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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

gegen Dernburg, das war ihr Recht und das wird auch er ihnen nicht bestreiten, so tief es ihn kränken mag. Daß sie aber meinen Sieg auf seinen eigenen Werken feierten, daß sie Umzüge hielten und vor seinen Augen, fast unter seinen Fenstern, seine Niederlage bejubelten, das ist eine freche Herausforderung, und er hat ihnen nur die verdiente Antwort darauf gegeben!“

„So? Die verdiente?“ wiederholte Landsfeld in einem Tone, der seinen jungen Genossen hätte warnen sollen; aber dieser achtete nicht darauf und fuhr mit steigender Heftigkeit fort: „Du hast durch Fallner die Leute hetzen lassen, ich weiß es; Du hast sie zu der unsinnigen Forderung getrieben, die auf eine unglaubliche Demüthigung ihres Chefs hinausläuft. Kennt Ihr den Mann wirklich so schlecht oder wollt Ihr nur den Krieg bis aufs Messer? Nun, Ihr werdet ihn haben! Dernburg hat seinen Arbeitern lange genug den Beschützer gezeigt, jetzt wird er ihnen den Herrn zeigen, und er thut recht daran – ich handelte nicht anders an seiner Stelle!“

Ein lautes bitteres Auflachen Landsfelds unterbrach Egbert, der die letzten Worte in unbedachter Empörung herausgeschleudert hatte. „Bravo! O, das ist ein unbezahlbares Geständniß! Also endlich zeigst Du Dein wahres Gesicht! Das war der Alte von Odensberg, wie er leibt und lebt – er hat sich an Dir einen würdigen Schüler erzogen. Was meinst Du, wenn ich das, was Du mir eben anzuhören gabst, nach Berlin berichtete?“

Runeck mochte wohl selbst fühlen, daß er sich zu weit hatte fortreißen lassen, aber er richtete sich nur trotziger auf. „Meinetwegen! Denkst Du, ich ließe mich so knechten, daß ich es nicht einmal wagte, meine Meinung frei herauszusagen wenn wir unter uns sind?“

„Unter uns! Erweisest Du uns wirklich noch die Ehre, Dich zu uns zu rechnen? Freilich, Du bist ja unser Abgeordneter! Ich habe genug gewarnt und abgerathen, denn ich wußte längst, wohin wir schließlich mit Dir kommen würden – man wollte nicht auf mich hören, wollte sich die ‚geniale Kraft‘ für die Partei sichern, und deshalb mußte die Wahl durchgesetzt werden, mit allen Mitteln, die zu Gebote standen. Es war das Schwerste, was im ganzen Wahlfeldzuge zu leisten war – und für wen! Darüber werden wohl auch den anderen die Augen bald aufgehen.“

„Willst Du ihnen dabei helfen, so thue es!“ sagte Egbert herb und stolz. Jetzt aber sprang Landsfeld auf und trat dicht vor ihn hin. „Damit wärst Du vielleicht ganz einverstanden, Du legst es ja förmlich darauf an, einen Bruch herbeizuführen. Gieb Dir keine Mühe, mein Junge, den Gefallen thun wir Dir nicht, wir geben Dich nicht frei! Wenn Du zum Verräther, zum Ueberläufer werden willst, so soll die ganze Schande davon auch auf Dich fallen.“

Ein bitterer Ausdruck zuckte bei diesen höhnischen Worten um Runecks Lippen. „Verräther? Das also hat es mir eingetragen, daß ich mich Euch mit Leib und Seele ergab, daß ich Euch das Opfer einer Zukunft brachte, so groß und glänzend, wie sie nicht leicht einem anderen geboten wird!“

„Und das bereust Du jetzt natürlich?“ warf Landsfeld lauernd ein.

„Das Opfer nein! Aber die Genossenschaft mit Euch – ja, die habe ich längst bereut.“

„Du bist wenigstens aufrichtig,“ spottete Landsfeld, „und zeigst uns rückhaltlos, welche Ruthe wir uns mit Deiner Wahl aufgebunden haben. Doch das ist nicht mehr zu ändern, und vorläufig wirst Du wohl Deine Pflicht im Reichstage thun müssen. Zum Glück sind Deine früheren Reden noch in aller Munde – Du würdest Dir selbst ins Gesicht schlagen, wolltest Du jetzt auf einmal eine andere Melodie anstimmen. Und noch eins, mein Junge“ – er ließ plötzlich den höhnischen Ton fallen und seine Stimme wurde drohend – „versuche nicht etwa, Dich in die Odensberger Verhältnisse einzumischen, die habe ich jetzt in die Hand genommen. Ich werde das vor der Partei zu verantworten wissen – sieh nur zu, wie Du mit Deiner Verantwortung fertig wirst. Erspart bleibt sie Dir nicht, darauf verlaß Dich!“ Damit kehrte er dem Genossen ohne Gruß den Rücken und verließ das Zimmer.

Egbert blieb allein; stumm und finster brütete er vor sich hin. Er konnte es nicht hindern, daß ihm immer und immer wieder die Worte in den Ohren klangen, mit denen ihn Dernburg damals entlassen hatte: „Du hättest Herr sein können in Odensberg. Sieh’ zu, ob Deine Genossen es Dir danken, das ungeheure Opfer, das Du ihnen gebracht hast!“ Er hatte ihn soeben empfangen, diesen Dank!

