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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

gewöhnlich stets vor sich hinausblickend, auf dem Kopfe einen dreistutzigen Männerhut, der jedoch die breiten Puffen und Locken ihrer umständlichen Frisur bei weitem nicht bedeckte.

Sie so zu sehell, war männiglich gewohnt; wer aber war die so himmelweit von ihr verschiedene Person neben ihr? Etwas wie ein grauer Sack war da an ihrer Seite, einem solchen um so ähnlicher, als es oben faltig spitz zulief. Wo diese Falten sich vorn auseinander thaten, da schaute ein mattgefärbtes blondes Antlitz mit wenig Augenbrauen und Wimpern und einer aufgesetzten Miene äußerster Demuth hervor, das Antlitz der Frau von Méninville. Und wenn irgend etwas den übrigen Hofstaat mit der unerhörten Gunst, welche die Wltwe auch heute wieder genoß, zu versöhnen vermochte, so mußte es sicherlich der frommen Frau christliche Bescheidenheit sein. Ja, unerhört war diese neue Bevorzugung, sie allein im fürstlichen Wagen sitzen zu lassen, in welchem zunächst doch der Platz der Oberathofmeisterin und der älteren Ehrenfräulein gewesen wäre! Diese folgten in der nächsten Karosse; die jüngeren Damen noch mit etwas erregten oder betretenen Mienen, denn kurz vor der Abfahrt erst war unter einem nichtigen Vorwande von der Pfalzgräfin das Unterbringen dieser Damen im zweiten Wagen verfügt worden. Sie selbst hatte sich dabei offenbar ein wenig gefürchtet vor der Obersthofmeisterin und hatte stotternd und unsicherer gesprochen als sonst, so daß Frau von Kallenfels geradezu im Vortheil gegen die Pfalzgräfliche Hoheit gewesen war. Denn ihr kaltes abfälliges Befremden über eine solche Neuerung offen zur Schau zu tragen, daran hätte kein Respekt in der Welt diese Dame verhindern können. Sie that es und sie that sogar noch mehr. „Meine Pflicht gebietet mir, Euere Hoheit darauf aufmerksam zu machen,“ sagte sie eintönig und durch die Nase redend wie gewöhnlich, „daß Frau von Méninville durch ihren Rang von dem Vorzuge, sich neben Pfalzgräflicher Hoheit öffentlich zu zeigen, nach allem Gebrauch und Herkommen ausgeschlossen ist.“ Darauf hatte die Pfalzgräfin etwas gestottert wie: man müsse sehen, wie dem abzuhelfen sei, und sich eiligst herumgedreht. Bei der Verbannung der Obersthofmeisterin mit ihren Damen in die zweite Karosse war es aber geblieben.

Daß die Méninville, die vorher sehr wohl gewußt hatte, welche Rolle ihr heute zugedacht war, trotzdem in ihrer abscheulichen witwenhaften Kleidung geblieben, war ein Zug ihrer Klugheit. Sie hatte kein Recht, zu erwarten, daß sie an einem Jagdzug theilnehmen werde, bewahre! Und himmelweit entfernt von ihr war die Anmaßung, sich je in der weltlichen Hoftracht zeigen zu wollen! Es gehörte übrigens wirklich Selbstverleugnung für eine Frau dazu, sich so zu entstellen, wie sie es that – durch die Beguinenhaube, welche ihr helles feines Haar verbarg, und vor allem durch den grauen nonnenschleierartigen Sack, der, vom Scheitel faltig herabfallend, aus ihrer ganzen Gestalt ein unförmiges Bündel machte. Ja, sie sah abscheulich aus und wußte es, aber sie wußte auch noch etwas anderes. Sie wußte, daß jemand, der nicht umhin gekonnt hatte, aufmerksam auf ihr kluges Verständniß zu werden, zwischen durch wohl auch gedacht hatte: „Ich möchte sie wirklich einmal ohne diese verwünschte Vermummung sehen. Sie scheint nicht übel gewachsen. Ihr Haar, von dem sich zuweilen ein Löckchen unter der abscheulichen Haube hervorstiehlt, dies röthliche Blond ist durchaus nicht häßlich! Und parbleu, nicht häßlich ist auch die schmale Hand, mit welcher sie diese rothe Locke so außerordentlich sorgfältig wieder unter die Haube streicht!“ Ja, ja, die fromme Witwe verstand sich auf das sündige Geschlecht der Männer, sie sah auch, wo sie gar nichts zu sehen schien, und hatte alle diese Dinge in kurzen Aufblicken, flüchtig wie Blitze, aus des Herrn von Nievern heitern und meist ein wenig spöttisch auf sie schauenden Augen gelesen.

Als Oberjägermeister hielt sich Herr von Nievern, vorzüglich beritten, heute fast unausgesetzt am Wagenschlage der Frau Pfalzgräfin. Er ritt so nahe, daß er einmal, den Dreispitz vom Kopfe reißend und diesen hübschen Kopf tief neigend, um Entschuldigung zu bitten hätte, weil eine Schaumflocke von der Stange seines Rappen in den Wagen geflogen war, als das edle Thier ungeduldig den Kopf zurückwarf. Der Fürstin Sabine Eleonore gefiel dies sehr gut; sie nahm den Diensteifer des stattlichen Kavaliers hin als etwas, was sowohl ihrem Stande wie ihrer Person galt und gar nicht anders sein könne.

