Seite:Die Gartenlaube (1893) 302.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Freie Bahn!
Roman von E. Werner.
(17. Fortsetzung.)


„Diese Maja Dernburg ist ja ein reizendes Mädchen geworden!“ sagte Stetten zu Viktor von Eckardstein, als der Wagen mit den beiden Damen sich etwas entfernt hatte. „Da würde es sich schon verlohnen, ein bißchen weniger förmlich zu sein, als Du soeben gewesen bist. Ich denke doch, Du warst mit ihrem Bruder eng befreundet!“

Viktor hörte nicht, er blickte finster und mit fest zusammengepreßten Lippen dem Wagen nach. Erst als der Onkel seine Frage wiederholte, schreckte er aus seinem Brüten auf. „Mit wem? Ah so, Du meinst den armen Erich! Du hast ihn in Nizza gesehen, wie Du mir erzähltest, gerade damals, als er sich verlobte. Das Glück war ihm kurz genug zugemessen – ein hartes Schicksal!“

„Wer weiß, die Ehe hätte ihm vielleicht Enttäuschungen gebracht,“ bemerkte Stetten in einem eigenthümlich kühlen Tone. „Er starb im Glück und im vollen Glauben daran, das ist eher beneidenswerth … Wie hat sich denn die junge Frau in ihr Geschick gefunden?“

„Sie soll im Anfang ganz fassungslos gewesen sein, und das ist nur zu begreiflich.“

„Sie wird den Schlag überwinden,“ meinte Stetten, wieder in jenem kalten, halb verächtlichen Tone. „Eine junge und reiche Witwe weiß sich zu trösten. Ihre Vermählung giebt ihr Anspruch auf einen Theil des Dernburgschen Vermögens, und auf dieses wird es von vornherein abgesehen gewesen sein.“

Viktor sah betreten seinen Onkel an, dessen Art es sonst gar nicht war, so lieblos über Menschen zu urtheilen, die er nur oberflächlich kannte. „Du glaubst, daß die Berechnung bei dieser Verbindung eine Rolle gespielt habe?“ fragte er ungläubig.

„Gewiß, wenigstens soweit Oskar von Wildenrod dabei ins Spiel kommt. Er brauchte eine reiche Partie für seine Schwester und setzte alle Segel bei, um das zu erreichen.“

„Verzeih’, Onkel, aber da bist Du im Irrthum! Die Wildenrods sind reich, sehr reich sogar, wie man sagt.“

„Sagen mag man so, dafür wird der Freiherr schon Sorge getragen haben. In Wirklichkeit liegt die Sache ganz anders. Doch was geht das uns an! Wenn Dernburg sich hat täuschen lassen, so ist das seine Sache – er hätte vorsichtiger sein müssen.“

„Onkel, was sollen diese Andeutungen?“ forschte Viktor unruhig. „Kennst Du diesen Wildenrod näher? Weißt Du etwas von ihm?“

„Ich weiß manches, fühle mich aber durchaus nicht verpflichtet, den Warner zu spielen; Dernburg ist mir so gut wie fremd. Die Augen werden ihm allerdings aufgehen, früher oder später. Zu seinem Glücke hat der Tod seines Sohnes die Familienverbindung eigentlich schon wieder gelöst, und die Wildenrods werden sich abfinden lassen. Und nun genug davon, ich spreche nicht gern darüber.“

„Aber zu mir mußt Du sprechen!“ rief der Graf mit ausbrechender Heftigkeit. „Ich bitte, ich beschwöre Dich, theile mir offen mit, was Du erfahren hast! Ich will und muß es wissen!“

„Oho! Ich muß? Weshalb? Nimmst Du soviel Antheil an den Odensbergern? Vorhin schienen sie Dir sehr gleichgültig zu sein.“

Viktor antwortete nicht und senkte den Blick vor den fragenden Augen seines Oheims, der jetzt stehen blieb. „Ich habe längst bemerkt, daß Du irgend etwas Schweres mit Dir herumträgst,“ sagte dieser. „Etwas, das Dein ganzes Sein und Wesen verändert hat. Was ist Dir? Sei aufrichtig, Viktor – vielleicht kann Dein väterlicher Freund Dir rathen und helfen.“

„Helfen kannst Du mir nicht,“ erklärte der junge Majoratsherr finster. „Aber ich will Dir beichten, die Sache drückt mir sonst noch das Herz ab. – Du kennst den Grund des Zerwürfnisses zwischen Konrad und mir. Konrad war bisweilen hart gegen mich und schließlich machte er seine Hilfe, die ich nothwendig brauchte, von einer Bedingung abhängig. Er plante zwischen Maja Dernburg und mir eine Verbindung, die ihn jeder weiteren Sorge für mich überheben sollte, und ich – nun ich war gereizt, erbittert, ich wollte um jeden Preis diese drückende Abhängigkeit loswerden und stimmte zu. Ich kam hierher, sah Maja wieder, und da war es vorbei mit jeder Ueberlegung und Berechnung, da wuchs die volle heiße Liebe zu dem süßen Geschöpf in mir empor. Und dann – dann bin ich hart genug dafür gestraft worden, daß ich einmal rechnete.“

