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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Herzen folgen und den Junker durch huldvolle Annahme des Wildes erfreuen, welches er zu verschenken das beste Recht hatte.“

Die eigensinnige kleine Dame zögerte sekundenlang, dann aber beugte sich ihr unsicherer Wille unter den kräftigern des Mannes. „Wenn es sich so verhält, wie der Oberjägermeister sagt,“ wendete sie sich wieder zu Lutz, „dann nehmen wir den Hirsch von Euch zum Geschenk an, Junker von Leyen, und bleiben Euch dafür in Gnaden gewogen.“

„Ich danke der Frau Pfalzgräfin,“ sagte des Knaben helle Stimme, und die Dame betrachtete ihn noch einmal nicht ohne Wohlgefallen. „Kein Wunder, daß der Junker Lutz einen Fürsprecher an dem Herrn von Nievern findet,“ meinte sie alsdann, zur Méninville gewendet, „es ist ein feines junges Blut, dem man nicht lange gram sein kann.“

Was Frau von Méninville hierüber dachte, behielt sie für sich; ihre Gefühle in betreff des Junkers eigneten sich zur Mittheilung nicht. Er hatte sie eine Vogelscheuche genannt und über sie gelacht – dergleichen vergaß Frau von Méninville nicht. Sie haßte den Knaben dafür mit ihrem gesunden nachhaltigen Hasse; gesund, insofern der Haß bei ihr eine schier unzerstörbare Lebensdauer hatte. „Ein vielversprechendes Kind; es wird dem Hofe Euerer Gnaden dermaleinst zur Zierde gereichen,“ bemerkte sie, der Fürstin anscheinend beipflichtend. „Möge er sich alsdann die Kavaliertugenden des Herrn von Nievern zum Muster nehmen, nicht aber den Eifer, welchen der Herr Oberjägermeister für Damen zeigt, denen die Sonne Euerer Huld zeitweilig durch Gewölk verborgen ist.“

Frau Sabine Eleonore war schon gewohnt, von ihrer Vertrauten gesprächsweise allerlei Aufschlüsse zu erhalten, die ihrem hochmüthig langsamen Begriffsvermögen durch eigene Anschauung so leicht nicht geworden wären. Sie folgte jetzt der Richtung, welche die Blicke der frommen Witwe genommen hatten. Da sah sie den Oberjägermeister vor dem Fräulein von Leyen stehen, den Hut in der herabhängenden Hand, nicht viel anders, als er eben noch vor ihr gestanden hatte. Es war, als suchte er etwas wie eine Rechtfertigung bei dem Mädchen. Und sie, schlank in ihrem schmucklosen Jagdkleide, schien ihn noch nicht einmal günstig anzuhören! Es lag etwas in dem Anblick, ins rechte Licht gerückt, wie er es war durch die Worte der Méninville, was Sabine Eleonore um alle fürstliche Fassung brachte. „Fragt doch das Fräulein, mein Herr Oberjägermeister,“ rief sie schrill hinüber, „wie lange sie noch in unserer Gegenwart zu verweilen gedenkt, trotzdem wir ihrer werthen Person für heute nicht begehrt hatten!“

Bortolo.   Bettega.       Zecchini.   Tavernaro.
Die Führer von San Martino.


Mit einer Art von ungläubigem Entsetzen, als könne sie nicht recht gehört haben, starrte Polyxene groß zu der Pfalzgräfin hinüber. Was konnte sie nur verbrochen, womit diese beispiellose Feindseligkeit der Fürstin auf sich gezogen haben? Sie stand hilflos, regungslos, wie am Pranger. Da bot sich ihr ein Arm, und wie im Dunkeln tastend legte sie den ihrigen hinein. Sie wäre jedem gefolgt, der ihr jetzt diese Stütze angetragen hätte; sie wußte anfangs kaum oder hatte nicht acht darauf, wem sie dieselbe dankte. Als sie dann nach einigen Schritten merkte, daß es der Herr von Nievern war, wunderte oder berührte sie das weiter nicht. Und doch war, was er that, hier ein fast Ungeheuerliches. Er verrichtete diese Handlung des Protestes gegen fürstliche Weiberlaunen aber auf die einfachste Weise. Artig und ritterlich geleitete er das Fräulein von dem Platze fort, einem dem Hochwald vorgelagerten kleinen Gehölze zu, von dem aus sie jedenfalls vorhin den pfalzgräflichen Jagdstand erreicht hatte. Lutz folgte ihnen. Daß die Augen des ganzen Hofes auf sie gerichtet waren, schien den Oberjägermeister nicht im geringsten zu kümmern. Von seitwärts herab streifte sein scharfer Blick Polyxenens erblaßtes Gesicht. Das Fräulein heuchelte keine trotzende Gleichgültigkeit; sie sah verstört aus, aber ihre bebenden Lippen schwiegen und hatten einen Zug stolzer Geduld angenommen. Und halblaut, obwohl jetzt niemand in der Nähe war, der hören konnte – niemand außer Lutz – sprach Nievern: „Ihr müßt mir gestatten, Euch zu geleiten, Fräulein, um Euch zu beweisen, daß nicht allen am Hofe der Frau Pfalzgräfin, durch den Stich der heißen Sonne oder was weiß ich, heute der Kopf verrückt ist.“

