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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

wird, Inschriften und Verzierungen aller Art von den geübtesten Steinmetzen an den Steinen angebracht.

Von den einzelnen Werkstätten, die wir soeben aufgesucht haben, laufen Schienengeleise zu dem Werkhof, der sozusagen das Herz der ganzen Anlage bildet und stets ein Bild regster Thätigkeit bietet. Hier mündet auch das Geleise, welches die Syenit- und Granitwerke mit der Bahnstation verbindet, hier steht der mächtige Fahrkrahn, mit dessen Hilfe die Eisenbahnwagen von den ankommenden italienischen oder schwedischen Blöcken entlastet oder mit den Kunstleistungen der Anstalt beladen werden. Unsere Abbildung auf Seite 329 zeigt uns den Werkhof des Syenitwerkes zu Bensheim mit der Fülle von Blöcken, Platten und Säulen. Im Vordergrunde wird gerade zur Probe der Sockel für das Denkmal Alfred Krupps zusammengestellt, welches ihm von seinen Beamten und Arbeitern errichtet und im vorigen Herbste zu Essen enthüllt worden ist. Die in Bronze gegossene Figur des Schmiedes, die auf der einen Seite des Postamentes sitzt, stellt die „Arbeit“ dar und wurde von dem Bildhauer J. Menges in München modelliert. Die andere Figur, welche die gegenüberliegende Seite schmücken soll, auf dem Bilde aber noch daneben liegt, ist eine Versinnbildlichung der „Humanität“ und eine Schöpfung des Bildhauers A. Mayer in München.

Die Granit- und Syenitwerke Bensheim beschäftigen noch andere Werkstätten, so die mit Wasserkraft betriebenen Anlagen in dem nahen Heppenheim und das Werk Friedenfels im Fichtelgebirge. Die Erzeugnisse dieser rasch zur Blüthe gekommenen Industrie sind heute über ganz Deutschland und weit über dessen Grenzen hinaus verbreitet; viele Prachtbauten zeigen Bensheimer Säulen und Quadern. Die Kaiser Wilhelms-Brücke in Berlin ist mit Felsberger Granit verkleidet, und zahlreiche Postamente zu berühmten Denkmälern der Neuzeit entstammen denselben Werken. So stehen die Denkmäler Huttens und Sickingens auf der Ebernburg, Schneckenburgers in Tuttlingen, Abts in Braunschweig, Bismarcks und Moltkes in Stuttgart auf Felssockeln, welche von den regen Werkstätten des Odenwaldes geliefert wurden.

Wie eigenartig ist diese auf den verschollenen Trümmern römischer Kunstfertigkeit aufgeblühte deutsche Industrie! Möge es ihr auch ferner gelingen, aus dem edlen Gestein kunstvolle Bildungen zu formen und neben den fremden auch den deutschen Steinen den ehrenvollen Platz zu verschaffen, der ihnen gebührt.




Ein Jahrhundert Turngeschichte.

Es war am Abend des 1. Juni 1785, als in die seit kurzem eröffnete Salzmannsche Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal ein junger Theologe aus Quedlinburg kam. Er hatte zwei Zöglinge bei sich, einen sechs- und einen zehnjährigen Knaben, die er in der Anstalt unterbringen sollte – und wie er nun so dem Leiter derselben, dem vielverehrten Meister der Erziehungskunst Christian Gotthilf Salzmann, gegenüberstand, da knüpfte sich rasch und unsichtbar ein Band zwischen den beiden Männern, das sich im Leben nicht mehr lösen sollte. Die gleichen Seelen schlossen sich voreinander auf, aneinander an, der geweckte geistige Ausdruck der beiden Jungen trug das Seinige dazu bei – kurz, das Ende vom Liede war, daß Salzmann den jungen Hauslehrer aufforderte, bei ihm zu bleiben und sein Gehilfe zu werden. Und so geschah es auch.

Der Quedlinburger Theologe war Johann Christoph Friedrich GutsMuths, damals ein 26jähriger Mann, denn er theilte sein Geburtsjahr mit Friedrich Schiller; und seine zwei Schutzbefohlenen waren Söhne des Leibarztes der Aebtissin von Quedlinburg, Dr. Friedr. Wilh. Ritter; Johannes hieß der ältere, Karl der jüngere, und dieser letztere war kein anderer als der später so berühmt gewordene Geograph.

Vierundfünfzig Jahre hat nun GutsMuths an der Schnepfenthaler Anstalt gewirkt, durch seine Vermählung mit einer Nichte des Begründers bald noch enger mit ihr verknüpft. Und neben verschiedenen anderen Unterrichtsfächern, unter denen die Geographie einen bevorzugten Platz einnahm, war es insbesondere die Leitung der Leibesübungen, die GutsMuths oblag.

