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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


der hochwürdige Herr in Betreff des Fräuleins so zu Werke, wie er es für gut hält. Gelegentlich wünsche ich von dem Fortgang der Sache unterrichtet zu werden.“ Damit war dem Pater das Ende der Audienz angedeutet, und er nahm nunmehr ziemlich rasch seine Entlassung, ehe etwa die Dame noch einmal anderen Sinnes würde.

Auch Frau von Méninville hätte sich gern zurückgezogen. Es war für jetzt alles erreicht, was irgend zu hoffen gewesen; von einer weiteren Erörterung dieser Angelegenheiten war nichts mehr zu erwarten, im Gegentheil. Nun schien zwar die Pfalzgräfin nach des Paters Abgang nicht mehr zum Reden geneigt über den Gegenstand des eben gepflogenen Gespräches, ebensowenig aber eilte sie damit, Frau von Méninville fortzuschicken. Und sie machte sich dieser Dame die nächste Viertelstunde lang so unangenehm, daß dieselbe für all ihren Vorrath von christlicher Geduld reichliche Verwendung fand.

Der Hof des Syenitwerks zu Bensheim im Odenwalde.
Nach einer photographischen Aufnahme.

Es fiel der Pfalzgräfin nämlich plötzlich ein, von dem Fortschritt der weitläufigen Stickerei an der Altardecke sich eine Anschauung verschaffen zu wollen. Und so mußten die schon vollendeten Ecken, welche der Schonung wegen zusammengeschlagen und vernäht waren, losgetrennt und aufgerollt werden, was an sich schon Mühe machte, ganz besonders aber die weit größere der Herstellung des alten Zustandes veranlassen würde. Nun, im Herrendienst lernt Geduld, auch wer sie sonst nicht zu üben versteht, und Geduld und die Kunst des Abwartens war immer eine der Tugenden dieser lieben Seele, der Méninville, gewesen. Aber auch ihr reicher Vorrath an dieser nützlichen Eigenschaft wollte nicht mehr vorhalten, wie sie jetzt auf den Knien im ganzen Zimmer herumrutschen mußte, um bald hier bald da ein Stück des aus dem Fußboden ausgebreiteten steifen und schweren Gewebes der Pfalzgräfin ins richtige Licht zu halten, so lange, bis ihr die Arme sinken wollten, während Frau Sabine Eleonore kritische Bemerkungen machte, wie etwa: „Die Knospe hier, deucht mich, sollte noch mehr hervortreten; die überarbeiten Sie noch einmal, liebe Méninville! Machen Sie sich ein Zeichen daran – ziehen Sie ein rothes Fädchen daneben hinein. Diese? Nein, die andere meinte ich; hier muß das Zeichen hin! So; entfernen Sie aber das andere, damit Sie nicht irre werden ... O je, was haben wir da gemacht! Sehen Sie doch selber, fällt Ihnen nichts auf? Der Faden läuft ja bei der Lilie hier durchweg verkehrt! Nein, das verschimpfiert das ganze Muster; das trennen Sie doch gleich morgen wieder heraus! – Was meinen Sie, ließe nicht hier eine Wiederholung des zackigen Blattes besser als dieses mit dem rnnden Rande? Es sieht plump aus, dünkt mich. Das ändern Sie auch wohl ab!“ Und nun, drei Schritte weiter, eine ähnliche Ausstellung – drei Schritte, welche die fürstliche Dame stattlich und aufrecht dahinsegelte, welche die Méninville aber auf den Knien entlang rutschen mußte, dabei mühsam auf den erhobenen flachen Händen das spreizige Gewebe den fürstlichen Prüfungsblicken entgegenhaltend. Während dies alles vor sich ging, da waren ihre Gefühle gegen die Pfälzerin wie gegen dieses gottgefällige Werk ihrer eigenen Hände so ziemlich die gleichen und nicht gerade die erbaulichsten.

Und wer weiß, ob die Pfalzgräfin ganz so harmlos war, wie sie aussah, bei dieser Feuerprobe, welche sie der christlichen Demuth ihrer lieben Méninville verordnete. Als diese Dame endlich wieder auf ihren Füßen stehen durfte, ziemlich erschöpft, mehr noch von der inneren Wuth als von der Anstrengung – denn außer Athem kam sie nie – da beliebte es der Fürstin sogar noch einmal redselig zu werden über den Fall des Junkers von Leyen. Die etwas vorwurfsvolle Schweigsamkeit der Dulderin Méninville schien sie dabei gar nicht zu merken; sie hieß sie auch nicht sitzen, was sie sonst, wenn sie mit der Vertrauten allein und in gnädiger Laune war, meist that. Sie kam heute auf allerlei, die kleine Dame, die sonst von einer fast imponierenden, leeren, trockenen Schweigsamkeit sein konnte – so auch auf die Jagdlust Polyxenens. „Ein Wunder ist die schier übermäßige Lust am Wald in dem Fräulein nicht,“ meinte sie, „wenn man bedenkt, wer ihr Vater war und ihr Großvater vor diesem.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_329.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2023)