„Ihr handelt wie ein Edelmann, Herr von Nievern,“ sagte Polyxene mit bebendem Munde, „obwohl Ihr unser Freund nicht seid.“

„Nicht?“ fragte er nur und sah wieder von der Seite auf sie nieder. Sie antwortete nicht, hatte vielleicht gar nicht auf das Wort gehört. Bald darauf blieb sie stehen, neben einem mit Brombeergerank umsponnenen uralten Markstein, von dem aus eine schmale Pfadspur auf der Waldwiese in das nahe Gehölz führte. „Hier fängt Leyensches Gebiet an,“ sagte sie einfach; das sollte heißen: hier brauche ich keinen Schutz mehr.

Auch er schien so zu denken. Er gab ihren Arm frei, verneigte sich tief vor ihr, grüßte auch den jungen Ludwig freundlich und sagte: „Nehmt Euch, werthes Fräulein und lieber Junker, die heute erfahrene Kränkung nicht allzu tief zu Herzen. Mich dünkt, ich sah heute schon, wie alle ehrlichen Gemüther am Hofe auf Euerer Seite waren. Die Frau Pfalzgräfin wird sich wieder anders besinnen, und dann soll sie Euch, dafür stehe ich, volle Genugthuung leisten.“

Polyxene hatte dem freundlichen Zuspruch, wie es schien, nicht ungern gelauscht. Bei den allerletzten Worten aber und dem Geständniß seines Einflusses auf die Fürstin, das Herr von Nievern damit ablegte, richtete sie sich mit kalter Miene wieder höher auf und trat von ihm fort. Ehe sie entgegnen konnte, rief Lutz: „Das sag’ ich Euch schon jetzt, Herr von Nievern, der Pfalzgräfin dien’ ich nicht, wenn ich groß bin! Nein, da geh’ ich lieber fort, zu den Holländern, wo der Oheim war, oder gar nach Spanien, Sagt selbst: einer zankenden Frau zu Willen zu sein, ist das eine Ehre für einen Edelmann?“

Herr von Nievern lachte bloß leichthin zu diesen Worten. Sein Geleit des Fräuleins hatte alles in allem nur wenige Minuten gedauert, aber doch war es jetzt hohe Zeit, daß er ein Ende machte. Es schien fast, als werde Polyxene ihn gar nicht noch einmal ansehen. Auch hier also kleinliche Unart, wie sie diese verwöhnten Weiber trieben! Nein, er hatte ihr unrecht gethan, und wie sehr! Sie neigte sich jetzt abschiednehmend vor ihm, mit lieblicher Würde, als müsse alles, was sie heute gekränkt hatte, in diesem Augenblick zurücktreten vor dem Dank gegen ihn. Da kam es über ihn, daß er rasch noch einmal dicht an sie herantrat und fast bewegt sagte: „Und nun verzeiht Ihr mir, Fräulein?“

Seltsam, daß sie sofort wußte, was er meinte. „Daß Ihr heute so lange, wahrlich allzu lange schwieget, Herr von Nievern?“ fragte sie, Und dann, mit einem ergreifenden Blicke: „Warum, o, warum thatet Ihr das?“

„Ja, warum?“ Das war alles, was Herr von Nievern antwortete, sie ansehend wie in einer plötzlichen, bei ihm seltenen Erregung. Und dann wandte er sich rasch ab und verließ sie.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_284.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2020)