Seite:Die Gartenlaube (1893) 326.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

habe, so sagte sie, für sie von jeher eine besondere Anziehungskraft gehabt.“

„So, sagte sie das? Nun hat das Gewässer aber nicht sie, sondern ihren armen Vetter angezogen, wie es scheinst,“ bemerkte dazu die Pfalzgräfin, sich sogar zu einer Art Wortspiel versteigend. Ihre Lebensgeister waren eben ungewöhnlich angeregt durch dieses ganz neue Licht, das auf den Vorfall schien. „Und hat die Polyxene denn da auch schon von dem geheimen Abfluß des Grabens gesprochen?“

„Geheim“ nun schon anstatt „unterirdisch“! Die Pfalzgräfin hatte das eine Wort absichtslos mit dem andern vertauscht; aber als sie sich nun hörte, fand sie, daß das unheimlichere so klinge, als sei es hier sehr am Platze, und gebrauchte es von da an ausschließlich.

„Wenn mir recht ist, ja,“ entgegnete Frau von Méninville auf die letzte Frage der Fürstin. „Wie käme ich sonst darauf?“

Die Pfalzgräfin aber hatte eine eigene Art, von einer Sache nicht loskommen zu können, und zwar meist von Nebenumständen derselben. „Haben Sie die Leyen von dem geheimen Wasserabfluß sprechen hören?“ fragte sie die Obersthofmeisterin. Das verneinte diese Dame entschieden, obwohl sie an dem Tage und in dem Zirkel, an welchen Frau von Méninville jetzt die Erinnerung aufgefrischt hatte, auch zugegen gewesen war. Ihr Gedächtniß war indessen wohl schwerlich so gut wie das der Méninville.

„Zum Grausen wäre es aber doch, wenn er so nahe am Hause zu Grunde gegangen wäre und nun unbegrabeu dort irgendwo läge,“ beharrte die Fürstin. „Da möchte ich an des Fräuleins Stelle nicht länger auf der Herrenmühle sitzen; ich würde immer denken, er erschiene mir einmal.“

„Behüt’ uns Gott, Hoheit,“ sagte hier die Kallenfels, nicht viel anders, als die Weiber auf der Gasse vor dem Bäckerhause bei ähnlichem Anlasse auch gerufen hatten.

„Mich deucht, das Fräulein sei von starkem Gemüth; eine solche Furcht wird sie wohl nicht beschweren,“ meinte Frau von Méninville.

Die beiden Damen wurden nunmehr entlassen, da die Fürstin sich kräftig genug fühlte, einmal wieder Toilette zu machen. Sie hatte auch der Obersthofmeisterin den Entschluß kundgegeben, heute noch mehrere Personen zu empfangen; ihr Befinden schien innerhalb der letzten Stunden eine Wendung zum Bessern erfahren zu haben. –

Nicht eigentlich in die Klasse der Audienzsuchenden gehörte eine Person, die kraft ihres Amtes sozusagen zu jeder Zeit freien Zutritt zur fürstlichen Gegenwart hatte, der Beichtvater der Hoheit nämlich, der Pater Gollermann, Vorsichtig aber und taktvoll, wie es einem Mitgliede der Gesellschaft Jesu ziemte, hatte der geistliche Herr von seinem Vorrecht immer nur einen maßvollen Gebrauch gemacht. Und in ähnlicher Weise pflegte er auch mit dem Gewissen seines fürstlichen Beichtkindes sehr glimpflich umzugehen. Und doch oder vielleicht gerade deshalb war der Einfluß des klugen Herrn nicht gering am Hofe. Er kam heute, um sich zunächst nach dem körperlichen Befinden der Fürstin zu erkundigen, welches, wie er voll Antheil bemerkte, ja leider nicht zum besten gewesen sein solle in der letzten Zeit. Eine kleine Reise ins Lothringische, in Sachen des Ordens, hätte ihn für eine kurze Frist fern gehalten, sonst wäre er längst erschienen.

Mit dem Jesuitenpater zugleich war auch Frau von Méninville wieder zur Fürstin beschieden worden. Sie störte hier nicht, im Gegentheil, sie gehörte gewissermaßen mit in ein solches kleines geistliches Kollegium und war ja auch als die Schutzbefohlene des Paters ins birkenfeldische Land gekommen. Ja so sehr am Platze schien sie alsdann in dieser geistlichen Gesellschaft, daß sie da unmerklich einen andern Ton annahm. Hier in Gegenwart des geistlichen Herrn pflegte sie immer noch mit schicklicher Zurückhaltung, aber doch mit weit größerer Sicherheit zu reden als sonst. Und es muß gesagt sein, daß Pater Gollermann ihren Meinungen stets Aufmerksamkeit, ja sogar, soweit sich dies mit der schuldigen Ehrfurcht vor hochfürstlicher Gegenwart vertrug, eine merkliche Achtung zollte,

