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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

ihnen zu Gefallen. Das könne sie nicht vor ihrem Gewissen, war ihre Rede. Ihr bißchen Habe zerging; ihre alten Schriften, an denen ihr Herz hing und die schon ihrem Manne den Kopf verdreht hatten, die verbrannten sie ihr, und wie gern hätten sie die Frau selber auf den Holzstoß gesetzt, nur daß davon unser Herr Pfalzgraf in seinen Landen nichts wissen wollte.“

„Und verstoßen wurde sie aus der christlichen Gemeinschaft? So sagtet Ihr, als Ihr mir zuerst von ihr sprachet!“ rief Polyxene unter leisem Schauder.

„Ja, das war das Ende vom Liede,“ meinte der Alte, noch ziemlich gleichmüthig. „Seitdem hat sie vor ihnen wenigstens Ruhe gehabt, und das gemeine Volk, das danach wie eine wilde Meute auf sie losgelassen war, wurde es endlich auch müde, mit Steinen nach ihr zu werfen, wenn sie sich je einmal zeigte. Damals war einer, den fuchste es, daß die Klerisei auch an dem armen Weibe ihren Willen haben und sie aus dem Leben sollte hinaushetzeu dürfen, wie sie es mit dem Manne gemacht haben, und der flickte die Hundehütte da oben, des Freiknechts ehemaliges Gelaß, ein wenig zurecht und brachte die Frau an einem dunklen Abend hinauf, sie und das Wenige, das ihr vom Hausrath noch geblieben war. Es borgte ihm ein anderer, von dem er mancherlei wußte, ein Kerl aus Keula, Karren und Gaul dazu. Die große alte Bettstatt ging nicht durch die Thür – sie mußte auseinander, und da kam aus einer verborgenen Lade noch ein Buch zum Vorschein, das hatten die schwarzen Herren nicht gefunden. Mit dem Buche zusammen haust sie nun dort, Sommer und Winter, ich weiß nicht, wie viele, und diesen Winter, der jetzt kommt, wird sie schwerlich mehr erleben. Der, von dem ich gesagt habe, versorgt sie, seit sie sich wenig mehr rühren kann, so gut er vermag ... und es schiert ihn nicht, ob ihm die im Himmel oder die an dem anderen Orte einmal dafür Dank wissen werden ... So, Fräulein, dort drüben harrt Euer Geleitsmann; schlotterbeinig trabt er vor der Kirche hin und her, daran erkenn’ ich den Dietlieb von weitem. Mich braucht Ihr nun nicht mehr.“

Da trat das Fräulein unversehens rasch an ihn, der schon kehrt machen wollte, heran. „Ihr seid es, Strieger, dem die Frau ihr armes Leben dankt. Und gottlos ist sie nicht ... und Ihr, Ihr seid gut ...“ Es war wie eine überwältigende Offenbarung über Polyxenen gekommen, was gegenüber dem gedankenlos aus dem Meßbuch murmelnden oder spitzfindige Predigten anhörenden Kirchenglauben diese werkthätige Menschlichkeit sei.

Strieger lachte nur grimmig. „Das hat mir noch keiner gesagt, so alt ich geworden bin. Sie schlagen ja allenthalben das Kreuz vor dem Strieger; jetzt nun gar, wo er ein alter wüster Waldbär ist – aber früher ist’s auch nicht viel anders gewesen. Da“ – er wies mit dem Kopfe über die Schulter nach der Hütte zu – „die Mutter von ihr, die sollte mich heirathen; wir waren einig, da machten sie ihr Angst vor mir. Ich war ein Schütz, wie es wenige gab, und nun sollte ich mein Glück im Treffen dem Schwarzen verdanken. Als ich merkte, daß sie sich vor mir zu fürchten begann, da wurd’ ich wild.“ Ueher das schrundige Greisengesicht lief es auch jetzt wie der Widerschein einer fressenden Glut. „Sie war ein Ding zum Zerbrechen – ich zerbrach sie beinahe vor Jammer und Wuth, daß sie nichts mehr von mir wissen wollte ... könnt Ihr es ihr verdenken, wenn sie noch rechtzeitig einen andern nahm? Den hätt’ ich über den Haufen geschossen, beim Teufel, ich hätt’ es gethan – wenn es ihnen nicht von Anfang an schlecht gegangen wäre ...“ Er brach plötzlich ab und wandte sich nun wirklich zum Gehen. „Das ist lange her. Ich muß jetzt fort und Ihr erst recht, wenn Ihr vor Nacht in der Herrenmühle sein wollt, wohin Ihr gehört.“

Diesmal hielt Polyxene den Alten nicht noch einmal auf. Sie entfernten sich rasch voneinander, er aufwärts in die öde Schlucht, sie nach dem Dorfe zu, dessen ärmliche kleine Kirche, von einer niedrigen zerfallenden Mauer umfriedigt, von eingesunkenen Grabhügeln umgeben, gerade unter ihr lag. Dort, auf einem kahlen Platze zwischen Kirchenthür und Kirchhofspforte, bewegte sich mit der Regelmäßigkeit eines Uhrpendels eine schwarze Gestalt hin und her. Es war der Pfarrer des Ortes, wandelnd und sein Brevier betend. Polyxene wußte nichts weiter von ihm, kaum daß sie ihn von Angesicht kannte; doch sie wollte, als ihr Pfad sie jetzt außen in seiner Nähe vorbeiführte, ihren Gruß anbringen, in der ihr anerzogenen Ehrfurcht vor dem geistlichen Gewand. Aber es gelang ihr nicht. Er mußte sie bemerkt haben, wenn er nicht taub und blind war. Doch er hob nicht einmal sein großes hartes Gesicht von dem Buche.

