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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

wenigstens nicht merken lassen. „Weiß Gott, diese Herren haben ihre Nasen überall!“ soll sie sogar in diesen Tagen einmal gesagt haben, freilich nicht zur Méninville, die für ein solches Sichgehenlassen nicht die richtige Person gewesen wäre. Und jetzt, während der Jesuit sprach und sich von den Besuchen Polyxenens unter dem verrufenen Dache einer Exkommunizierten genau genug unterrichtet zeigte, da paßte die Pfalzgräfin ein wenig mißtrauisch nach Frau von Méninville hin, ob diese das, was ihr selber noch Neuigkeiten waren, etwa schon wisse. Der frommen Witwe aber war, was sie nicht merken lassen wollte, auch nicht anzusehen: sie saß mit niedergeschlagenen Augen und ihrer bescheidensten Miene da. Hatte sie mit dem geistlichen Herrn über das, was jetzt hier verhandelt wurde, schon Rücksprache genommen, oder nicht? Die Pfalzgräfin kam für heute nicht dahinter.

Am Schlusse seines Berichtes nun wagte Pater Gollermann, immer in schuldiger Ehrerbietung gegen die Fürstin, einen entschiedenen Vorschlag. „Um über den Glauben und den ganzen inneren Zustand dieses Fräuleins mir ein Urtheil bilden zu können“ – so sagte er – „wird es nöthig sein, daß ich häufig Gelegenheit zur Zwiesprache mit ihr, das will heißen: jederzeit freien Zutritt zu ihr habe. Ob sie mir denselben aber bei sich im Hause, so oft ich es für gut finde, gewähren würde, darf bezweifelt werden. Es ist sogar, bei ihrer uns nicht unbekannten eigenwilligen Gemüthsart, zu befahren, daß sie sich uns absichtlich entziehen und sehr selten zu Hause anzutreffen sein würde. Daher es mir geboten scheint – immer die Billigung der Maßregel von seiten Pfalzgräflicher Gnaden vorausgesetzt – uns der Person der jungen Dame zu versichern. Es kann dies in wenig auffälliger Weise geschehen. Gestatten Hoheit nur, daß das Fräulein auf eine Zeitlang zu den Ursulinerinnen am Brückenthor gebracht werde. Bei diesen frommen Frauen, deren Glauben und Gehorsam immer unsträflich waren, werden wir ein geziemendes Gelaß für sie finden und ich kann sie dort befragen und prüfen. Ganz unbemerkt von Hof und Stadt bliebe allerdings auch ein solcher Vorgang nicht. Aber wie leicht ist einem jeglichen Gerede darüber begegnet mit der Erklärung, das Fräulein habe aus Kummer über den Verlust ihres Vetters das Bedürfniß empfunden, sich für eine Weile in stille Zurückgezogenheit und in den Bereich geistlichen Zuspruchs zu begeben.“

Die großen und doch beweglichen Züge des Jesuiten waren sehr wohl eines gewissen Ausdrucks von Wohlwollen fähig, und sie trugen denselben bei den letzten Worten, nicht anders, als ob er selber dem Fräulein von Leyen den aus solcher Zurückgezogenheit zu schöpfenden Trost von Herzen gönne. Uebelwollend im gewöhnlichen Sinne war Pater Gollermann auch nicht. Wie hätte er dies sein sollen, da er nur einen Willen kannte: den seiner Ordensoberen. Wo dieser aber sprach, da war das Wohl oder Wehe eines Einzelnen gering anzuschlagen, also daß das Verfahren des trefflichen Herrn wie seiner Genossen der Härte, ja der Grausamkeit zum Verwechseln ähnlich sehen konnte. Aber das war nur Schein. Grausam waren er und viele seinesgleichen so wenig, wie man den Mühlstein grausam nennen wird, welchen fremde Kraft in Bewegung setzt zu seinem zermalmenden Geschäfte. Hart – nun ja, hart muß ein Mühlstein allerdings sein, weil er sonst nicht mahlen konnte, Aber er ist es, wie man weiß, doch auch nur bis zu einem gewissen nothwendigen Grade. Anders Frau von Méninville. Sie arbeitete, wenn man so sagen darf, auf eigene Rechnung und wußte am besten, wem zugute kam, was sie erstrebte. Sie sagte jetzt mit leicht verzogenen Lippen: „Der hochwürdige Herr hat recht. Bei der großen Liebe, welche das Fräulein zu ihrem Vetter getragen haben soll, wird es nicht allzu sehr Wunder nehmen, wenn sie eine Weile ihr Angesicht vor der Welt zu verbergen Lust hat.“

Die Pfalzgräfin war nicht auf das scharfe Beobachten anderer gestellt; jetzt aber hatte sie einmal halb zufällig die Méninville angesehen, und da mußte sogar ihr der Zug von bitterem Hohn in diesem sonst so beherrschten Gesicht auffallen. Sie sagte aber nichts; der Jesuit mochte fortfahren, und er that es mit den Worten: „Es hat die Maßregel, welche ich vorschlagen zu sollen glaubte, auch noch den Vortheil, daß jene andere so räthselhafte und beklagenswerthe Angelegenheit, ich meine das Verschwinden des Junkers von Leyen, an Ort und Stelle so weit besser untersucht werden kann, als wenn das Fräulein bei Wege wäre. Es geziemt uns Christen, nicht leichtlich an eine so schwarze Schuld einer anderen Christenseele zu glauben, wie dies Verbrechen an dem Knaben sein würde. Noch aber auch will es uns anstehen, irgend eine Vorsicht zu versäumen, welche die Uebelthat, sollte eine solche geschehen sein, ans Licht zu förderu vermag. Und deshalb muß meines Erachtens diesem Fräulein, sobald sie eine Kenntniß des gegen sie entstandenen Verdachts gewinnt, zugleich die Möglichkeit entzogen sein, etwaige Beweise für eine Schuld, als da wäre: Aussagen der Dienstboten und so weiter, zu verhindern oder gar andere vorhandene Indicia beiseite zu schaffen.“