„Du hast ein Nein erhalten? Unmöglich! Das junge Mädchen war ja vorhin die Unbefangenheit selbst.“

„Maja weiß von meiner Bewerbung überhaupt nichts, ich kam gar nicht dazu, mich ihr zu erklären. Ihrem Vater wurde Konrads Plan hinterbracht, in der gehässigsten Weise. Er stellte mich zur Rede, und als ich die Wahrheit nicht ableugnen konnte und nicht wollte, behandelte er meine Werbung als eine Spekulation der niedrigsten Art, mich selbst als einen Glücksjäger. Er hat mir schonungslose Dinge gesagt, Dinge –“ Viktor biß die Zähne zusammen. „Erlaß mir das Weitere!“

„So also steht die Sache?“ sagte Stetten nachdenklich. „Ja freilich, was fragt dieser stolze Industriefürst nach einem Grafen Eckardstein! Nun, sieh nur nicht so verzweifelt aus, mein armer Junge, die Verhältnisse liegen jetzt anders als vor sechs Monaten. Das Schicksal hat Dich inzwischen zum Herrn von Eckardstein gemacht und Du hast es in der Hand, durch eine Erneuerung Deiner Werbung Dich bei dem alten Starrkopf da drüben glänzend zu rechtfertigen.“

„Ich werde mich dazu nicht verstehen – niemals! Maja ist und bleibt für mich verloren.“

„Nur nicht so stürmisch! Dem künftigen Schwiegervater kann man immerhin ein paar herbe Worte verzeihen, vollends da er in der Sache selbst gar nicht so sehr unrecht hatte. Verbietet Dir Dein Stolz eine Wiederannäherung, so überlaß mir die einleitenden Schritte. Ich werde mit Dernburg reden.“

„Damit er Dir mit höflichem Bedauern erklärt, seine Tochter sei die Braut des Freiherrn von Wildenrod?“ fuhr Viktor auf. „Das können wir uns ersparen!“

„Was fällt Dir ein! Wildenrod steht im Beginn der Vierzig und Maja Dernburg –“

„O, er hat eine dämonisch zwingende Macht und weiß sie zu brauchen. Ich bin überzeugt, daß jene Einflüsterung, die Dernburg so gegen mich aufbrachte, von ihm stammt. Ich war ihm im Wege, er rechnete schon damals auf Majas Besitz! Und sie ist nicht gleichgültig gegen ihn geblieben, man spricht schon überall von einer Verlobung, und vorhin habe ich Gewißheit erhalten. Maja verrieth sich – ich habe nichts mehr zu hoffen!“ Die Verzweiflung des jungen Mannes zeigte deutlich, wie tief ihm die Leidenschaft für seine Jugendgespielin im Herzen saß.

Stetten war sehr ernst geworden. „Das wäre allerdings ein Meisterstreich Wildenrods,“ sagte er mit gefurchter Stirn. „Also er hat an dem Antheil seiner Schwester nicht genug und will für sich selbst die Odensberger Millionen erobern! Da ist es freilich Zeit, Dernburg die Augen zu öffnen – seine Tochter soll nicht die Beute dieses Abenteurers werden.“

„Ein Abenteurer? Der Freiherr von Wildenrod?“

„Er ist es geworden, als Glück und Glanz seines Hauses zusammenbrachen. Vielleicht war ebensoviel Verhängniß als Schuld dabei – gleichviel! Er hat das Recht verwirkt, sich mit einer ehrenwerthen Familie zu verbinden.“

„Und das wußtest Du schon damals in Nizza und hast geschwiegen?“ rief Viktor mit bitterem Vorwurf.

„Sollte ich etwa den Angeber machen? Und bei wem? Welches Recht hatte ich, mich in die Verhältnisse einer fremden Familie einzudrängen? Was gingen mich damals die Dernburgs an? Man stellt den Sohn eines Mannes, in dessen Hause man jahrelang als Freund verkehrt hat, nicht an den Pranger ohne zwingende Nothwendigkeit –“

„Aber Du hättest Erich auf irgend eine Weise warnen können!“

„Da hätte keine Warnung gefruchtet. Wenn Erich hätte sehen wollen – die zweideutige Rolle, die sein künftiger Schwager spielte, war in ganz Nizza bekannt; ich war nicht der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_302.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)