Es konnte nicht fehlen, daß jetzt mit dem gewandten und umgänglichen Mann, der gar nicht immer nur den Geistlichen herauskehrte, die Rede sehr bald auf das Tagesgespräch von Hof und Stadt kam, auf das Verschwinden des Junkers von Leyen. Pater Gollermann, dem doch schon einige Kunde von dem Ereigniß zugegangen sein mußte, machte von dieser keinen Gebrauch, sondern ließ sich von den beiden Damen alles, was zu ihrer Kenntniß gekommen war, berichten, hierin vielleicht einer Ordensgewohnheit folgend. Er saß in ehrfurchtsvoller Haltung, etwas vorgeneigt, und strich zuweilen mit der langen Hand um das Kinn, diesen sehr ausgeprägten Theil des angenehm magern bartlosen Gesichts. So hörte er zu, während die kleine Pfalzgräfin bunt durcheinander alles vorbrachte, was über die Sache geschwatzt wurde und was sie selber dachte. Wie schade es um den schönen Jungen sei; und daß der von Gouda der richtige Vormund wohl auch nicht gewesen sein möge, Stubenhocker und halber Alchimist, der er sei; und wie ihr die Herrenmühle von jeher als ein ganz verlassener, erbärmlicher Aufenthalt für Leute von einigem Stande erschienen; und manche sprächen auch von Werbern oder holländischen Preßgängern; das glaube sie aber nimmermehr, daß die Generalstaaten in pfalzgräflich birkenfeldischen Landen eine solche Gewaltthätigkeit wagen würden, da man doch freundnachbarlich stehe; und dann handle es sich gar um einen von Adel – und was dergleichen mehr war.

Pater Gollermann wiegte dabei den Kopf hin und her oder nickte, je nachdem. Als aber das Gesicker des fürstlichen Redebächleins einmal stockte, da wendete er sich, nach nochmaligem respektvollen Neigen des Hauptes vor der pfalzgräflichen Weisheit, zu Frau von Méninville, ganz entschieden, wie ein Mann, der weiß, daß er etwas zu erwarten hat. Er thut dies schweigend, aber, wie gesagt, ausdrucksvoll. Und nun erst gestattete sich die vortreffliche Frau dasjenige, was sie bisher so gewissenhaft vermieden hatte: sie äußerte auch ihrerseits eine Meinung über den sonderbaren Vorfall. „Sollte nicht,“ bemerkte sie zuerst, „eine wahrhafte gründliche Untersuchung dieses Falles nunmehr bald am Platze sein?“ Worauf aber die Pfalzgräfin sogleich ausrief: „Wie Sie reden, liebe Méninville! Das ist Sache des Vormundes, und was schiert es uns weiter, wie er es betreibt! Ich wünsch’ ihm alles Glück. Nicht daß ich glaube, der alte superkluge Umstandskrämer werde viel herausbringen.“

Frau von Méninville fuhr fort, halb zu dem geistlichen Herrn gewendet: „Das ist die edle Arglosigkeit in der Natur unserer gnädigsten Fürstin, welche alles nach der Güte und Unschuld ihres eigenen Herzens beurtheilt und deshalb nicht bedenkt, wie weit die Verderbtheit der menschlichen Natur zu reichen vermag.“ Und noch einmal unterbrach Frau Sabine Eleonore diese Rede etwas ungeduldig: „Mir wäre lieb, Sie kämen nunmehr zur Sache. Das klingt ja, als hätte man dem Junker absichtlich ans Leben gewollt, nach Ihrer Meinung. Wer sollte ihm denn ein Leid angethan haben?“

Größer war vielleicht die innere Verachtung der Méninville für den Mangel an Witz bei ihrer lieben Pfalzgräfin nie gewesen als in diesem Augenblick. Noch immer an dasjenige nicht zu denken, worauf doch schon ihre Malice allein sie sollte geführt haben! So war also sogar die Bosheit kraftlos bei ihr und schärfte ihren stumpfen Verstand nicht! „Ich fürchte,“ sagte sie aber mit um so mehr äußerer Sanftmuth, „ich fürchte, ich komme immer noch viel zu früh zur Sache, zu demjenigen nämlich, was vielleicht dem landesmütterlichen Herzen Eurer Hoheit eine schmerzliche Wunde schlagen wird. Ich habe bis jetzt geschwiegen und schwiege am liebsten ganz. Aber mich zwingt der Eifer eines wahrheit- und rechtliebenden Gemüthes zum Reden. Und die Gegenwart des hochwürdigen Herrn, dem ich nach Eurer Hoheit in schuldiger Demuth meine Gedanken vorlege, sei Bürgschaft dafür, daß ich nicht leichthin spreche, sondern nach Ueberwindung vieler banger Zweifel.“

„Nun, so lassen Sie endlich hören!“ sagte die Pfalzgräfin und glättete ungeduldig an den Falbeln ihres Kleides herum.

„In aller Bescheidenheit,“ begann Frau von Méninville darauf, „wollte ich nur auf einen Weg hingewiesen haben, der vielleicht dahin führte, einiges Licht in das Dunkel dieser Angelegenheit zu bringen. Wenn ich von einer Begebenheit höre, welche den Menschen unbegreiflich scheint, so pflege ich mich zu fragen: wem nützt dieser Vorfall? Wer hat den Vortheil davon? Und die Beantwortung führt dann gemeiniglich auf die Spur einer richtigen Erklärung.“

Pater Gollermann schob die Unterlippe über die obere und nickte beistimmend. Frau Sabine Eleonore begriff, was ihr übrigens zur Ehre gereichte, offenbar noch immer nicht, Frau von Méninville mußte deutlicher werden. Man konnte ihr ansehen, wie schmerzlich es ihr war.

„Wer hat den Vortheil davon?“ wiederholte sie. „Wer hat ihn in diesem Falle, Hoheit? Auf wen gehen nach dem unbezweifelten Ableben des Junkers seine Besitzungen über? Auf eine Person, welche ohne dieselben, wie man weiß, in Dürftigkeit ihr Leben hätte verbringen müssen. Und diese Person ist –“

„Polyxene von Leyen,“ sagte die Fürstin und verfärbte sich. Und mit leiserer Stimme, mit aufrichtigem Entsetzen, fügte sie hinzu:

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_326.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2021)