Wagen und Pferde, Reiter, Treiber, Piqueurs und die Meuten, das alles zog dahin auf breitem Wege, der durch

mageres Weideland zu dem bewaldeten Gelände führte, auf welchem das Treiben stattfinden sollte. Weithin schallte das helle Getöse, Gerassel, Getrappel, Hörnersignale und Rufe, Peitschenknall und das vieltönige Gebell der Rüden.

Zum Sammelplatz war eine große Waldblöße bestimmt. Hier befand sich am Rande des Gehölzes ein vorn offenes Blockhaus; anstatt der Vorderwand besaß dasselbe nur eine Art Geländer mit Vorrichtungen zum Stützen der Gewehre; von hier aus hatte der hochselige Pfalzgraf Karl Christian mit den Damen des Hofes auf das vorbeigetriebene Wild zu schießen gepflegt. Der Holzbau war sauber imstande; Nievern war am Tage zuvor hinausgeritten und hatte sich persönlich davon überzeugt – stand doch die ganze heutige Hofjagd unter seinem Zeichen! Wie hatten die Damen sich bedeutungsvoll angesehen und sich leise zugenickt, als zuerst vom Entschlusse der Pfalzgräfin, den lange vernachlässigten Zeitvertreib wieder zu begünstigen, etwas laut geworden war!

Sauber also, aber etwas urwüchsig nach Jägerbrauch war die aus Holz mit der Borke gezimmerte Halle. Ob die Pfalzgräfin etwas anderes erwartet hatte? Einen Schmuck von Teppichen oder Behängen? Ueber dem Giebel wehte ein Wimpel mit dem pfalzgräflich-birkenfeldschen Wappen; das war alles. Ihr Fuß hätte, wie jeder andere gemeine auch, die roh gehobelten Bretter der Stufen und des Fußbodens betreten müssen. Sie betrachtete vom Wagen aus abgünstig den fürstlichen Schießstand und befahl dann mit einem Male, man solle etwas weiter fahren und die Karosse längs des Waldrandes halten lassen; sie werde vom Wagenfenster aus schießen.

„Vom Wagen aus? Und die Pferde?“ Es sei zu befürchten, daß die Pferde ihrer Hoheit scheu würden, gab der Oberjägermeister zu bedenken.

„Die Pferde muß man halten; man stelle einen Mann neben jedes Pferd,“ verfügte die Dame. „Es muß gehen; Ihr bringt mich nicht dazu, jene Kirchweihbude zu besteigen; wir sind solcher Mühseligkeit nicht mehr gewöhnt.“

Herr von Nievern traf nunmehr ohne ein weiteres Wort über die Sache neue Anordnungen; er sah aber aus, als ob er denke: hole der Teufel die Weiberlaunen! Noch einmal mußte die Hoheit befragt werden: die Damen des Hofstaates? Sollten die auch von den am Waldrand aufgepflanzten Karossen aus schießen, oder war es ihnen gestattet, den verschmähten Stand zu benutzen? Sabine Eleonore zögerte, endllch aber fand sie einen Ausweg. Denn so sehr ihr auch die Arbeit des Denkens im allgemeinen zuwider war, um ihren Eigenwillen durchzusetzen, fehlte es ihr keineswegs ganz an Erfindung. „Man lasse den Wimpel herab,“ befahl sie. „Ehe er herunter ist, soll niemand von ihnen die Halle betreten. Nachher mögen sie sich dort aufstellen.“ Und so geschah es. Der umfangreiche Prachtwagen mit den zwei Paaren langgespannter Schimmel war inzwischen längs des Waldrandes, mit der Seitenwand nach dem offenen Platze zu, aufgefahren worden. Und in demselben stehend, konnte die Fürstin allerdings die Fläche, über welche das zusammengetriebene Wild seinen Weg nehmen würde, ebensogut beherrschen wie von dem Blockhause aus. Die Büchsenspanner, welche ihr die leichten Gewehre luden und reichten, waren zur Stelle; dicht am Schlage stand zudem der Oberjägermeister, um gleichsam die Honneurs der Hirsche und des kleinen Wildes zu machen, welches die Ehre haben würde, heute der Pfalzgräflichen Hoheit als Zielscheibe zu dienen, Trotz dieses seines bevorzugten Postens sah aber der stattliche Kavalier ein wenig verdrießlich aus. Zu keiner Zeit war er bisher ganz in diesem Hofleben, welches er führte, aufgegangen.

Er nahm dasselbe leicht ironisch, bis auf die Jägerei und was darin seines Amtes war. Das versah er tüchtig, den persönlichen Dienst bei Frau Sabine Eleonore aber immer mit einer kleinen Beimischung von heimlichem Uebermuth, als ob er im Grunde damit spiele. Heute nun war ihm der stete Anspruch an sein Gewärtigsein lästig; die Langeweile neben der Pfalzgräfin wäre ohne die Méninville gar nicht zu ertragen gewesen, und zu dem allen hatte ihn die Laune der Hoheit eben aufs äußerste verdrossen. Und er legte dem Ausdruck seiner Mienen keinen großen Zwang auf, denn eine Leserin in den Gesichtern ihrer Umgebung war Sabine Eleonore nicht; und selbst wenn es anders gewesen wäre: was war ihm Birkenfeld, was war ihm der pfalzgräfliche Hof? – Ein Edelmann mit seinen persönlichen Vorzügen konnte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_279.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2020)