehmen durfte? Nein, der Mann war in tiefster Seele verwundet – wenn er wirklich zu einem dauernden Kampfe mit seinen Arbeitern gezwungen wurde, war es wahrscheinlich, ja gewiß, daß er jenen Gedanken zur That werden ließ … und an seine Stelle trat Oskar von Wildenrod. So nahe sollte das heiß erstrittene Ziel liegen? Oskars Augen blitzten. O, er würde keine sentimentalen Anwandlungen haben wie sein künftiger Schwiegervater – dies Odensberg sollte den neuen Herrn kennenlernen, das gelobte er sich.

Erst als er in sein Zimmer trat und den Brief auf dem Schreibtisch liegen sah, fiel ihm die Meldung des Dieners wieder ein und er nahm mit einigem Befremden das Schreiben zur Hand. Von Schloß Eckardstein? Was konnte man ihm denn von dort mittheilen? Der neue Majoratsherr wußte oder ahnte doch zweifellos, wer seiner Bewerbung um Maja im Wege gestanden hatte, und machte sicher nicht den Versuch zu einer nachbarlichen Annäherung.

Oskar erbrach den Brief, überflog die ersten Zeilen und stutzte. Hastig wandte er das Blatt um, sah nach der Unterschrift und erbleichte. „Friedrich von Stetten!“ murmelte er. „Welch böser Geist führt den nach Eckardstein und was will er von mir?“

Er begann zu lesen. „Es ist eine sehr ernste und sehr peinliche Angelegenheit, die ich mit Ihnen erörtern muß,“ schrieb Herr von Stetten. „Ich habe lange geschwankt, in welcher Form das geschehen soll, und habe schließlich die mildeste gewählt, denn ich kann die Freundschaft nicht vergessen, die mich mit Ihrem Vater verbunden hat. So sage ich Ihnen denn nur, ich kenne Ihre Vergangenheit, von dem Augenblick an, wo Sie Deutschland verließen, bis zu Ihrem letzten Aufenthalt in Nizza. Als wir uns dort unvermuthet wieder trafen, habe ich mir – gleichviel, auf welche Weise – diese Kenntniß verschafft. Unter solchen Umständen werden Sie es wohl begreifen, wenn ich Sie auffordere, den Platz zu räumen, den Sie gegenwärtig in Odensberg einnehmen. Man sagt, Sie seien der Verlobte der Tochter des Hauses; Sie selbst wissen aber am besten, daß Sie das Recht verwirkt haben, ein junges reines Wesen an Ihr Leben zu ketten. Es wäre ein Verbrechen gegen Herrn Dernburg und seine Familie, wenn ich das geschehen ließe, ohne ihm die Augen zu öffnen. Ersparen Sie mir die bittere Nothwendigkeit, als Ihr Ankläger auftreten zu müssen, verlassen Sie Odensberg! Ein Vorwand für Ihre Abreise wird sich finden – es ist dann Ihre Sache, wie Sie aus der Ferne Ihre Beziehungen zu der Familie lösen wollen. Ich gebe Ihnen acht Tage Frist, sind Sie alsdann noch in Odensberg, so muß ich sprechen und Dernburg erfährt die Wahrheit! Ich lasse Ihnen Zeit zum Rückzug, es ist das Einzige, was ich noch für den Sohn eines ehemaligen Freundes thun kann.
 Friedrich von Stetten.“

Oskar ließ den Brief sinken. Er kannte den ernsten besonnenen Stetten von den Besuchen im väterlichen Hause her. Der gab sich nicht mit leeren Drohungen ab; wurde der von ihm verlangte Rückzug verweigert, so that er ohne Zögern, was er für seine Pflicht hielt, und dann – dann war alles verloren!

Oskar sprang auf und schritt stürmisch im Zimmer auf und nieder. Gerade jetzt, wo er schon die Hand ausstreckte nach dem höchsten Preise, kam der vernichtende Schlag. Aber die jäh hereinbrechende Gefahr rief auch seine ganze Entschlossenheit und Tollkühnheit wach. Er sollte weichen, sollte Odensberg, als dessen unumschränkten Herrn er sich eben noch gefühlt, in feiger heimlicher Flucht den Rücken kehren? Nimmermehr!

Acht Tage ließ man ihm Zeit, das war eine lange Frist, was konnte da nicht alles geschehen! Er hatte so oft schon am Abgrund gestanden, wo der Sturz unausbleiblich schien, und immer hatte ihn irgend ein verwegener Entschluß oder ein unerhörter Glücksfall gerettet, jetzt galt es, aufs neue dies Glück zu erproben. In dem wilden Wirbel der Gedanken und Pläne, die durch sein Inneres stürmten, stand nur eines klar und deutlich vor ihm: er mußte sich Majas versichern, um jeden Preis, mußte sie so fest an sich ketten, daß keine Macht der Erde, auch die des Vaters nicht, sie von ihm losreißen konnte. Sie war der Schild, der ihn gegen jeden Angriff deckte, sie, deren ganze Seele er an sich gerissen hatte, deren ganzes Denken und Fühlen ihm gehörte – diese Liebe sollte seine Rettung werden.

Oskar nahm den Brief wieder auf und las ihn nochmals von Anfang bis zu Ende, dann zerknitterte er ihn und warf ihn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_338.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)