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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 20.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
(6. Fortsetzung.)
10.

Frau Sabine Eleonore saß, wie schon berichtet, an jenem Tage, an dem der Oberst von Gouda mit Polyxene bei Hofe erschienen war, noch in ihrem bauschenden Morgengewande mit der Méninville zusammen und sah der Obersthofmeisterin diesmal mit einer gewissen Neugier entgegen. Daß sie den alten Herrn und sein Mündel nicht zur Audienz zugelassen hatte, das war eine launische Unart gewesen, deren Spitze sich gegen Polyxene richtete. Gleich bei der Nennung dieses Namens war der boshafte Groll wieder aufgewacht und hatte sie die Zusammenkunft heftig ablehnen lassen. Nun aber war sie doch begierig auf die soeben aus der Quelle geschöpften Nachrichten der Obersthofmeisterin. Zuerst entledigte sich diese Dame mit Gewissenhaftigkeit dessen, was sie als eine Art Auftrag des Obersten von Gouda betrachtete: der vorläufigen mündlichen Bitte um Unterstützung weiterer Nachforschungen nach dem Junker von seiten der pfalzgräflichen Kanzlei. Diese sagte Sabine Eleonore ohne weiteres zu. Frau von Kallenfels hatte aber noch mehr zu erzählen. Und die Pfalzgräfin fuhr förmlich in die Höhe und vergaß ihrer hochfürstlichen Steifheit, als die Reihe an Polyxenens Befürchtung von wegen des Mühlgrabens kam und an den Fund, den man dort dicht neben dem tiefen Wasser gethan hatte. Das war etwas Neues; hiervon hatte das Stadt- und Hofgeschwätz bisher noch nichts vermeldet.

„Ertrunken im eignen Garten!“ rief sie voll Eifer. Und dann fiel ihr ein: „Potz Tausend – das wäre doch schade um den hübschen Jungen!“

Der Oberst von Gouda wolle davon auch nichts hören, berichtete die Obersthofmeisterin weiter; er glaube nicht daran. Das Fräulein schon eher. Sie sei weit niedergeschlagener als ihr Herr Oheim und scheine geringere Hoffnung zu hegen auf eine glückliche Lösung dieses Räthsels.

„Wie? Sagten Sie etwas, liebe Méninville?“ fragte die Fürstin hier.

„Ich? Nein, ich sagte nichts, Hoheit,“ erwiderte Frau von Méninville und machte ein Gesicht, als gedenke sie überhaupt nie wieder zu reden in ihrem Leben. Daß sie aber gut zuhörte, war trotzdem anzunehmen.

Die Pfalzgräfin hatte sich indessen mit der Sache beschäftigt. So weit sie überhaupt für den Nächsten zu empfinden vermochte, empfand sie vielleicht in diesem Falle, bei dem Untergang einer frisch erblühenden männlichen Jugend. „Wenn der Junker im Mühlwasser verunglückt wäre, müßte man ihn doch aber gefunden haben,“ sagte sie zuletzt, nach einigem Nachdenken.

Frau von Kallenfels wußte hierauf nichts zu erwidern. Und da war es Frau von Méninville, die ihr bisheriges Schweigen brach mit den Worten: „Im Falle der Mühlgraben etwa einen unterirdischen Abfluß hat, könnte die Leiche dahin gespült worden sein und käme schwerlich wieder ans Tageslicht.“

„Da höre einer unsere kluge Méninville!“ rief die Fürstin bewundernd. „Wer wäre wohl auf so etwas gekommen wie Sie.“

Die ausdrückliche Anerkennung ihres Scharfsinnes schien der frommen Witwe nicht ganz zu behagen; wahrscheinlich litt ihre Bescheidenheit darunter. „Pfalzgräfliche Gnaden haben von meinem geringen Verstand stets eine zu hohe Meinung,“ wehrte sie ab. „Erinnern sich Eure Gnaden nicht, wie umständlich uns das Fräulein von Leyen einstmals eben diesen Mühlgraben beschrieb? Derselbe

Rosi.
Nach einem Gemälde von G. Buchner.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_325.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2021)