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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

die Belehrung, welche ihr zu theil wurde; harmlos verwundert meinte sie jetzt:

„Also auf Ausübung der Jagd war es abgesehen bei dieser Reise des Herrn von Nievern? Wie aber reime ich das mit dem leidenden Zustand seiner Gesundheit, von dem doch, dünkt mich, in seinem Briefe an Eure Hoheit die Rede war?“

Nun fing die kleine Dame Feuer. „Das mögen Sie wohl fragen!“ rief sie bitterböse. „Bringen Sie mich nicht darauf, liebe Méninville; ich fühle gleich, wie mir die Vapeurs wieder den Athem benehmen vor lauter Aufregung!“ Sie fuhr aber doch fort, mit unverminderten Kräften, so daß Frau von Méninville, die schon auf dem Sprunge war nach einem Beruhigungsmittel, verziehen mußte. „Krank könnte man selber werden über solche ingratitude, ein solches Vergessen jeder Rücksicht gegen eine wohlgeneigte Fürstin, welche das Beste mit diesem Kavalier vorhatte. Ja, ich versichere Sie, wäre meine Unpäßlichkeit gestern nicht dazwischen gekommen, ich hätte längst darauf gedacht, dem Herrn von Nievern nun auch auf eine recht empfindliche Weise zu zeigen, daß er unser Wohlwollen bis auf weiteres völlig verscherzt habe!“

Mit der ernstesten und angelegentlichsten Miene hatte Frau von Méninville auch dies angehört. Mochte die Zumuthung immerhin eine starke sein, daß man thun sollte, als sei einem der enge Zusammenhang zwischen der Abreise des Oberjägermeisters und eben jener Unpäßlichkeit unbemerkt geblieben – Frau von Méninville, zur fürstlichen Vertrauten geboren, war dem gewachsen.

„Ich begreife den Unwillen der allergnädigsten Frau,“ sagte sie mit gesetzter Miene. „Die plötzliche Abreise des Herrn von Nievern hat etwas Ueberraschendes und wird dem ganzen Hofe zu reden geben. Nicht als ob letzterer Umstand die gnädigste Fürstin zu berühren brauchte. Gesällt es Euerer Hoheit, so lassen wir diesen Gegenstand des Gespräches fallen, bis Sie sich wieder völlig gekräftigt haben. Hochdero Gesundheit ist zu wichtig, als daß selbst die Angelegenheit einer Person vom Stande des Herrn von Nievern der Rücksicht auf dieselbe vorgezogen werden dürfte.“

Durch ein solch vorsichtiges Manövrieren bewirkte die Méninville, die immer wußte, was sie that, daß Sabine Eleonore sich nun nachgerade völlig gehen ließ. Sie wollte von einem schonenden Fallenlassen des ärgerlichen Themas nichts hören, sondern schimpfte höchstselbst zu augenscheinlicher Erleichterung ihrer Vapeurs auf den Oberjägermeister wie ein Rohrspatz. Zu offenbar aber war dabei für den durchdringenden Scharfblick der Méninville das Behagen des verliebten Weibes an dem fortwährenden Herumspielen des Gespräches um den einen Namen. Mochte derselbe im guten oder im bösen genannt werden, gleichviel, wenn er nur da, nur auf dem Tapet war. Und dieser Stand der Dinge ließ den Schluß zu, daß trotz all ihres Zornes die fürstliche Dame an eine ernstliche Abtrünnigkeit ihres Kavaliers doch noch nicht gedacht hatte. Dies selbstgefällige Behagen der Hoheit nun aber ein weniges zu versalzen, dafür war die fürsorgliche Méninville da. Sie sagte, als es ihr dazu Zeit schien:

„Neben allen übrigen erstaunenden Tugenden meiner Fürstin muß ich auch in diesem Falle wieder hochdero Langmuth und Geduld bewundern. Hoheit gehen in Gnaden ganz über den eigentlichen Anlaß hinweg, dem wir diesen dreisten Streich des durch Euere Huld verwöhnten Kavaliers wohl zuschreiben dürfen. Er selber unterfängt sich doch aber, geringere Geduld zu üben, wenn eine seiner Launen einmal gekränkt wird.“

„Was meinen Sie? Von welchem Anlaß reden Sie?“ fragte die Pfalzgräfin scharf, mit nun endlich erwachendem Argwohn.

Bedächtig erwiderte hierauf Frau von Méninville: „Ich sage meiner gnädigsten Frau doch gewiß nichts Neues, wenn ich die Vermuthung ausspreche, der gerechte Verweis, den Hoheit, hierin als strenge aber wohlmeinende Mutter handelnd, dem allzu stolzen Fräulein von Leyen ertheilt haben, sei von diesem Kavalier nicht gebilligt worden. Hoheit erinnern sich, wie er dem Fräulein gleich darauf merkliche Höflichkeit erwies; er führte sie davon, nicht anders, als wollte er sie öffentlich gegen ihr widerfahrene Unbill in Schutz nehmen. Und nachher trug er eine wenig freundliche Miene zur Schau. Pfalzgräfliche Hoheit, wie es Ihrem erhabenen Stande zukommt, bemerken dergleichen nicht; dero geringe Dienerin aber pflegt, aus ergebener Liebe zu ihrer Gebieterin die Augen offen zu halten.“

Die Pfalzgräfin sprach nicht gleich; sie war vor Wuth und Schrecken jetzt wirklich blaß geworden. Kaum glaublich erschien der Méninville die Verblendung, welche die Fürstin bis jetzt den eigentlichen Grund der plötzlichen Abreise Nieverns nicht hatte erkennen lassen. Aber freilich, die Meinung, welche die kleine Dame von dem Gewichte ihres Standes und ihrer Reize zusammen hatte, konnte man sich auch gar nicht ungeheuerlich genug vorstellen.

