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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

der schmeichelhaftesten Aufnahme in der Sphäre viel größerer fürstlicher Gestirne sicher sein.

Zwei andere Augen als die der Pfalzgräfin waren es, welche dem Oberjägermeister das alles vom Gesicht ablasen. Und Frau von Méninville, denn von dieser trefflichen Dame ist die Rede, hielt für die ihr sehr deutliche üble Laune des Kavaliers ein Mittel bereit, wenn seine hübschen Augen sich nur einmal wieder ihr zuwenden würden. Das war nicht ganz leicht, jetzt wo die Pfalzgräfin breit vor ihr stand. Als es aber endlich doch einmal wieder geschehen war, da blickte er auch gleich noch einmal hin, betroffen, wie von einem Räthsel gereizt. Es war, als habe dies kluge Weib mit einem Male einen Schleier fallen lassen, mit dem sie sogar vor ihm bisher beharrlich ihr wahres Antlitz verhüllt hatte – so unverhohlen brach herausfordernder Spott, über die Fürstin, über ihn, über ihrer beider lächerliche Abhängigkeit von der Puppe da, auf ihrem Gesicht hervor. Er gab ihr den Blick voll zurück, und nun war etwas wie eine magnetische Verbindung zwischen ihnen hergestellt. Sie thaten nicht mehr und nicht weniger, als daß sie sich fortan über die kleine Pfalzgräfliche Hoheit, die zwischen ihnen stand, lustig machten. Aber vorsichtig erfolgten diese Mittheilungen, lediglich von Blick zu Blick. Dem Himmel sei Dank – das war doch eine Unterhaltung für den jungen Oberjägermeister, neben der sehr mäßigen, welche die Treibjagd am heutigen Tage abwarf!

Das Treiben hatte begonnen und verlief planmäßig. An Wild war kein Mangel, und das Erlegen desselben wäre so ziemlich aller Aufregung für die bequem aufgestellte Jagdgesellschaft bar gewesen, wenn die Pfalzgräfin nicht so schlecht geschossen hätte. Dadurch aber, daß sie selten traf und dann meist etwas anderes als das, worauf sie mit lauer Absicht gezielt hatte, kam etwas Leben in die Sache. Denn ihren Fehlschüssen mußten auf geschickte Weise bessere Treffer untergeschoben werden, zu welchem Ende einer von der Jägerei hinter der Karosse, also seitwärts von der Fürstin, seinen Stand hatte. Dieser, ein nie fehlender Schütz, brachte zur Strecke, was Serenissima erlegt haben sollte. Man wies ihr dann ihren angeblichen Schuß vor; das durch denselben geehrte verendete Stück Wild wurde bezeichnet und mit Laub geschmückt, und sie war überzeugt von ihrer Kunst, mit einer Einfalt, welche die zu ihrer Täuschung verschworene Gesellschaft eigentlich hätte beschämen müssen. Diese kleine Komödie, die der ganze Hof mitspielte, gewährte den Herren und Damen immerhin einige Unterhaltung.

Endlich nahte die Jagd ihrem Schlusse, was niemand besser wußte als Herr von Nievern und seine Leute von der fürstlichen Jägerei, da sie den Wildbestand der umliegenden pfalzgräflichen Forsten genau kannten. Da erscholl noch einmal das Hallo der Treiber; Herr von Nievern blickte gespannt hinüber nach dem Waldrande, von wo das Geschrei angehoben hatte und sich nun fortpflanzte, und zwar mit frischer Kraft, als ob etwas ganz besonderes den Kerlen da drüben die Lungen schwellte. Den Teufel auch, was war das? Was brach da aus dem Holze hervor, so daß man das Krachen durch das übrige Getöse hindurch bis hierher hörte? Ein Kapitalhirsch, ein Sechzehnender mindestens, und ein Thier von ungewöhnlicher Größe und Schönheit, aber – offenbar angeschossen, denn er schweißte stark, was dem Herrn von Nievern sein scharfes Jägerauge aus der Entfernung verrieth.

Der Oberjägermeister fuhr herum zu dem Jäger, der ihm zunächst war. „Was ist das, Tobel – wo hat der Hirsch gestanden?“ fragte er hastig. „Kennt Ihr ihn? Oder –“

Der Mann, vorsichtig jedes Wort vermeidend, nickte nur. Es ist, wie Ihr annehmt, hieß das; der Prachtkerl hat aus der angrenzenden Wildbahn herübergewechselt und geht uns nichts an. Frage und Antwort nahmen nur wenige Sekunden ein. Jetzt waren wieder aller Augen auf das edle Thier gerichtet; die ganze Hofgesellschaft hatte sich neu belebt; Spannung lag auf allen Mienen, den meisten klopfte das Herz dem Augenblick entgegen, da das herrliche Geschöpf, der Gekrönte der Wälder, zusammenbrechen würde.