Frau von Méninville mußte gewahr werden. daß sie sich hier einmal in Frau Sabine Eleonore verrechnet habe. Sie hatte gehofft, der Haß der Dame gegen Polyxene sei schon groß genug, um nun an diesem Verdacht sich noch zu kräftigen, und indem er weiter wuchs, zugleich wieder dem Argwohu zu desto frischerem Gedeihen zu verhelfen. Das war gefehlt. Man sah es der Fürstin an: angenehm war ihr diese Angelegenheit nicht, ganz das Gegentheil! Sie hatte mit trockenem Gesicht dagesessen und sagte jetzt beinahe mürrisch: „Der hochwürdige Herr scheint eines zu vergessen: daß das Fräulein eine Minorenne ist. Wird der Vormund, der Herr Oberst von Gouda, in dieser Sache leicht mit sich handeln lassen? Das ist die Frage.“ Und mit dem Sinn für das Geschäftliche, der ihr zuweilen eigen sein konnte, fügte sie hinzu: „Umgangen werden kann er nicht, das wäre wider alles, was Rechtens ist.“

„Umgangen werden kann er nicht,“ meinte hier auch Pater Gollermann mit bereitwilligster Zustimmung. „Er kann sich aber, soweit ich sehe, einer zwanglosen, sagen wir gesprächsweisen Erörterung gewisser Materien des katholischen Glaubens zwischen mir und dem Fräulein nicht wohl widersetzen. Und je nach dem Ergebniß derselben reichen meine Vollmachten von der geistlichen Behörde alsdann aus, um das weitere zu veranlassen – wobei ich, wie gesagt, einen Aufenthalt des Fräuleins bei den Ursulinerinnen, unter leichter Klausur, zunächst im Auge habe.“ Und dann fügte er mit seiner sanftesten Stimme hinzu: „Die Billigung solchen Vorgehens von seiten Pfalzgräflicher Gnaden ist mir ja vorhin schon zugesichert worden.“

So, war sie das wirklich? Aber doch nur in jener allgemeinen Fassung, die auf Untersuchung des Glaubenszustandes im Lande überhaupt zielte! Von Polyxene war dabei noch keine Rede gewesen. Die Pfalzgräfin gab sich nicht die Mühe, sich dies genau zu vergegenwärtigen – so weit nachdenken und sich besinnen, wäre ihr schon lästig gewesen – aber sie hatte doch den Eindruck, daß der fromme Herr da wieder nach etwas griff, was ihm noch gar nicht gereicht worden war. Sollte sie ihm hier einmal sein Spiel verderben, indem sie, ganz wider Erwarten, Polyxene in Schutz nahm? Launisch und selbstwillig genug war sie für dergleichen.

Frau von Méninville hatte sie beobachtet. War der Jesuit klug, so war die Méninville noch klüger. Ihren Blick auf eine Weile in den des Paters senkend, sagte sie: „Wäre es, wenn mir zu reden vergönnt ist, nicht besser, der hochwürdige Herr verzöge mit dieser seiner Maßregel einstweilen? Das milde Herz unserer Fürstin erleidet eine Kränkung dadurch. Vielleicht, ja hoffentlich, ist auch alles, was an der lauteren Frömmigkeit und Rechtlichkeit des Fräuleins zweifeln lassen könnte, unbegründet. Wie sollte eine junge Person nicht tadelfrei und liebenswerth sein, die sich des ausdrücklichen Beifalls eines so klugen und treulichen Herrn zu erfreuen hat, wie es hochdero Oberjägermeister von Nievern doch sonder Frage ist! Und nahm er sie damals im Walde – Pfalzgräfliche Gnaden wissen, was ich meine – gegen einen verdienten Verweis ausdrücklich und öffentlich in Schutz, indem er ihr vor aller Augen das Geleit gab, um wie viel eher würde ihr sein Ritterdienst, uns allen aber des Herrn Oberjägermeisters Unwille jetzt erstehen, wenn jemand es wagen sollte, an dem Glauben und der Tugend dieser Dame zu zweifeln. Und das Gutbefinden eines so ergebenen Dieners Euerer Hoheit, wie Herr von Nievern es stets war, will auch erwogen sein.“

Der Jesuit erkannte, daß seine Finger hier an eine Saite rührten, auf der zu spielen man von ihm nicht erwarten konnte, und schwieg wohlweislich. Frau Sabine Eleonore aber sagte alsbald, mit emporgerecktem Kinn: „Frau von Méninville irrt. Das Gttbefinden des Herrn von Nievern hat mit dieser Sache nichts zu thun. Dieser Kavalier ist unser Oberjäger- und Forstmeister, aber kein Berather in Angelegenheiten des Glaubens. Gehe denn

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