„Er soll mir nie wieder unter die Augen kommen. Heute noch lasse ich seine Enthebung von sämtlichen Chargen, die er innehat, ausfertigen.“ Das waren die ersten Worte, die sie nach längerer Pause murmelte. Gegen ihn also wendete sich die erste Zorneshitze. Er und immer wieder er! Die Méninville merkte jetzt erst, daß eine Art Empfindung für den anziehenden Mann bei der Pfalzgräfin doch so tiefe Wurzeln geschlagen hatte, wie es in dem flachen Boden dieses Charakters überhaupt möglich war. Nun, um so besser! Da war also nicht zu fürchten, daß man den losen Vogel nicht mit der Zeit wieder hierher gewöhnen würde. Seine Abwesenheit jetzt aber kam wie gerufen; Frau von Méninville gedachte sie zu nutzen. Sie ließ die Dame ihren ganzen Zorn gegen Herrn von Nievern ausschütten und bereitete ihr mit Geschick das Vergnügen, auf diese Weise fortwährend von ihm reden zu können. Mit seiner Entlassung jedoch wurde es an jenem Tage nichts und an den folgenden war nicht mehr die Rede davon.

So verging eine ganze Reihe von Tagen. Mit jedem derselben fast wurde Frau von Méninville ihrer Gebieterin unentbehrlicher; war doch die vortreffliche Witwe die einzige, bei der die Pfalzgräfin eines hingebenden und zugleich diskreten Antheils gewiß sein konnte an demjenigen, worauf ihr verwöhnter Wille sich mit eigensinniger Heftigkeit geworfen hatte. Leicht war übrigens der Posten der Méninville nicht. Er wurde es je länger je weniger, denn täglich entbehrte man den angenehmen Gesellschafter schwerer, den man verloren hatte und auf wer weiß wie lange missen sollte. Langeweile und Verstimmung nahmen bei der kleinen Hoheit überhand. Und hatte es Frau von Méninville auch in ihrer unermüdlichen Fürsorge an einer weitern zweckmäßigen Ablenkung der bösen Launen ihrer Dame nicht fehlen lassen, indem sie ihr einen weit bessern Gegenstand als den treulosen und doch ersehnten Oberjägermeister unterschob, das Fräulein von Leyen nämlich, so begann doch auch dieser nachgerade an Ergiebigkeit einzubüßen. Alles Gehässige, was man innerhalb einer noch leidlich gemessenen Form nur irgend sagen konnte, war über Fräulein Polyxene gesagt und zur Genüge wiederholt worden. Daß sie entschieden bei der Fürstin in Ungnade sei, war jetzt am Hofe allgemein bekannt, wenn auch niemand recht wußte, weshalb.

So standen die Sachen, bis, vierzehn Tage etwa nach der Abreise des Oberjägermeisters, in der Stadt und alsbald auch am Hofe die seltsame Kunde von dem Verschwinden des jungen Ludwig von Leyen sich zu verbreiten begann. Nun gab es von neuem etwas zu reden. Die Pfalzgräfin ließ jetzt sogar nach und nach die Damen ihres Hofstaates wieder zu, welche diese vierzehn Tage her ihr Angesicht kaum gesehen hatten. Denn jetzt wußte eine jede von ihnen noch diesen oder jenen Umstand dem verwunderlichen und traurigen Ereigniß erzählend beizufügen, oder, als dann darüber auch die Zeit verging, da war es schon etwas, wenn man an jedem Tage einmal beiläufig fragen konnte: „Nun, hat man etwas über den Junker von Leyen in Erfahrung gebracht?“ und darauf, unter immer bedenklicherem Kopfschütteln der Gefragten, die Antwort erhielt: „Nichts, soviel ich weiß. Er ist und bleibt verschwunden, Hoheit.“

Wer sich an den weitläufigen Erörterungen über den seltenen Vorfall wenig oder gar nicht betheiligte, das war Frau von Méninville. Sie hörte mit der Miene gebührenden christlichen Antheils zu, nickte theilnehmend, zuckte bedauernd die Achseln, doch eine selbständige Meinung über die Sache äußerte sie nicht.

Es kam aber ein Tag, wo auch sie eine solche hören ließ. Und das war der Tag, an welchem die Obersthofmeisterin von Kallenfels, nicht ohne Wohlwollen gegen die so seltsam betroffene Familie und zugleich mit einer gewissen Genugthuung, sich des Auftrags entledigte, der ihr von dem Vormunde des Junkers Lutz an die Frau Pfalzgräfin geworden war.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_315.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2021)