Auf dem Stande der Kavaliere und Damen hob sich trotzdem kein Büchsenlauf; man wußte ja, wem hier, wo es sich offenbar um die Hauptbeute des heutigen Tages handelte, der Schuß zukam. Serenissima gab denn auch den ihrigen ab, der ein seltsames unmittelbares Echo zu haben schien, denn es klang gerade, als wenn zwei Schüsse hart nacheinander fielen. Der Hirsch hob sich hoch auf den Hinterläufen, warf den Kopf mit dem Prachtgeweih zurück und stürzte zusammen. Er war aufs Blatt getroffen, aber nicht von der kleinen Hoheit, und verendete alsbald. Nachdem sie ihre Büchse abgegeben hatte, geruhte die Pfalzgräfin sich zu Frau von Méninville herumzuwenden, um von dieser Glückwünsche zu ihrem vortrefflichen Schusse entgegenzunehmen. Die Dame ließ es daran nicht fehlen. „Wie Hoheit in allem excellieren,“ rief sie mit Begeisterung, „das reißt mich zu immer neuem Anstaunen hin!“

„Nun, das Schießen ist so schwer nicht,“ sagte Frau Sabine Eleonore mit selbstgefälliger Herablassung. „Sie würden es zwar wohl nicht fertig bringen, liebe Méninville. Bei uns aber liegt dergleichen im Blute, ohne daß man sich allzu große Mühe zu geben braucht.“ Und von Herrn von Nievern gestützt, verließ sie nun endlich den Wagen und begab sich in Begleitung ihres ganzen Hofstaates an den Platz, wo die Jagdbeute zusammengetragen war und wo jetzt das Halali geblasen wurde. Die langen Reihen der Hasen wurden wenig beachtet. Aber auch an Hochwild hatte eine ganz stattliche Anzahl diesem Tage den schuldigen Tribut des Lebens gebracht. Die Köpfchen mit der blanken Nase und den jetzt klebrigen erloschenen Augen mit Laub und Fichtenreisern bekränzt, lag da ein Vierteldutzend Stück Rehwild und vor allem der majestätische Sechzehnder, durch jene Zierde als Beute der hochfürstlichen Hand ausgesondert und bezeichnet! Sabine Eleonore stand davor, steif und mit leerem Gesicht, und sah das angeblich von ihr erlegte Wild an, etwa als wären es ebensoviel Nüsse, die sie geknackt hätte – mit leichtem Fingerdruck; mehr war ja auch hier nicht nöthig gewesen – und wer den nicht eben verschlungenen Gängen ihrer innersten Gedanken zu folgen vermocht hätte, der würde wahrgenommen haben, daß sie das erlegte Gethier als wirklich und wahrhaftig durch ihre Hand geehrt und deshalb auch schon wieder, als etwas Besseres denn die übrige Beute, mit einer Art Respekt betrachtete.

Was nur Herr von Nievern an dem noch zuguterletzt geschossenen Hirsch so besonderes hatte? Eben stand er wieder davor, diesmal mit einem ältlichen Förster, und die beiden tauschten, viel unbekümmerter um hochfürstliche Gegenwart, als es sich ziemte, halblaute Worte über das Thier aus, das von den Treibern auf eine Bahre von frischgrünem Tannicht wie auf ein Paradebett gelegt worden war. Eben strich die derbe Hand des Försters wie suchend an seiner gewölbten Flanke entlang und zog sich dann rasch zurück, nachdem sie, auf eine Sekunde nur, eine Stelle freigelegt hatte, wo das Haar des Thieres, voll röthlichem „Schweiß“ leicht gefärbt, zusammenklebte. Jetzt ruhte auch die hübsche vornehm kräftige Hand des Oberjägermeisters auf jener Stelle; die Männer bückten sich tief nieder über das Wild und tauschten ein paar leise Worte. Mit einem Male fuhren sie in die Höhe; noch eine andere Hand hatte sich auf die Flanke des Hirsches gelegt, eine Hand in vertragenem Wildlederhandschuh, die, obwohl nicht gerade klein an sich, doch viel kleiner als die Männerhand des Oberjägermeisters war. Die Männer starrten empor; da stand sie, ihnen gegenüber auf der anderen Seite des Hirsches, die Eigenthümerin der Hand. Herr von Nievern riß den Hut herunter, als wäre es die Pfalzgräfin, und es war doch nur ein junges schlankes Geschöpf in einen verschossenen Jagdrock, welches jetzt, ihm leise zunickend, sagte: „Ganz recht, da sitzt er – mein Schuß, Herr von Nievern.“

Und das alles in hochfürstlicher Gegenwart! Aber der kleine Vorgang hatte sich so rasch abgespielt, daß ihn wenige gewahrten; zudem war hier auf der Jagd die Etikette nicht so streng. Fräulein Polyxene von Leyen, die keine Einladnug zur Hofjagd erhalten hatte – was nicht unbemerkt geblieben war – und der man deswegen ihre wenig hoffähige Kleidung zugute halten mußte, mochte mit ihrem jungen Vetter auf einem Pirschgang auf eigene Hand begriffen gewesen sein, der sie zufällig in die Nähe dieses Platzes geführt hatte; die beiden Verwandten traten jetzt vor, um die Pfalzgräfin in schuldiger Ehrfurcht zu begrüßen. Sie thaten dies mit vollständiger Korrektheit, als junge Leute, welche in der Luft des Hofes herangewachsen waren. Lutz, der hübsche Bursch, war allerliebst anzusehen, als er, den Hut zur Seite haltend, mit gesetzter Miene sich tief vor der steifen Puppe verneigte. Die Fürstin wurde auch unwillkürlich ein wenig freundlich dabei; mit abgünstiger Kälte aber nahm sie den respektvollen Gruß des jungen Fräuleins entgegen.

Polyxene merkte davon nichts. Sie war mit dem beschäftigt, was sie hier zu sagen hatte, für sich und für Lutz, oder eigentlich nur für letzteren. Ganz angenehm war die Sache nicht, aber in ihrer arglosen Weise fürchtete sie sich auch nicht davor; sie gedachte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_282.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)