Den Werth der Leibesübungen für die Erhaltung des Gleichgewichts zwischen Körper und Geist hatten manche Reformatoren des Unterrichts in damaliger Zeit wohl erkannt. Auf den „Philanthropinen“ zu Marschlins, Heidesheim und Dessau waren einzelne Uebungen in den Lehrplan aufgenommen, und die Dessauer Anregungen Basedows lebten in Salzmann weiter. Der erste aber, der mit methodischer strenge und Gründlichkeit das Turnen gleichsam in ein System brachte, das war GutsMuths, und nach achtjähriger Arbeit auf dem eichenbeschatteten Turnplatze von Schnepfenthal veröffentlichte er 1793 das erste deutsche Turnbuch. „Gymnastik für die Jugend. Enthaltend eine praktische Anweisung zu Leibesübungen. Ein Beitrag zur nöthigsten Verbesserung der körperlichen Erziehung, von GutsMuths, Erzieher zu Schnepfenthal“ – so lautete der nach alter Sitte etwas umständliche Titel, vorgedruckt aber war dem Buche das Motto:

„Ihr lehrt Religion, ihr lehrt sie Bürgerpflicht,
Auf ihres Körpers Wohl und Bildung seht ihr nicht!“

Hundert Jahre sind seitdem dahingegangen, gewaltige Stürme haben die Welt durchfegt, mächtige Fortschritte auf allen Gebieten des Wissens und Könnens sind zu verzeichnen – und doch ist fast alles das, was GutsMuths von dem Einzelnen, vom Hause, von der Schule verlangte, noch heute wahr und richtig; allein nur zum kleinsten Theil ist es in den Codex unseres erziehlichen Lebens übergegangen, noch harrt das Meiste der Erfüllung, und es bedarf der Mitarbeit aller ernsten Jünglinge und Männer, wenn wirklich das Ziel erreicht werden soll, welches GutsMuths anstrebte, daß in den breiten Massen unseres Volkes „eine gesunde Seele im gesunden Körper“ wohne.

Das Buch von GutsMuths hat seinerzeit eine mächtige Wirkung ausgeübt – es traf den wunden Fleck in der Erziehung der Jugend, und Schnepfenthal wurde der Wallfahrtsort für alle, die Herz und Sinn für eine Besserung hatten. Wie es oft im Leben geschieht, fand der Prophet die meiste Anerkennung zuerst außerhalb des Vaterlandes. In Dänemark wurden von Staats wegen seine Ideen in die Schulen eingeführt, und die frühzeitige Entwicklung der leiblichen Uebungen in Schweden ist ebenfalls auf GutsMuths’ Anregung zurückzuführen. 1796 schrieb GutsMuths zur Ergänzung seines ersten Werkes „Spiele zur Uebung und Erholung des Körpers und Geistes, für die Jugend, ihre Erzieher und alle Freunde unschuldiger Jugendfreuden“, ein „Lehrbuch der Schwimmkunst“ folgte 1798, und 1804 erschien, ganz umgearbeitet und bedeutend erweitert, die zweite Auflage der „Gymnastik für die Jugend“.

Noch aber fehlte der starke Geist, der es verstand, die Lehren der alten Griechengymnastik und die Anregung, welche von GutsMuths ausging, der Gesamtheit des deutschen Volkes zu vermitteln. Und dieser starke Geist war Friedrich Ludwig Jahn. „Was mir unmöglich wurde,“ schreibt GutsMuths, „gelang späterhin dem kräftigen Jahn. Er trug 1810 die wiedererweckte Gymnastik nach Berlin – dem Wackeren fügte sich die glückliche Stunde, ihm gebührt das große Verdienst der unmittelbaren Einführung der gymnastischen Uebungen, denen er den Namen Turnübungen gab, in die (damals) zweite Stadt des deutschen Landes und eben dadurch in viele andere Orte.“ 1811 eröffnete Jahn den Turnplatz in der Hasenhaide bei Berlin – in der Zeit der tiefsten, schier hoffnungslosen Erniedrigung des deutschen Volkes, unter der Faust des Korsen wollte er ein neues starkes Geschlecht heranziehen helfen zur Befreiung des Vaterlandes! Ernst und Zucht im Bunde mit feuriger Begeisterung herrschten auf dem Turnplatz, von dem die Jünger hinauszogen ins Land, allenthalben neue Turnstätten zu gründen. Und als die Stunde der Erhebung kam, als Friedrich Wilhelm III. sein Volk aufrief, da zog von den Turnern mit ins Feld, was nur die Wehre tragen konnte. Unter allen ragt Jahns treuer Arbeitsgenosse Friedrich Friesen aus Magdeburg hervor, „ihn hätte,“ schreibt Jahn, „im Kampfe keines Sterblichen Klinge gefällt, von welscher Tücke fiel er bei düsterer Winternacht durch Meuchelschuß in den Ardennen“. Auf Jahns Zureden und auf Verlangen der Aerzte blieb Ernst Eiselen mit schwerem Herzen als Leiter der Turnsache in Berlin zurück – mit ihm gab Jahn 1816 „Die deutsche Turnkunst“ heraus, die das ganze Gebiet der Leibesübungen, zum ersten Male auch Reck

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_334.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)