Da wurde leise die Thür geöffnet, nur zur Hälfte, und ein lieblicher Mädchenkopf blickte, schüchtern und neugierig zugleich, durch die Spalte. Es war Maja, die auf ihrer Entdeckungsreise im „Goldenen Lamm“ schließlich bis zu dem Herrenstübchen gelangt war. Sie hatte aber kaum einen Blick hineingeworfen, als sich ein Ausruf freudiger Ueberraschung ihren Lippen entrang.

„Egbert!“

Er fuhr empor aus seinem Brüten, sah sie einen Augenblick mit starrer Verwunderung an und sprang dann auf. „Maja – Du hier?“

Maja schlüpfte rasch ins Zimmer und zog die Thür hinter sich zu. Fräulein Friedberg und Doktor Hagenbach durften von diesem Zusammentreffen nichts wissen, sonst erlaubte man ihr gar nicht, mit Egbert zu reden – er war ja verfehmt in Odensberg!

Auch Runeck schien sich dessen plötzlich zu erinnern, er ließ die zur Begrüßung ausgestreckte Hand langsam wieder sinken und trat einen Schritt zurück. „Darf ich Dich denn noch bewillkommnen wie einst?“ fragte er leise.

Ueber Majas eben noch so strahlendes Gesicht legte sich ein Schatten, aber sie trat ohne Zögern näher und bot dem Jugendgespielen die Hand. „Ach, Egbert, daß es so weit kommen mußte! Wenn Du wüßtest, wie es jetzt bei uns aussieht!“

„Ich weiß es,“ war die kurze düstere Alltwort.

„Unser Odensberg ist gar nicht mehr wiederzuerkennen,“ klagte das junge Mädchen. „Sonst, wenn wir durch die Werke gingen oder mit den Arbeitern verkehrten – wie freudig wurden wir da von allen begrüßt, und wenn vollends der Papa sich zeigte, dann hingen aller Augen an ihm und jeder war stolz darauf von ihm angeredet zu werden. Jetzt“ – es klang ein unterdrücktes Schluchzen in ihrer Stimme – „jetzt hat Papa Cäcilie und mir verboten, den Umkreis des Parkes zu verlassen, da wir draußen vor Beleidigungen nicht sicher seien. Er selbst geht freilich täglich nach den Werken, aber ich sehe es an den Gesichtern unserer Beamten, daß sie das für ein Wagniß halten, daß sie fürchten, er sei unter seinen eigenen Arbeitern in Gefahr. Und was vollends am Wahltag vorgefallen ist, das frißt ihm am Herzen – das hat er doch nicht um sie verdient!“

Sie ahnte nicht, was sie mit diesen Worten dem Manne anthat, der halb abgewendet vor ihr stand. Es kam kein Laut über seine Lippen, aber in seinem Gesicht zuckte eine mühsam verhaltene Qual; Maja sah es und legte mit der alten Zutraulichkeit die Hand auf seinen Arm. „Du hast das nicht gewollt, ich weiß es,“ sagte sie tröstend. „Aber ich bin auch die einzige, die in Odensberg noch zu Dir hält, und darf kaum wagen, das zu zeigen. Papa ist furchtbar gereizt und erbittert gegen Dich, und Oskar – ich meine Herr von Wildenrod – bestärkt ihn noch darin. Da hilft auch mein Bitten nichts, und nun vollends Cäcilie –“

„Auch sie?“ unterbrach sie Runeck, sich jäh umwendend. „Auch sie verdammt mich?“

„Ich bin nicht sicher,“ sagte Maja, erschreckt durch den seltsamen Blick, den Egbert ihr zuwarf. „Allein Cäcilie will nie hören, wenn ich von Dir spreche, und ergreift förmlich die Flucht davor. Ach, Egbert, wenn es nur ein anderer wäre, der meinem Vater gegenüberstände – ich glaube, er würde es leichter tragen. Daß Du es bist, das verwindet er nicht!“

„Ich auch nicht!“ erwiderte Egbert dumpf. „Sage das Deinem Vater, Maja, wenn Du willst.“

Das junge Mädchen schüttelte traurig den Kopf. „Das kann ich nicht, Dein Name darf nicht mehr vor ihm genannt werden. Er geräth in heftigen Zorn, wenn es dennoch geschieht. Und er hat Dich doch so lieb gehabt. Mein Gott, warum muß man sich denn auf Tod und Leben hassen, wenn man zwei verschiedenen politischen Parteien angehört!“

Die süße Kinderstimme Majas klang so weich und bittend und doch bohrte sich jedes ihrer Worte wie ein brennender Vorwurf in Egberts Seele. Er hielt es nicht länger aus. „Laß das, Maja,“ sagte er mit innerer Bewegung. „Wir müssen es als ein Verhängniß nehmen, an dem wir alle schwer zu tragen haben. Und Dich, Du armes Kind, haben wir auch mit hineingezogen, Deine ganze sonnige Heiterkeit ist dabei verloren gegangen.“

Das Gesicht des jungen Mädchens erglühte plötzlich, sie senkte den Kopf, und leise, fast zaghaft entgegnete sie: „Nein,

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