Aus dem Schatten der Kirchhofsmauer kam jetzt Dietlieb hastig hervor. Er sah verstört aus, was aber das Fräulein erst beachtete, als sie auch schon die Ursache merkte. Hinter beiden, die jetzt rasch den Heimweg durch das Dorf hinab begannen, sammelten sich Gruppen der Dorfbewohner, Kinder und Weiber. Polyxene hatte auf einzelne drohende Rufe hinter sich bisher gar nicht acht gehabt, erst ein Stein, der dicht an ihr vorbeiflog, machte sie aufmerksam. Nur erstaunt, nichts weiter, und aus ihrem Sinnen über das Erlebte aufgestört, wandte sie sich um. Da sah sie den zerlumpten Haufen und sah freche Gebärden und hörte Hohn- und Schimpfreden. Anstatt aber rascher zu gehen, blieb sie nun stehen, ihrem stolzen Muthe folgend, und wandte das Gesicht ruhig dem ihr unverständlichen Schauspiele zu. „Kommt, kommt,“ raunte da der Diener, näher an sie herantretend, als er sonst wagte. „Sie haben gemerkt, daß Ihr bei der Verfluchten gewesen seid. Trifft Euch jetzt ein Stein, so habt Ihr den Schaden, was auch der Herr Oberst nachher thun mag, um solche dreiste Unbill an ihnen heimzusuchen.“

„Wie, sie wagen es? Und jener Armen wegen, die zum Heiland betete, als ich sie verließ?“ rief Polyxene, glühend vor Unwillen. Und sie machte ein paar Schritte auf den elenden Haufen zu. Da wichen sie zurück; was stand hielt, waren ein paar Weiber. Polyxene betrachtete diese stumpf glotzenden, von Schmutz und Elend zernagten Gesichter, und die Lust verging ihr, die Entfernung zwischen sich und jenen zu verringern. Sie wandte sich langsam wieder um und verfolgte in stolzer Haltung ihren Weg.

Hinter ihr schoß der Haufe noch einmal zusammen; es flogen noch ein paar Steine, aber mit mattem Schwung, mehr zum Schimpf als zum Schaden geworfen. Und Polyxene bezähmte ihre zornige Aufwallung darüber; sie sah ein, daß aus weiterem Zögern in der Nähe des Gesindels nichts Gutes für sie erwachsen konnte. Nur eines wunderte sie flüchtig. Als sie sich zu dem schimpfenden Haufen umgewendet hatte, da hatte sie hart an der niedrigen Kirchhofsmauer den Pfarrer stehen sehen, und jetzt hielt er den breiten Kopf nicht mehr über das Brevier gebückt, sondern schaute steinern auf das wüste Treiben, ohne demselben durch Wort oder Gebärde Einhalt zu thun.




6.

Der fürstlich birkenfeldsche Hof hielt, was seit dem Tode des Pfalzgrafen Karl Christian vor fünf Jahren niemals wieder geschehen war, ein großes Treibjagen ab. Frau Sabine Eleonore hatte für dasselbe die Theilnahme des ganzen Hofstaates und große Gala vorgeschrieben. Man wunderte sich, daß sie, die zu Lebzeiten ihres Gemahls für seinen Lieblingszeitvertreib nie Neigung gespürt hatte, jetzt mit einem Male diesem fürstlichen Vergnügen ihre Gunst zuwandte – oder man wunderte sich vielleicht auch nicht.

Zu Pferde zu steigen, hatte sie sich übrigens auch heute nicht entschließen können. Das „échauffement“ dieser Uebung war ihr verhaßt; Erhitzung verdirbt den Teint, wie jeder weiß, verträgt sich aber im besonderen nicht mit demjenigen, welchem die Toilettenkunst ein wenig nachgeholfen hat. Was sie aber nicht konnte oder nicht wollte, sollten andere auch nicht, nämlich zu Pferde ihre Reize oder ihre Reitkunst zur Schau tragen und von den gleichfalls berittenen Kavalieren sich über beides Schmeicheleien sagen lassen. Und so fehlte denn dem fürstlichen Jagdzuge diesmal der Schmuck der Amazonen, der ihn sonst geziert hatte, was hauptsächlich Frau von Bieberen, die ausgezeichnet zu Pferde saß, bedauerte. Sie machte sich auf ihre Weise Luft, indem sie zu einem der Herren achselzuckend und mit den Blicken nach der fürstlichen Karosse deutend bemerkte: „Ja, wir werden älter, mein Herr von Volz, und finden es auch gerathener, unser Roth und Weiß, das beides so dauerhaft nicht mehr ist wie vor Zeiten, den möglichen Unbilden der Witterung nicht muthwillig preiszugeben,“ worauf er, mit scherzhaft übertriebenem Ausdruck des Entsetzens über so viel Kühnheit, den Finger auf die Lippen legte.

Die fürstliche Karosse, der hervorstechende Mittelpunkt des ganzen Zuges, war ein gewaltig großes Gehäuse, dessen Seiten und Vorderwände fast ganz aus Glasfenstern bestanden. Man hatte diese Fenster für heute zum Theil herausgehoben; allen Zuschauern weithin sichtbar, saß da bolzengerade aufrecht die kleine Hoheit. wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_278.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2023)